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Oswald Beaujean. Foto: Julia Müller | Meret Forster. Foto: Ralf Wilschewski
Oswald Beaujean. Foto: Julia Müller | Meret Forster. Foto: Ralf Wilschewski
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Eine internationale Marke im siebzigsten Jahrgang

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Im Interview: Meret Forster und Oswald Beaujean leiten gemeinsam den ARD-Musikwettbewerb
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Der seit 1952 vom Bayerischen Rundfunk im Auftrag aller ARD-Rundfunkanstalten ausgetragene Internationale Musikwettbewerb der ARD gilt mit seinen 21 jährlich wechselnden Fächern als der größte Wettbewerb für klassische Musik weltweit. Der ARD-Musikwettbewerb 2021 läuft noch bis 17. September und ist aus verschiedenen Gründen anders als seine Vorgängerausgaben: zum einen feiert der ARD-Musikwettbewerb sein 70-jähriges Bestehen, zum anderen ist es der erste Wettbewerb, der nach dem wegen der COVID-19-Pandemie ausgefallenen Wettbewerb 2020 stattfindet. Andreas Kolb sprach mit den beiden künstlerischen Leiter*innen Meret Forster und Oswald Beaujean über den aktuellen ARD-Musikwettbewerb.

neue musikzeitung: Was ist das Besondere am Wettbewerbsjahrgang 2021?

Meret Forster: Erstmals in der Geschichte des ARD-Musikwettbewerbs führen wir den Wettbewerb in einer hybriden Form durch. Das heißt, die ersten Runden in allen vier Fächern sind bereits in digitaler Form Mitte Juli abgeschlossen worden. Alle zugelassenen Kandidatinnen und Kandidaten haben Videos mit dem Repertoire der ersten Runde eingeschickt, die sowohl in Ton und Bild unbearbeitet sein mussten, und wurden dann von allen Jurymitgliedern bewertet. Daraufhin konnten wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zweiten Runde einladen und hoffen nun sehr, dass wir sie ab dem 2. September auch live in München willkommen heißen können.

nmz: Wie begeht man das Jubiläum?

Oswald Beaujean: Da die Möglichkeiten beim Wettbewerb selbst sehr eingeschränkt sind, begehen wir es in erster Linie im Programm. Im ARD-Radiofestival sind regelmäßig Aufnahmen mit ehemaligen Preisträgern zu hören und auch alle drei Abschlusskonzerte werden live in den Kulturprogrammen der ARD übertragen, was ein Novum ist.

Forster: Das ARD-Radiofestival präsentiert über den gesamten Sommer ehemalige Preisträger in den sogenannten „Zweitkonzerten“ im Anschluss an die Haupt-Acts in der Strecke „Konzert und Oper“. Zudem übertragen wir auch alle zweiten Runden im Videolivestream.

nmz: Wie koordiniert BR-KLASSIK die diversen Sendewege Radio, Internet, TV et cetera?

Beaujean: Zum Glück haben wir das Organisationsbüro mit Elisabeth Kozik und Anja Krainz, sonst würden wir das sicher nicht schaffen. Und wir haben unseren Medienkoordinator Sebastian König, der die Videostreams über BR-KLASSIK organisiert und diverse Ausspielwege koordiniert. Streams sind gerade in diesem Jahr wichtig, weil wir auch bei der Zulassung des Publikums extrem restriktiv sein müssen. In den zweiten Runden können wir überhaupt kein Publikum zulassen. Sehr schade, weil es normalerweise dem ARD-Musikwettbewerb schon in der ersten, spätestens aber in der zweiten Runde extrem zuspricht. Deshalb haben wir uns entschieden, mehr Streams anzubieten.

