Vergegenwärtig man sich den Aktionismus, die Aufgeregtheiten und Fehden, welche die Installierung von Vermittlungsprojekten wie JeKi oder „Kultur macht stark“ stets zu begleiten pflegten, so muss man die Existenz und das Wirken des Rates für Kulturelle Bildung als einen Segen empfinden. 2012 ins Leben gerufen als Verein, wird er getragen von einem Stiftungsverbund aus der Anstoß gebenden Stiftung Mercator sowie den kulturell engagierten Stiftungen von Susanne Klatten (Altana), Bertelsmann, Deutscher Bank, PwC und Siemens (die von Vodafone war bei der Gründung noch dabei) und deren zivilgesellschaftlichem Selbstverständnis.
Das dreizehnköpfige Expertengremium ist völlig unabhängig und dazu recht heterogen besetzt mit Pädagogen, Soziologen, Kultur- und Medienwissenschaftlern sowie Praktikern aus unterschiedlichen Künsten. Und so agiert der Rat dankbarer Weise ebenso praxisnah wie politikfern in einem immer wichtiger werdenden, beileibe nicht nur kulturpolitischen Handlungsfeld, in dem die einschlägigen Interessenvertreter mehr durch lautstarke Präsenz in den Vor- und Hinterzimmern der Politik glänzen, als durch Inhalte. Durch diese mitunter auch, aber oft scheinen sie mehr schlecht als recht, und weniger der Sache angemessen, deren Willen zum Selbsterhalt durch Fördertöpfe bloß lose umgehängt. Der Rat dagegen, mit entschiedener Klarheit, „sieht das Recht auf Kulturelle Bildung als Menschenrecht an, das allen Menschen – allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – einen Anspruch auf Teilhabe an Kunst und Kultur zusichert“, und er will zu diesem Behufe seinerseits Klarheit schaffen in dem hochkomplexen Gewirk von Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Gemeinden, Verbänden, Trägern und so fort sowie Zuständlichkeiten von Künsten, Künstlern, Institutionen, Menschen und deren Bedürfnissen.
Mit „Zur Sache“ legte der Rat Ende letzten Jahres seine nunmehr dritte Denkschrift vor, diesmal zu den Gegenständen, Praktiken und Feldern der kulturellen Bildung. Wie ihre Vorgängerinnen zeichnet sie sich ebenso durch profunde Analyse wie durch klare Schlussfolgerungen und Forderungen aus. „Alles immer gut“ war die erste Publikation des Rates, die Ende 2013 herauskam, sich mit den Mythen und Lebenslügen kultureller Bildung beschäftigte und mit wissenschaftlicher Klarheit und eloquenter Prosa unterstrich, dass der gute Wille zum Vermittlungsprojekt und dessen schieres Stattfinden nur unzureichende Maßstäbe sind für das Gelingen und die Nachhaltigkeit kultureller Bildung.
Schön, dass ihr da seid
Ende 2014 folgte dann unter dem abermals durchaus provokanten Titel „Schön, dass ihr da seid“ die Untersuchung zu Aspekten der Teilhabe und der Zugänge, eine kritische Bestandsaufnahme, wer alles wie und warum heutzutage an kultureller Bildung partizipiert beziehungsweise in den Genuss ihrer Versprechungen kommt. Ein Fazit von vielen war dabei, dass breiteste Teilhabe ebenso ein Qualitätsmerkmal zu sein habe (auch zwecks Behebung erheblicher Bildungsungerechtigkeiten) als auch der konkrete Bezug auf die Künste selbst (und nicht bloß ein umwegrationales instrumentelles Verhältnis zu ihnen); weitere Empfehlungen beziehungsweise Forderungen zielten auf die stärkere Qualifizierung und Professionalisierung von Kulturvermittlung in Forschung und Lehre.
