Nur in einem Punkt waren sich Teilnehmer und Referenten der Urheberrechtskonferenz am 7. und 8. Mai in Berlin einig: Das Urheberrecht muss so gestaltet werden, dass es kreative Leistungen fördert und stärkt. Spätestens nach diesem Bekenntnis, dem zumindest niemand zu widersprechen wagte, war allerdings Schluss mit den Gemeinsamkeiten.
Schon in den ersten Monaten ihrer Amtszeit, so die Justizministerin Brigitte Zypries in ihren Eingangsworten zur Konferenz, habe sie gelernt, dass man in Fragen des Urheberrechts an Reto Hilty, Direktor und Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, nicht vorbeikomme. In der Tat war Hilty als Eingangsredner wie als Teilnehmer aller folgenden Podiumsdiskussionen unangemessen präsent. Wenn seine Vorstellungen eines stark nutzerorientierten Urheberrechts in Beratungs- und Entscheidungsprozesse des Ministeriums Eingang finden – wie es offenbar der Fall ist –, dann mag einem um den Schutz des Urhebers in diesem Land bange werden. Im Verlauf der Konferenz jedenfalls verstärkte sich der Eindruck, dass es hier mehr um Beschränkung als um den Schutz des Urheberrechts ging.
Eingeladen hatte das Bundesjustizministerium. Dass diejenigen, die urheberrechtliche Fragen diskutieren und Gesetzesentscheidungen treffen müssen, in Zeiten der Digitalisierung keine leichte Aufgabe haben, lässt sich nicht leugnen. Genannt seien Stichworte wie Google Settlement, Internetpiraterie, Open-Access-Diskussion, Kulturflatrate. Die Initiative des Ministeriums, internationale Experten zu einer Diskussion einzuladen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, ist daher zu begrüßen. Die Wahl der Referenten allerdings war nicht eben glücklich: Neben Hilty war ein Kollege aus der Wirtschaftswissenschaft, Dietmar Harhoff von der Universität München, omnipräsent bei allen Diskussionen. Beide vertreten – als Wissenschaftler wohlgemerkt, viel weniger als betroffene Urheber – die Meinung, in Fragen des Urheberrechts müsse es eine „Balance of Interest“ (Hilty) zwischen dem Schutz des Urhebers und dem Nutzen für das Allgemeinwohl geben. Beide Redner fordern Schranken des Urheberrechts, von „Schutzexzessen“ ist die Rede, die es heute gebe.
Auch Harhoff gefällt sich darin, an die „gesellschaftliche Wohlfahrt“ zu denken, wenn es um die Nutzung von Urhebern geschaffener Leistungen geht. Er fordert deshalb differenzierte und wesentlich kürzere Schutzfristen (zwischen 5 und 30 Jahren ab Entstehung des Werkes!), damit die Nutzung der Werke anschließend von der menschlichen Gemeinschaft (kostenfrei) genutzt werden könne. Wie, so fragt man sich allerdings, ist es bei diesen Thesen eigentlich um den Begriff des Eigentums bestellt? Es geht doch im Urheberrecht nicht (nur) um Schutz oder „Alimentierung“ des Urhebers, sondern um den Schutz des Eigentums, in diesem Fall eben eines geistigen Eigentums. Dass geistiges und Sach-Eigentum hier offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen werden, erscheint gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise, die vor allem durch die maßlose und gesellschaftlich unverantwortbare Raffung von (Sach!-)Eigentum durch einige wenige entstanden ist, geradezu zynisch.