Forster: Wir haben auch noch eine 30-minütige TV-Dokumentation von Michael Wende im Angebot, die anlässlich der 70 Jahre Wettbewerb am 19. September im Ersten gesendet wird. Am gleichen Tag läuft auch im BR-Fernsehen um 9.45 Uhr eine Matinee zum Finale im Fach Violine.

nmz: Jede Jury ist mit sieben Köpfen besetzt. Ist das Zahlenmystik, Aberglaube oder einfach damit die Abstimmungen klarer ausfallen?

Beaujean: (lacht) Sieben ist einfach die Mindestzahl, die man bei internationalen Wettbewerben zusammenstellen muss. Das ist eine Festlegung der Fédération (Weltverband der Internationalen Musikwettbewerbe), das hat also weder mit Corona noch mit Zahlenmystik etwas zu tun. Früher waren es sogar neun. Wir haben 2005 die Zahl aus Spargründen auf sieben reduziert. Wir mussten damals 30 Prozent des Etats einsparen. Aber wir haben damit über die Jahre sehr gute Erfahrungen gemacht. Es kann passieren, dass der Lehrer eines Kandidaten Mitglied der Jury ist. Die dürfen dann natürlich nicht mitstimmen. Wenn es dadurch zu einer Pattsituation kommen sollte, entscheidet der oder die Jury-Vorsitzende.

nmz: Wie wirkt sich der Verzicht auf Präsenz und das Einlassen auf die Tatsache aus, dass nicht jeder über ein Tonstudio verfügt, in dem er adäquat aufnehmen kann?

Forster: Die Videoeinsendungen sind mittlerweile eine gute, geprüfte und bewährte Krücke, um eine erste Runde im Wettbewerb durchzuführen. Es wäre nicht möglich gewesen, den Wettbewerb komplett digital zu realisieren, da spätestens beim Semifinale das Kammerorchester involviert ist und es auch darum geht, solistisch in einer Formation zu agieren und sich zu präsentieren. Natürlich ist eine Video-Bewertung nicht eins zu eins vergleichbar mit einer Präsenzbewertung. Wir vertrauen aber auf die verantwortungsbewussten und kompetenten Persönlichkeiten, die die Jurys formen.

Beaujean: Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist es auch keine völlig neue Situation. Es war schon länger so, dass wir zumindest die Vorrunde digital durchgeführt haben und durchführen mussten. In manchen Jahren gibt es 650 Bewerberinnen und Bewerber. Die hätten wir nie alle nach München holen können, weswegen wir mit Hilfe der Einsendungen die Zahl auf etwa 250 bis 270 reduziert haben. Jungen Musikerinnen und Musiker sind außerdem, wie wir in sehr vielen Fällen feststellen konnten, technisch sehr gut ausgerüstet oder haben zumindest über die Hochschule die Möglichkeit, Aufnahmen zu machen.

nmz: Gab es Täuschungsversuche?

Beaujean: Nein. Aber das war schon der Grund, weshalb wir seit einigen Jahren auf Videoaufnahmen umgestiegen sind. Diese sind unendlich viel schwieriger zu manipulieren als reine Audio-Aufnahmen.

nmz: Der Wettbewerb 2020 mit den Kategorien Klavier, Flöte, Posaune und Streichquartett ist ausgefallen: Wird er 1:1 nachgeholt?

Forster: Ja, wir haben diesen Jahrgang konsequent ins Jahr 2022 verschoben mit einer einmaligen, der außerordentlichen Situation geschuldeten Kulanzregelung: alle Bewerberinnen und Bewerber, die bis dahin die für 2020 geltende Altersgrenze schon überschritten haben, können sich wieder anmelden.

Wettbewerb im Wandel

nmz: Seit fünf Jahren teilen Sie sich die Verantwortung als künstlerische Leiter*innen. Herr Beaujean, Sie waren vorher schon in Verantwortung mit Axel Linstädt, 2016 kamen Sie dazu, Frau Forster. Was hat sich seitdem geändert, was sind Ihre Wunsch- und Zielvorstellungen?

