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Ein Sängerkrieg, der eigentlich keiner ist

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Warum die Sing-Akademie zu Berlin und die Berliner Singakademie nicht zueinander kommen
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Mehr als zehn Jahre lang förderte der Berliner Senat zwei Chöre, die einen ähnlichen Namen tragen: die Sing-Akademie zu Berlin und die Berliner Singakademie. Alle Versuche, die beiden Chöre zueinander zu bringen, blieben bisher erfolglos. Die nmz machte sich auf die Suche nach den Hintergründen.

Mehr als zehn Jahre lang förderte der Berliner Senat zwei Chöre, die einen ähnlichen Namen tragen: die Sing-Akademie zu Berlin und die Berliner Singakademie. Alle Versuche, die beiden Chöre zueinander zu bringen, blieben bisher erfolglos. Die nmz machte sich auf die Suche nach den Hintergründen.Von Bassum nach Berlin ist es ganz schön weit. Und wenn die Leute dort Berliner Tageszeitungen lesen und dabei verfolgen würden, was sich in der Kulturlandschaft der Bundeshauptstadt so abspielt – sie würden sich wundern und die Köpfe schütteln. Einer zumindest tut es. Mehr noch: immer, wenn er etwas von den Berliner Chören liest, steigt der Ärger in ihm hoch. Nicht, weil er nicht singen kann. Dabei wäre jeder, der seinen Namen hört, fest davon überzeugt, dass es ihm angeboren sein müsste, weil es in der Familie liegt und das schon seit mehr als 200 Jahren! Der Mann heißt Karl Friedrich Zelter und singt tatsächlich nicht. Aber damit hat er kein Problem. Im Gegenteil, er fühlt sich deshalb nicht minder aufs Innigste mit dem Chorgesang verbunden – und das ist sein Problem. Es war sein Urahn Carl Friedrich Zelter kein Geringerer als jener, der im Jahr 1800 das Amt des Direktors einer der bedeutendsten Sängervereinigungen in der deutschen Geschichte übernahm: die 1791 von Carl-Friedrich Fasch als eine Art „Kunst-Corps für die heilige Musik“ gegründete „Sing-Akademie zu Berlin“.

Der Nachkomme des passionierten Musikerziehers und Brieffreundes von Goethe wurde denn auch 1932 zum Ehrenmitglied der Sing-Akademie zu Berlin ernannt. Er war so stolz darauf. Und heute? „Ich sehe mit großer Traurigkeit und einer gewissen Verbitterung den Niedergang des alten Chores von 1791 und sehe, wie er im Nichts zu verschwinden droht.“

Zwei Erben einer Tradition

Dass die Geschichte der Sing-Akademie so untrennbar mit jener der Stadt Berlin verbunden ist, bescherte ihr Glanzlichter wie Tiefpunkte gleichermaßen, den gravierendsten sicherlich mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961, die nicht nur einen Keil in die Stadt, sondern zugleich auch in den traditionsreichen Chor trieb. So kam es zu jener merkwürdigen Situation, dass in Berlin seit 1963 gleich zwei Chöre ähnlichen Namens die Traditionen des großen Vorfahren beerben, denn während die Sing-Akademie im Westteil weiterarbeitete, wurde im Ostteil der Stadt die Berliner Singakademie gegründet.

„Die Gründung dieser Ostberliner Singakademie“, urteilt deren heutiger Direktor Achim Zimmermann, „hatte natürlich auch kulturpropagandistische Hintergründe, die typisch waren für diese Zeit des Kalten Krieges. Man hat damals auf der Ostberliner Seite verschwiegen, dass es die Sing-Akademie im Westteil der Stadt überhaupt gab. Dieser Chor stand damals ohnehin nicht in der Öffentlichkeit. In der DDR wurden bestimmte kulturelle ‚Leuchttürme‘ entsprechend gefördert, so auch die Berliner Singakademie. Sie fungierte auch als Vorbild für die spätere Gründung von Singakademien in den Bezirksstädten. Der Chor wurde also, im Gegensatz zur Sing-Akademie in Westberlin, massiv unterstützt. So etwas haben jene Mitglieder der Sing-Akademie zu Berlin nicht vergessen, die zu dieser Zeit bereits im Chor mitgesungen haben.“

