Nathalie von Siemens ist seit Januar 2013 geschäftsführender Vorstand und Sprecherin des Vorstands der Siemens Stiftung. Innerhalb des Vorstands ist die promovierte Philosophin insbesondere für die Arbeitsbereiche Bildung und Kultur verantwortlich. Seit 2015 ist sie zudem Mitglied des Aufsichtsrats der Siemens AG und Sprecherin des Nationalen MINT-Forums. Andreas Kolb sprach mit ihr über das Musikprojekt „Music In Africa“ (musicinafrica.net), das sich Anfang April auf der Musikmesse Frankfurt und am Stand des ConBrio Verlages präsentieren wird.
neue musikzeitung: Wer ist die Siemens Stiftung?
Nathalie von Siemens: Es gibt uns seit 2008 – als eine gemeinnützige, vom Unternehmen Siemens gegründete Stiftung. Unser übergeordnetes Ziel ist es, einen Beitrag zu leisten zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung. In allen Gesellschaften, in denen wir arbeiten, in Deutschland und Europa, Lateinamerika und Afrika, gibt es vielfältigen Wandel. Und hier setzen wir an: Wir wollen Menschen dabei unterstützen, mit diesem Wandel umzugehen, verantwortungsvoll gegenüber der Gesellschaft und sich selbst, aber auch gegenüber der Umwelt. Dabei sind wir überzeugt, dass Technologie und auch die Möglichkeiten der Digitalisierung eine sehr große und positive Rolle spielen können.
nmz: Sie arbeiten als operative, nicht als fördernde Stiftung. Wie stellt sich das dar?
von Siemens: Wir sind in drei Arbeitsgebieten tätig: Grundversorgung, Bildung und Kultur. Dabei kreist unser Engagement stets um das Thema Technik, etwa, um erkannte Versorgungsdefizite auszugleichen oder durch Ausbildung in diesem Bereich gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Für die Kultur mag das auf den ersten Blick befremdlich klingen, aber: Thematisieren Künstler mit ihren Arbeiten die tiefgreifenden Veränderungsprozesse, die wir überall auf der Welt beobachten, thematisieren sie damit oftmals auch die Technisierung, die an vielen Stellen als Treiber dieser Veränderungen erkannt wird. Gerade Künstler haben ein enormes Potenzial, die Wahrnehmung für diese gesellschaftlichen Strömungen zu schärfen, kulturelle Reflexion anzustoßen und damit Perspektiven auf gesellschaftlichen Wandel zu eröffnen.
nmz: Und wo hat die Musik ihren Platz?
von Siemens: Im Speziellen konzentrieren wir uns in der Kultur auf die Bereiche darstellende Kunst und Musik. Und damit sind wir auch schon bei „Music In Africa“. Afrika ist ein Kontinent mit einem großen musikalischen Reichtum. Musik kommt dort einem der Sprache ähnlich wichtigen Kommunikationsmedium gleich.
nmz: Was ist „Music In Africa“ genau?
von Siemens: Ein Online-Portal, das sich zum Ziel gesetzt hat, gut recherchierte Informationen zum Musikschaffen auf dem afrikanischen Kontinent zugänglich zu machen: Übersichtsartikel zu den verschiedenen Musikszenen, Unterrichtsmaterialien, Musikkritiken, Neuigkeiten und Kontaktdaten von Musikern und Organisationen.
nmz: Weshalb wurde „Music In Africa“ gegründet?
von Siemens: In Afrika gibt es besonders viel besonders gute Musik. Musik, die auch eine ganz besondere soziale und kulturelle Bedeutung hat. Man denke zum Beispiel an den Hiphop im Senegal, dessen Inhalte gesellschaftspolitische Themen widerspiegeln und junge Menschen dazu bewegen, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen; oder den Klang des Taarab in Tansania, der in besonderer Weise mit der kulturellen Identität der Region verflochten ist. Allerdings gibt es nur unzureichende Mittel für den Erfahrungsaustausch zwischen Musikern, für die Bewahrung der Musik, also Archivierungsmöglichkeiten, ebenso fehlt eine differenzierte Berichterstattung. Diese Defizite wurden von den afrikanischen Musikern formuliert und hier kommt unser Beitrag ins Spiel: Wir arbeiten als Partner an der Verwirklichung ihres Traums – damit sich afrikanische Künstler auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch darüber hinaus und auf einem internationalen Niveau vernetzen und zusammenarbeiten können. Das, was sich auf Ihre eben gestellte Frage, was „Music In Africa“ ist, vielleicht banal anhörte, ist nicht weniger als die Voraussetzung dafür, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung dieser vielfältigen Musikszenen etwas verändert.
nmz: Wie ist „Music In Africa“ entstanden?
von Siemens: Die Siemens Stiftung ist der Initiator des Projekts und im Goethe-Institut haben wir einen kongenialen Partner gefunden. Auf beiden Seiten zogen Menschen mit Beharrlichkeit und Enthusiasmus an einem Strang. Vor allem unser Projektleiter Jens Cording hat sich sehr für das Portal eingesetzt. An der Konzeption waren schließlich mehr als 100 engagierte professionelle Musiker, Wissenschaftler, Journalisten, Manager und Pädagogen aus Afrika und vielen Ländern weltweit beteiligt. Damit „Music In Africa“ ein Projekt aus Afrika für Afrika wird, wurde schließlich 2013 die Music In Africa Foundation gegründet, die eine eigenständige, gemeinnützige Organisation mit Sitz in Südafrika ist und das Portal langfristig tragen wird.