Forster: Wir arbeiten nach wie vor an der Nachhaltigkeit des Wettbewerbs. Ein Wettbewerb hat immer etwas Kompetitives. Aber unser Anliegen ist es auch, darüber hinauszugehen, etwa indem wir Meisterkurse anbieten, indem wir versuchen, weiterhin Kompositionsaufträge zu erteilen, um das Solorepertoire der einzelnen Fächer zu erweitern, indem wir Networking am Rande des Wettbewerbs unterstützen und Agenten und Konzertveranstalter sowie innerhalb der ARD Kolleginnen und Kollegen zusammenzubringen, um diesen jungen und wirklich unglaublich begabten Musikerinnen und Musikern konkrete Perspektiven zu bieten und den Eintritt in einen Berufsweg zu ebnen. Das ist der Grund dafür, weswegen viele Kandidatinnen und Kandidaten teilnehmen. Denn die wirklich sehr moderaten Preisgelder allein sind es nicht.

Beaujean: Geändert hat sich ganz sicher die mediale Begleitung und Verbreitung. Die Berichterstattung über den Wettbewerb konnten wir stark intensivieren, und das Streaming-Angebot gab es in früheren Jahren ebenso wenig wie einen längeren Beitrag über den Wettbewerb im Fernsehen.

nmz: Das ewige Thema: Wird es Erste Preise geben?

Beaujean: Das wissen wir noch nicht. Nachdem es jahrzehntelang üblich war, dass man aus München nicht mit einem Ersten Preis abreist, sind wir jedoch grundsätzlich von dieser Denkweise abgekommen. Erste Preise galten als eine Riesenauszeichnung und waren früher eigentlich nicht zu erreichen, selbst große Künstlerinnen wie Kim Kashkashian sind lediglich mit einem Dritten Preis ausgezeichnet worden. Schon unter der Ägide von Christoph Poppen ist man von dieser Denkweise abgekommen. Axel Linstädt und ich haben das weitergeführt und auch Meret und mir ist es nach wie vor ein Anliegen, dass, wenn sich wirklich jemand findet, der oder die einen Ersten Preis verdient, dieser auch vergeben wird. Dieses Messen an imaginären ersten Preisträgern, das dazu führte, dass 30 Jahre kein Erster Preis etwa im Fach Oboe vergeben wurde, davon sind wir weg. Wie Heinz Holliger damals ge
spielt und von einer aktuellen Jury bewertet worden wäre, wissen wir schlicht und einfach nicht.

Forster: Früher hat man auch anders bewertet. Während heute jede Runde separat gepunktet wird, gab es früher ein Additionsverfahren. Da war es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, durch alle Durchgänge von allen Juroren eine maximale Punktzahl zu erhalten. Das hat dazu geführt, dass auch rein rechnerisch kaum jemand einen ersten Preis bekommen konnte.

nmz: In jeder der vier Gattungen, die 2021 dran sind, kann man theoretisch jeweils drei Preise gewinnen. Es gibt aber auch noch andere Preise, die man gewinnen kann, vom Publikums–preis angefangen. Gab es hier Veränderungen?

Forster: Wir haben diesmal drei neue Sonderpreise: einen Preis „für den schönsten Reger“ und den Carl Bechstein Sonderpreis im Fach Klavierduo sowie den Sonderpreis der Kronberg Academy im Fach Violine. Zudem haben wir seit mehreren Jahren das Siemens Arts Program als Hauptsponsor. Wenn wir diese Unterstützung nicht hätten, wäre der Wettbewerb in dieser Form gar nicht durchführbar.

nmz: Sind denn die Agent*innen wieder im Publikum aufgetaucht? Es gab schließlich durch Corona ein richtiggehendes Agentursterben.

Beaujean: Darauf sind wir auch sehr gespannt. Wenn Agentinnen und Agenten kommen wollen, werden wir natürlich alles daransetzen, es diesen zu ermöglichen.