Zu denen gehört Michael Rautenberg nicht, er war damals noch ein Kind. Heute ist er Vorstandsmitglied eben dieser Sing-Akademie und gehört der jüngeren Generation an, der reformwilligen, wie er sie selbst bezeichnet. Rautenberg beschreibt die Situation des Chores nüchtern und schonungslos: „Wir sind heute 98 Mitglieder stark. Davon ist rund die Hälfte musikalisch aktiv: Diese Hälfte besteht zu 90 Prozent aus Frauen, deren größter Teil nahe dem Rentenalter ist.“ Für viele von ihnen spiele weniger die künstlerische Qualität eine Rolle, vielmehr seien persönlichen Gründe für das Dabeisein im Chor ausschlaggebend. „Zumeist sind es jene, die stets in der ersten Reihe stehen und seit Jahrzehnten immer nur das gleiche Repertoire singen wollen. Sie haben über die Jahre nach und nach die Jungen verdrängt.“ Resultat dieser Entwicklung ist, dass die von der Sing-Akademie zu Berlin veranstalteten Konzerte seit Jahren schon nicht mehr ohne Aushilfen gesungen werden können. Jüngstes Beispiel war eine Aufführung des „Elias“ von Mendelssohn in der Berliner Philharmonie. Nur ein Bruchteil des großen Chores bestand aus Mitgliedern der veranstaltenden Sing-Akademie – den Löwenanteil stellte die Potsdamer Singakademie, deren Leiter Horst Müller das Konzert auch dirigierte.

Nicht mehr förderungswürdig

Aber nicht nur der künstlerische und personelle Zustand der Sing-Akademie beunruhigt das Vorstandsmitglied. Es ist auch ihre materielle und finanzielle Situation: seit dem 30. Juni 2002 erhält die Sing-Akademie keinerlei Förderung mehr durch den Berliner Senat.

Professor Reinhardt Stollreiter steht dem Berliner Sängerbund vor, dem mittlerweile 220 Chöre angehören. Die beiden Singakademien gehören nicht dazu. Gleichwohl verfolgt auch Stollreiter die Entwicklung genau, denn der Sängerbund ist für die Senatskulturverwaltung der Hauptansprechpartner, wenn es um die Berliner Chorförderung geht. „Bislang fand die Subventionierung der Chöre ohne künstlerische Auflagen statt“, erklärt Stollreiter. „Seit gut einem Jahr jedoch gibt es eine ‚Chorjury‘, deren Aufgabe es ist, alle jene Chöre zu evaluieren, die sich um Subventionen beworben haben. Sie soll feststellen, ob die Chöre ihre bisherigen Subventionen auch weiterhin erhalten sollen, und ob nicht auch andere Chöre eine solche direkte Unterstützung verdient hätten. Kriterien wie die künstlerische Qualität, oder die Auslastung der Konzerte entscheiden darüber, ob und an welche Chöre die Senatssubventionen weiter gezahlt werden.“ Im Ergebnis dieser Bewertung ist nun der „Sing-Akademie zu Berlin“ die institutionelle Förderung gestrichen worden.

Etta Hilsberg, Dirigentin der „Camerata Vocale“, war jahrelang darum bemüht, dass die Chöre nach Leistungen bewertet werden. Sie äußerte jüngst in der „Berliner Morgenpost“ die Meinung, dass eine Vereinigung, deren Niveau katastrophal gesunken sei, keinen Pfennig mehr verdiene. Vor allem die Sing-Akademie West habe abgewirtschaftet. Dass dieser Traditionschor die institutionelle Förderung nun verloren habe, sei konsequent, meint Etta Hilsberg: „Die wollen einfach nicht wahrhaben, dass sie schlecht sind.“ Michael Rautenberg dazu: „Die reformwillige Fraktion hat immer davor gewarnt: ‚Wir dürfen nicht in die Evaluierung geraten. Wir fallen da durch!‘“ Zumal die Förderung nur auf den Erhalt des Chores ausgerichtet war und nicht auf die Förderung der Institution im Ganzen. Und dann kam der Bescheid: es gibt kein Geld mehr. Also nicht mal, was in den eigenen vier Wänden geprobt wird, erscheint dem Senat noch förderungswürdig. Und trotzdem ist die Fraktion der Konservativen eher bereit, die Sing-Akademie notfalls unter der Brücke weitersingen zu lassen, als mit Achim Zimmermann und seinem Chor zu fusionieren, der übrigens weitergefördert wird.“.