Nun also „Zur Sache“, und abermals ist es beachtlich, wie der Rat der Komplexität seines Untersuchungsgegenstandes nicht aus dem Weg geht zugunsten einer dezisionistischen Pragmatik (siehe oben), nach der unmittelbar etwas zu geschehen habe, weil die Umstände es unbedingt erfordern – oder weil sie gerade, aus welchen Gründen auch immer, günstig sind. Da wehten die Lüftchen jüngst noch aus allerhand verschiedenen Richtungen: Begriffe wie Erweiterung des Kulturbegriffs, Globalisierung, Leitkultur, Migration, neuerdings die Werte lösten oft mehr Marken-, denn echtes Problembewusstsein aus: partikulare Betroffenheitsgesten, also ob flächendeckendes Theaterspielen mit Senioren eine grundsätzliche Änderung am gesellschaftlich herrschenden Umgang mit älteren Menschen bedeutete oder eine Baglama in jedem Schulorchester schon gelungene Integration sei.
Dabei ist nicht nur die Kunst, welcher Völker und Zeitalter auch immer, über Bord gegangen, sondern zugleich auch die gesamtgesellschaftliche Sicht auf die Kultur und die Menschen. Beides holen die Publikationen des Rates wieder ein, da dieser die kulturelle Bildung als „allgemeine Bildung in den, durch die und zu den Künsten“ nicht nur als Menschenrecht betrachtet, sondern auch als eben rechtmäßig zu beanspruchenden Beitrag zum „guten Leben“. – Entscheider, die sich derzeit mit Überlegungen herumplagen, die Kulturförderung von sogenannten Freiwilligen Leistungen auf solche zur Daseinsvorsorge rechtlich umzupolen, können sich hier manch guten Rat holen; alle anderen freilich auch (http://www.rat-kulturelle-bildung.de).
Was nun in der letzten Schrift mit Gegenstand gemeint ist, das geht über das schiere künstlerische Objekt weit hinaus, und selten hat man ein gleich starkes Plädoyer vernehmen können für das Primat der Künste und ihre umfassenden Wirkungen und Erfahrungsweisen, da sich in den einschlägigen Debatten doch jüngst alles nur noch um Anwendungen und Kompetenzen zu drehen schien. Solcher Transferforschung attestiert der Rat konsequenter Weise einen „methodologisch organisierten Verlust der Objekte“. Weitere Befunde der Denkschrift, die darüber hinaus begleitet wurde von einer Allensbach-Studie zum Kulturverständnis, den kulturellen Interessen und Aktivitäten von 9.-und 10.-Klässlern, betreffen das „Märchen von der Grundversorgung“, da die Hälfte des Unterrichts allein in Kunst und Musik schlicht nicht stattfindet sowie die auch dank der Allensbach-Studie offenbaren bestürzenden Ungleichheiten sowohl zwischen Schulformen als auch den Geschlechtern. Und mit einer angesichts alltäglicher Selektionsmechanismen wie Rankings, Likes und Hitlisten erneuerten Kanondebatte bricht der Rat abermals eine Lanze für Qualitätsdiskurse in den Künsten selbst, was mutig ist, erinnert man sich an die Polemik, mit der solche Debatten zumeist ausgetragen wurden.
Getragen von Zuneigung
Das alles und noch viel mehr ist umfassend betrachtet und mit Verve geschrieben, und die Empfehlungen an die Praxis und Öffentlichkeit der kulturellen Bildung sowie an Bund, Länder und Kommunen sind ebenso klar wie sinnvoll – sowie, ebenso selten wie dankenswert, von einer großen Zuneigung zu den Gegenständen wie den Akteuren und Adressaten kultureller Bildung getragen. Bleibt zu hoffen, dass diese auf Gegenliebe trifft auf Seiten derer, die mit Strukturanpassungen, Schwarzen Nullen, Lehr-, Haushalts- und Kulturentwicklungsplänen, Curricula etcetera beschäftigt sind. Denn auch das kulturell gebildete, gute Leben benötigt gute Häuser aller Art sowie das entsprechende und qualifizierte Personal.