Ausgerechnet Künstler, die oft über kein nennenswertes Eigentum verfügen außer eben diesem geistigen, sollen nun also gerade jenes der „allgemeinen Wohlfahrt“ andienen? Eine Antwort auf die Frage, wie es denn mit dem Allgemeinwohl bestellt sei, wenn es zum Beispiel um Immobilien-Eigentum gehe, blieben beide Wissenschaftler jedenfalls schuldig. In der Diskussion um das Urheberrecht in der Wissenschaft war es immerhin einer, Literaturwissenschafts-Professor Roland Reuß, Mit-Initiator des für die Verfügungsfreiheit des Urhebers über das eigene Werk eintretenden „Heidelberger Appells“, der der abenteuerlichen These vom Allgemeinwohl und der angemessenen Balance deutlich widersprach: „Es gibt keine Balance in der Sache. Zunächst einmal zählt nur der Autor.“
Die meisten Kreativen sind, so haben wir außerdem am ersten Tag „gelernt“, ohnehin nicht auf Einnahmen aus der Nutzung ihrer Werke angewiesen. 80 Prozent von ihnen seien angestellt und verfügten damit über ein Auskommen unabhängig von den Einnahmen aus ihren Schöpfungen. Spätestens hier wurde die unglückliche Vermischung, die beide Experten zwischen Urheberrecht in der Wissenschaft und in der Kunst machten, deutlich. Und ein mangelndes Expertentum in Sachen Kultur- und Musikwirtschaft darf man dem Urheberrechtler Hilty außerdem anlasten. In der Diskussion über das Urheberrecht in der Unterhaltungswirtschaft waren durch ihn ganz neue Erkenntnisse zu gewinnen, zum Beispiel, dass die Musikwirtschaft, weil sie die Digitalisierung zu lange verschlafen habe, Schuld sei an der heute gängigen illegalen Piraterie im Internet. Dass sich die Musikwirtschaft beim legalen Online-Verkauf noch immer nicht dem Wettbewerb angepasst habe und horrende Preise verlange. Dass alles Neue, was in der Musik heute geschaffen werde, nur aus dem Bereich der neuen Medien stamme. Immerhin gab es die eine oder andere These, die von kompetenteren Gesprächspartnern wie dem Komponisten Bendik Hofseth, der IFPI-Vertreterin Shira Perlmutter oder GEMA-Vorstand Jürgen Becker widerlegt wurden. Auch mit der Verteufelung der sogenannten Intermediäre (Verlage, Tonträgerhersteller, Produzenten), die zum einen scheinbar unverhältnismäßig viel Geld kassieren und zum anderen wohl in Zeiten des Internet ohnehin keine Existenzberechtigung mehr haben (dieser Eindruck entstand jedenfalls während der Diskussion), waren nicht alle Diskutanten einverstanden. Gerade Hofseth, der sich doch eigentlich über die Vorstellung freuen müsste, seine Werke künftig ohne Zwischenstufe vermarkten zu können, betonte: „Wir brauchen die Intermediäre unbedingt.“
Weitere offene Fragen: Ersetzen „Google & Co“ die traditionellen Intermediäre? Übernehmen sie deren Funktion? Vieles ist nach wie vor in der Grauzone. Gleiches gilt für die „Kulturflatrate“: Wie hoch soll sie sein? Wer legt sie fest? Wer verteilt? Es gilt offenbar, neu auftretende Phänomene und Begriffe schärfer zu fassen und zu erklären.
Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack. Wenn diese Konferenz initiiert wurde, um eine kontroverse Diskussion auf hohem intellektuellem Niveau mit einigem Unterhaltungswert für die Zuhörer zu führen, so ist der Plan voll aufgegangen. Sollte das Ziel des Ministeriums allerdings gewesen sein, wirklich neue Erkenntnisse und Ergebnisse für die Zukunft des Urheberrechts in Deutschland und Europa zu gewinnen, so muss man sagen: Chance vertan! Beim nächsten Mal, liebe Frau Zypries, laden Sie doch bitte Vertreter verschiedener Positionen gleichwertig auf das Podium, lassen Sie neben der Wissenschaft die Urheber selbst verstärkt zu Wort kommen und die Position der Nutzer nicht durch Wissenschaftler, sondern eben durch Nutzer vertreten. Dann können wir mittelfristig vielleicht auf ein Urheberrecht im digitalen Zeitalter hoffen, das der Förderung der Kreativität tatsächlich zugute kommt!