Kein Kompromiss in Sicht

Heute, beinahe 13 Jahre nach dem Fall jener verhängnisvollen Barriere, sind die beiden Chöre einander entfernter und fremder denn je. Während die Sing-Akademie weniger mit ihren Konzerten als mit öffentlich ausgestellten Besitzansprüchen in die Schlagzeilen der Feuilletons gerät, absolviert die Berliner Singakademie Jahr für Jahr ein von Publikum und Kritik gleichermaßen gelobtes, äußerst vielseitiges Programm.

Bemühungen in dieser Sache, einseitige gleichwohl, hat es schon sehr früher gegeben. Aus Anlass des 200. Jahrestages der Gründung der Sing-Akademie zu Berlin hatte der damalige Kultursenator Rohloff-Mommin 1991 beide Chöre zu einem Empfang ins Berliner Rote Rathaus eingeladen. „Ich habe der Sing-Akademie zu Berlin in Person ihres damaligen Direktors Hans Hilsdorf, quasi als symbolische Geste, einen Blumenstrauß überreicht, um damit deutlich zu machen, dass wir dieses Jubiläum nicht für uns beanspruchen, sondern den Chor mit seiner Tradition und Bedeutung respektieren und uns eher als künstlerische Verbündete sehen”, erzählt Achim Zimmermann. „Das ist bis heute nicht begriffen worden.“

Gesprächsangebote gab es immer wieder, vonseiten der Berliner Singakademie. Auch der Senat hat mit dem Vorstand der Sing-Akademie oft über die Vorteile einer Vereinigung diskutiert. „Nur drang davon nie etwas bis zum Chor selbst vor“, vermutet Achim Zimmermann. „Dort wusste man von unseren Vorschlägen wahrscheinlich gar nichts.“ Diese Anregungen waren konkret, zum Beispiel eine Reihe von Konzerten, die zu zwei Dritteln von Hans Hilsdorf und zu einem Drittel von Achim Zimmermann hätten dirigiert werden können. Es gab detaillierte Vorstellungen über verschiedene Teilchöre, darunter einen großen Chor, der etwa drei Konzerte jährlich im Bereich Chorsinfonik hätte veranstalten können und kleinere, flexiblere Ensembles. „Wir haben damals auch deutlich gesagt“, hebt Zimmermann hervor, „dass eine zusammengeführte Singakademie Platz für alle Mitglieder hätte, die hier ihre Heimat gefunden haben.“ Er trifft damit genau den Nerv, denn Vorurteile dieser Art unter den älteren Mitgliedern der Sing-Akademie begegnen Vorstandsmitglied Michael Rautenberg bei den Auseinandersetzungen innerhalb seines Chores allenthalben. Dabei sind seine Vorstellungen und die seiner reformwilligen Kollegen über die Möglichkeiten einer fusionierten Singakademie denen Achim Zimmermanns sehr ähnlich.