nmz: Wie funktioniert die Vernetzung in Afrika bei immerhin 54 Nationen?
von Siemens: Afrika ist riesig und hat extrem unterschiedliche Musiktraditionen. Unser Projekt ist also ein sehr ehrgeiziges, aber das, was uns ermutigt, ist die Leidenschaft und Begeisterung der Künstler, ihr Votum für diese Plattform. Sie tragen die Idee weiter, vernetzen sich on- und offline. Jeder kann sich an „Music In Africa“ beteiligen: Musiker und Organisationen können ihre eigenen Profile einstellen und Autoren ihre Beiträge einreichen. Die technischen Möglichkeiten, die hier das Internet bietet, sind dabei von e-normer Bedeutung. Es ist eine Plattform entstanden, die über das Medium Musik einen bislang nicht dagewesenen Austausch anstößt. In Zahlen heißt das: Im November 2014 ist „Music In Africa“ online gegangen, heute haben wir 100.000 Besucher monatlich und ein Team aus Redakteuren mit über 100 Autoren aus ganz Afrika, die täglich neue Inhalte und Informationen zugänglich machen, die vorher nur regional verankert waren. Wir haben Informationen zu 18 Ländern, es gibt 1.500 Reviews und Musikkritiken, 300 sehr gut recherchierte Überblicks-texte und Kontaktdaten von über 8.000 Musikern und Institutionen. Das Ganze wird zusammengehalten durch ein 13-köpfiges Team, das in Südafrika, Senegal, Nigeria, Kenia und in der Demokratischen Republik Kongo sitzt und das Portal betreut – eine trockene Bestandsaufnahme, hinter der ein unglaublicher Kraftakt steckt.
nmz: Welche Wirkung beabsichtigen Sie (auch musikalisch) mit Ihrer Plattform?
von Siemens: Ganz wesentlich geht es um das musikalische Erleben, also das Musik-Hören, aber auch um die Stärkung einer aktiven und professionellen Ausübung von Musik und Musikmanagement. So hat das Projekt auf der einen Seite einen künstlerischen, auf der anderen Seite aber auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Auf einem „Music In Africa“-Konzert beim Bürgerfest des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck sagte der nigerianisch-deutsche Musiker Adé Bantu: „Musik ist die Waffe der Zukunft!“ Das, finde ich, trifft es sehr gut! Musik bewegt – emotional, aber auch innerhalb einer Gesellschaft. Musiker haben das Potential, gesellschaftliche Um- und Aufbrüche zu reflektieren, gesellschaftliche Missstände anzusprechen und Gestaltungskräfte für Zusammenhalt frei werden zu lassen, heute wichtiger denn je.
nmz: Gab es dabei auch schon Probleme, etwa wegen kritischer Texte?
von Siemens: Klar gibt es auch kritische Musik, man denke zum Beispiel nur an die politische Protestmusik im Senegal. Auch diese wird auf dem Portal behandelt; es ist wichtig, dass das möglich ist. Dennoch – sowohl die Music In Africa Foundation als auch die Siemens Stiftung und das Goethe-Institut haben keine politische Botschaft, wir wollen aber einen Raum schaffen, in dem Menschen an ihrer eigenen Gesellschaft mitarbeiten können und das tun die Musiker in Afrika. Selbstverständlich werden die Beiträge vor ihrer Veröffentlichung geprüft. Beiträge, die beispielsweise den Menschenrechten widersprechen, werden nicht aufgenommen.
nmz: Der Direktor der Music In Africa Foundation, Edington Hatitye, sagt: „Im Mittelpunkt steht immer der Nutzen für den Musiksektor, für die Musiker, die Veranstalter und Organisationen. Nur daran kann sich unser Erfolg messen.“ Ist die Siemens Stiftung hier in einer Wirtschaftsförderung unterwegs?
von Siemens: Sowohl die Siemens Stiftung als auch die Music In Africa Foundation sind gemeinnützige Organisationen und insofern keine Agenturen, die Künstler vermitteln und aus dieser Vermittlung Profit ziehen. Es geht im Wesentlichen darum, den Musikern einen Raum zu geben, sich zu präsentieren, sich fortzubilden, sich weiter zu professionalisieren. Auf einer übergeordneten Ebene heißt das, einen Dialog anzustoßen, Menschen dabei zu unterstützen, an der Zukunft ihrer Gesellschaften zu arbeiten. Wenn die Sichtbarkeit auf der Plattform dazu führt, dass sie als Künstler wahrgenommen werden und von ihrer Arbeit leben können, dann ist das eine wunderbare Folge. Dadurch wird ein kultureller Faktor zu einem zukunftsweisenden Faktor.
nmz: Was sind die Pläne für die Zukunft?
von Siemens: Wir werden „Music In Africa“ treu sein und das Projekt mit unseren Partnern so lange begleiten, bis wir alle 54 Länder erschlossen haben. Wir hoffen, dass wir bis 2022 Informationen zu allen Ländern des Kontinents auf der Seite bereitstellen können. „Music In Africa“ soll langfristig DIE Informations- und Vernetzungsquelle für Musiker und Musikszenen in Afrika sein. Außerdem ist uns wichtig, zu sagen, dass es nicht nur eine Online-Plattform ist, sondern auch eine Offline-Plattform. Konkret heißt das, wir wollen die facettenreiche, aufstrebende Kreativindustrie in Afrika auch in andere Teile der Welt bringen und über Möglichkeiten des wechselseitigen Austauschs diskutieren. Die Musikmesse in Frankfurt ist dafür eine gute Gelegenheit.