Forster: Es ist uns wirklich ein großes Anliegen, diese Corona-Jahrgänge nicht verlustig gehen zu lassen. Musik und Kultur sind lebensnotwendig für die Gesellschaft und das soziale Miteinander. Dass diese hochqualifizierten Musiker genauso ihren Weg in ein Berufsleben erfahren können, angeschoben durch eine erfolgreiche Wettbewerbsteilnahme, ist notwendig und ein ganz wichtiges Signal. Jede Institution sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles dafür tun.

nmz: Wer hat die Auftragskompositionen dieses Jahr geschrieben?

Forster: Wir haben vier Auftragsstücke, die wir für die vier Fächer vergeben können. Dieses Jahr haben Vassos Nicolau für Klavierduo, Lisa Streich für Violine, Isabel Mundry für Gesang und Britta Byström für Horn geschrieben. Uns kommt es mit der Auswahl darauf an, Nachwuchskomponisten und bereits etablierte Kollegen zusammenzubringen. Deren Stücke werden im Semifinale in München uraufgeführt. Für die beste Interpretation der Auftragsstücke gibt es dann in jedem Fach auch noch einen Sonderpreis.

Kompetenz vor Quote

nmz: Wie viele weibliche, wie viele männliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer gab es dieses Jahr?

Forster: Unter den Gesichtspunkten haben wir das Teilnehmerspektrum nicht betrachtet. Wir haben keine Analyse der Geschlechterverhältnisse vorliegen.

Beaujean: Es ist seit Jahren schon so, dass sicherlich nicht weniger Damen als Herren beim Wettbewerb mitlaufen. Da scheint mir doch ein sehr ausgewogenes Verhältnis zu herrschen. Bei manchen Fächern ist es sogar eher frauenlastig.

Forster: Ich bin die Letzte, die nicht an der einen oder anderen Stelle eine Diskussion über eine Quote begrüßen würde, aber die Wettbewerbsbewertungen sollten nicht unter geschlechterspezifischen Kriterien erfolgen, sondern die Leistungen der Musikerinnen und Musiker in Betracht ziehen. In einer Preisvergabe eine Quotendiskussion zu führen, finde ich nahezu absurd. Denn hier gilt: Kompetenz vor Quote. Das ist das Wesen eines Wettbewerbs.

Beaujean: Worauf wir in der Tat sehr großen Wert legen, ist, dass die Jurys auch mit Jurorinnen besetzt sind. Das liegt in unserer Hand. Wie die Jurys dann entscheiden, das müssen sie schon selbst wissen. Das sollten wir auch nicht beeinflussen.

nmz: Worin sieht jeder von Ihnen seine Aufgabe und was wünschen Sie sich für die Zukunft des Wettbewerbs?

Beaujean: Wir versuchen wirklich, uns die Dinge sehr paritätisch zu teilen. Ich finde es sehr angenehm, Entscheidungen zu zweit zu treffen, und halte dies nicht für ein Handicap, sondern für einen großen Gewinn. Ich fände es toll, wenn wir zusammen und auch gemeinsam mit unserem fantastischen Organisationsteam den Wettbewerb weiter in die Zukunft führen könnten.

Forster: Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass dieser Wettbewerb für die ARD weiter durchführbar und tragfähig bleibt und auch vor dem Hintergrund der Beitragsdebatte nicht zur Diskussion gestellt wird. Der Wettbewerb ist ein Segment, wo sich die ARD auch weiterhin als kultureller Produktionsfaktor in puncto Nachwuchsförderung ganz bewusst positionieren kann. Denn der ARD-Musikwettbewerb ist und bleibt eine internationale Marke, die über Jahrzehnte aufgebaut wurde und die man nicht leichtfertig aufgeben sollte. Ich wünsche dem Wettbewerb mit uns im Team oder vielleicht dann auch unseren Nachfolgern einfach eine gute Zukunft.

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