Das so viele Maler inspirierende Licht, die blumige Luft und über die alten Gemäuer huschende Schatten – enge Gassen und steile Treppen winden sich nach oben. Vor den Türen blühen Oleander, Hibiskus und Geranien. Von der Terrasse des Palazzo Ricci eröffnet sich ein weiter Ausblick über ineinander verschachtelte Dächer in die harmonische Hügellandschaft der Toskana. Das unermüdliche Spiel der Mauersegler konkurriert mit der ebenso beharrlich ertönenden Musik. Aus den offenen Fenstern, aus denen dem Passanten einst die sehnsüchtigen Lautenklänge des Minnesängers entgegen wehten, dringen nun die schwingender Saiten der Schüler der bekannten Geigerin Ida Bieler. Einst wären sich hier die Talente Monteverdis und Michelangelos begegnet, heute sind es die von Studierenden und Lehrenden internationaler Musik- und Kunsthochschulen.
Montepulciano ist nicht nur die Heimat des berühmten Vino Nobile und des von Hans Werner Henze ins Leben gerufenen Cantiere: Seit zehn Jahren befindet sich hier auch der Sitz der Europäischen Akademie für Musik und Darstellende Kunst Montepulciano. Es begann alles mit einem Traum und einer Ruine. Im Jahr 2000 ergriff Franz Müller-Heuser, derzeit Rektor der Hochschule für Musik und Tanz Köln (HfMT), die Initiative zur Anmietung des Palazzo Ricci und, Rektor Werner Lohmann baute als künstlerischer Leiter das Haus zu der heute renommierten Musikakademie aus. Eigentlich „ein ziemlich abwegiges Unterfangen, von Deutschland aus einen völlig maroden Palazzo zu restaurieren, insbesondere, wenn man nur einen Bruchteil der Mittel zur Verfügung hat“, so Lohmann. Er sah nur eine Chance, „den Betrieb der Akademie in statu nascendi mit Meisterkursen aufzunehmen“. Unterstützung fand er bei seinen Kollegen/-innen, die bereit waren, unentgeltlich und unter improvisierten Bedingungen zu unterrichten.
Nicht nur, dass aus anfänglich 10 nun über 25 Kurse geworden sind – der Palazzo wurde auch Ziel nationaler und internationaler Projekte in Eigen- oder Fremdregie. Dieses Jahr findet bereits zum fünften Mal die Internationale Festwoche Europäischer Musikhochschulen statt. Geographischer Schwerpunkt ist Großbritannien und die Musikhochschule Detmold die NRW-Vertretung, an die die gemeinsam in Montepulciano erarbeiteten Konzerte anschließend gespiegelt werden. Der Erfolg gipfelt in der Gründung des „Kolleg Montepulciano“ im Februar 2010 als spartenübergreifende Initiative von vier Musikhochschulen und zwei Kunstakademien Nordrhein-Westfalens. „Wir wollen unseren Studierenden Möglichkeiten schaffen, außerhalb des Alltags an der Hochschule intensiv künstlerisch zu arbeiten und Verknüpfungen herzustellen“, konstatiert Martin Christian Vogel, Rektor der Hochschule für Musik Detmold. Diesen Herbst werden die beteiligten Hochschulen interdisziplinär das Thema „Improvisation“ erarbeiten, und 2012 steht „Moderne, Mythos, Zukunft“ auf dem Programm. Seit Sommer 2010 ist die Akademie im Palazzo Ricci nun offiziell An-Institut der HfMT, was nicht nur den Rektor Reiner Schuhenn aufgrund der Einzigartigkeit „eines eigenen Institutes im europäischen Ausland“ mit gewissem Stolz erfüllt.
Alles zusammengenommen wahrlich ein Anlass das 10-jährigen Jubiläum gebührend zu feiern. Eine Juniwoche war gefüllt mit einem hochkarätigen Konzert-Programm, Exkursionen sowie einer Probe des Vino Nobile im traditionellen Keller Crociani. Angereist waren bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, darunter Michael H. Gerdts, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Italien, der Bürgermeister von Montepulciano, Andrea Rossi, der Staatssekretär Helmut Dockter mit der Referatsleiterin Monika Schneidereit, Erwin-Walter und Heidi Graebner sowie Rafaela und Dieter Wilde als weitere Sponsoren und Hans-Georg Bögner als Vertreter der SK-Stiftung Kultur sowie zahlreiche Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer e.V. der HfMT Köln, der Rektor der HfMT Reiner Schuhenn sowie die Pro-Rektoren Joachim Ullrich und Heinz Geuen, um nur Einige zu nennen. Den stimmungsvollen Rahmen bildete das original erhaltene Barocktheater mit seinen Logen in rotem Plüsch und Weiß-Gold. Hier applaudierte sich das Publikum von einem Highlight zum nächsten, ob Ida Bieler Franz Schuberts Fantasia in do maggiore op. 159 D 934 spielte, Lars Vogt als Solist am Piano saß oder Ivan Monighetti (Violoncello) und Pavel Gililov (Pianoforte) als unvergessliches Duo Chopin und Beethoven interpretierten. Gililov ist von der ersten Stunde an als Lehrender mit dem Palazzo Ricci verknüpft und feierte nun sogar zusammen mit der Akademie seinen eigenen Geburtstag. Die Jazz-Matinée im dekorativ bemalten Musiksaal des Palazzo Ricci der 2009 gegründeten Band „Ebene 0“ kann als Öffnung des klassischen Akademie-Musikprogramms gelesen werden und fand großen Anklang.
Die Europäische Akademie für Musik und Darstellende Kunst Montepulciano ist mit ihren zehn Jahren zwar eine noch recht junge Institution, braucht aber einen Vergleich nicht zu fürchten, zumal sie internationales Renommee erlangen konnte sowie eine fächerübergreifende Vernetzung. Nicht zuletzt durch Erdmuthe Brand, seit 2002 Geschäftsführerin der Palazzo Ricci e.V., hat sich auch die Akzeptanz in der örtlichen Bevölkerung erhöht. Während die Winzerfamilie Crociani schon vor Gründung der Akademie mit dem Palazzo eng verbunden war – Tochter Susanna ist in der heutigen Sala di Puccini sogar geboren – hat es lange gedauert bis sich ein Freundeskreis an Konzertbesuchern gebildet hat. „Vor dem Cantiere gab es hier nur religiöse Feste“, erzählt Bruno Berugrolini und „nun besuchen schon 700 Kinder die örtliche Musikschule. Aber bis die Leute ein Verständnis für Kammerkonzerte haben, wird es noch dauern, jetzt lieben sie zumindest schon Chöre und Symphoniekonzerte.“ Das südländische Flair hat nicht nur Monteverdi und Michelangelo inspiriert – man darf optimistisch in die Zukunft blicken!