Bestürzend simpel und banal

Nach dem überraschenden Tod Hans Hilsdorfs, der die Sing-Akademie bis zuletzt als einzig wahren Erben der Zelter’schen Tradition verteidigte, schien der Konflikt im November 1999 eine neue Wendung zu nehmen. Würde die dirigentenlose und zudem überalterte Sing-Akademie nun die Chance ergreifen sich mit den vielgelobten Kollegen aus dem Osten zusammenzutun und Achim Zimmermann als neuen Chef zu akzeptieren?, fragte der „Tagesspiegel“ Im Gegenteil: Dass man einen Interims-Dirigenten wählte, den man versprechen ließ, binnen zwei Jahren den Chor aus seinem derzeitigen Tief auf das künstlerische Niveau des Namensvetters zu heben, war ein eindeutiges Signal in Richtung Berliner Senat: Die „Sing-Akademie zu Berlin“ beharrt auch nach der Ära Hilsdorf auf ihrer Eigenständigkeit!

Bei Lichte besehen stellt sich, was immer noch als „Sängerkrieg von Berlin“ kolportiert wird, als bestürzend simpel und banal dar. Hier ringen nicht zwei künstlerische Antipoden um Traditionen und zukünftige Wege, hier wird kein Ost-West-Konflikt mehr ausgetragen. Es geht längst nicht mehr um eine „geschichtlich bedingte Unversöhnlichkeit“ der Berliner Singakademie und der Sing-Akademie zu Berlin. Was da noch immer an ideologischen Vorbehalten geäußert wird, erweist sich als offenkundiges Alibi für die eigene Passivität.

Auch Karl Friedrich Zelter weiß das und ist umso ärgerlicher darüber: „Die haben nicht begriffen, dass auch ein Chor sich erneuern muss: neue Mitglieder, neue Programme, neue Visionen. Für die alten Damen sind die anderen die Kommunisten und bleiben die Kommunisten. Anwürfe auf niedrigstem Niveau – fürchterlich!“ Michael Rautenberg beschreibt diesen Zustand mit der Furcht vor einer unbedingt erforderlichen Qualitätssteigerung, der ein eigentümlicher Dünkel und eine gewisse Fremdenangst beigemengt seien. Dies sei das Haupthindernis für eine Vereinigung. Der trotzig behauptete Verdacht, das vorrangige Motiv des Ostberliner Chores für eine Vereinigung wäre ohnehin nur die damit verbundene uneingeschränkte Teilhabe an den „königlichen Privilegien“ und am materiellen wie ideellen Vermögen der Sing-Akademie zu Berlin ist denn auch bezeichnend für das Niveau der Debatte, die inzwischen keine mehr ist. Denn mittlerweile ist man in der Berliner Singakademie der immer wieder ausgeschlagenen Angebote müde und hat beschlossen, sich wieder mehr auf die eigene Arbeit zu konzentrieren.

Aber, und da sind sich alle hier Genannten einig, für eine Zusammenlegung der beiden Chöre gibt es in der Zukunft keine wirkliche Alternative. Für Achim Zimmermann ist ohnehin klar, dass es nicht ohne Kompromisse abgehen wird. „Sie werden letzten Endes bestimmt von dem, was wir wollen: wir wollen als eine gemeinsame Singakademie auch weiterhin künstlerisch in der Stadt bestehen.“

Bei der Frage freilich, wie man dem ein Stück näher kommen könnte, herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Alle Argumente sind vorgebracht, jetzt wäre endlich Handeln angesagt. So sieht es auch Michael Rautenberg: „Ich sage deutlich, man wird an einer Fusion nicht vorbeikommen, wenn man hier und jetzt in Berlin künstlerisch und finanziell überleben will. Alles andere wäre ein Gang in die Wüste.“

Wenn man in der Sing-Akademie schon nicht auf ein Vorstandsmitglied hört – auf wen dann? Rautenberg war voller Hoffnung, dass ein Mann wie Karl Friedrich Zelter Impulse geben könnte. Der hat es auch versucht und er versucht es weiter. Gerade hat er einen Brief an den Vorstand geschrieben mit dem Tenor, dass man sich wenigstens in dieser Phase, wo man gerade alles verliere, an einen Tisch setzen müsse. Vielleicht wird ja dieser Brief richtig gelesen und vielleicht geht ja bald ein Brief zurück nach Bassum mit einer Einladung zu einem Konzert oder einem Gespräch? Aber von Bassum nach Berlin ist es eben doch ganz schön weit.

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