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Einfach eine Million einsparen

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Musikschulen Berlins – ein Strukturimpuls des VdM
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Familienministerin Ursula von der Leyen war aus terminlichen Gründen verhindert. Dafür hieß es bei der Eröffnung des VdM-Musikschulkongresses 2009: „Meine Damen und Herren, der Bundespräsident“, und der Kongress applaudierte stehend. Im Anschluss an das Grußwort von Präsident Köhler (siehe auch Seite 25) sprach der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, E. Jürgen Zöllner, über die Bedeutung der Musikschularbeit für die Bewohner der Hauptstadt. „Mir ist die vernetzte Bildungsarbeit in der musikalischen Bildung wichtig. Der Beitrag der Musikschulen ist wertvoll und sollte ausgebaut werden. Ich werde die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit nach Kräften unterstützen.“ Dass sein Amt gerade dabei ist, als Nebeneffekt der median orientierten Budgetierung der Bezirke, Musikschuletats drastisch zu kürzen, erwähnte er dabei in keinem Wort.

Auf diese Problematik hinzuweisen war Aufgabe einer von VdM-Geschäftsführer Matthias Pannes moderierten Diskussionsrunde unter dem Titel „Musikschulen Berlins – ein Strukturimpuls des VdM“. In dieser Strukturdebatte sollte es um die Zuständigkeit von Senat und Bezirken in Sachen Musikschule gehen. Hintergrund war der kürzlich veröffentlichte 1. Leistungs- und Qualitätsentwicklungsbericht der Berliner Senatsverwaltung. Dieser enthält an einer Stelle auch Hinweise auf die Notwendigkeit eines „gemeinsamen Daches“, das die Wahrnehmung der insgesamt zwölf Berliner Musikschulen auf gesamtstädtischer Ebene verbessern soll. Senator Zöllner hatte daraufhin eine Kommission ins Leben gerufen, in der alle zwölf Berliner Stadtbezirke politisch und fachlich vertreten sind.

Den Machtkampf zwischen Senat und den Bezirken repräsentierten auf dem Podium Hansjörg Tuguntke, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, und Kerstin Richter-Kotowski, Bezirksstadträtin für Bildung, Kultur und Bürgerdienste, Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Die Finanzautonomie, die der Regierende Bürgermeister Wowereit den Bezirksbürgermeistern zugesteht, ist nur eine scheinbare, da die Bezirke nicht über eigene Steuermittel verfügen und mit dem vom Finanzsenator zugewiesenen Geld Pflichtleistungen und freiwillige Pflichtleistung erfüllen müssen. Die größten Aufwendungen der Musikschulen fallen in den Bereich der Personalkosten, was vor allem in den Ostberliner Bezirken relevant wird, wo die Lehrer zu DDR-Zeiten einen anderen Status innehatten als Lehrer der kommunalen Musikschulen im Westen. So finden sich noch heute viele festangestellte Musiklehrer an den Schulen des ehemaligen Ostberlins.

Brisanz gewann die Veranstaltung durch aktuelle politische Entwicklungen. Im Abgeordnetenhaus wird derzeit über ein Wertausgleichssystem für den kommenden Doppelhaushalt diskutiert, das allerdings durch den gemeinsamen Widerspruch aller Bezirksbürgermeister bis Ende 2010 zunächst vom Tisch ist. Dieser Wertausgleich sollte das vorhandene Budget anders verteilen, was ausgerechnet für die Schulen mit dem mengenmäßig größten Unterrichtsaufkommen tiefe Einschnitte bedeutet hätte.

Das Publikumsinteresse war groß, der Saal platzte aus allen Nähten und Berliner Musikschullehrer entrollten ein Protestplakat – das ursprüngliche Diskussionsthema war etwas in den Hintergrund getreten. Michail Nelken, Bezirksstadtrat für Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung, Bezirk Pankow, verlangte ein Moratorium, um den Abfluss der Landesfördermittel zu verhindern. Er wollte damit Zeit gewinnen, denn nach der jetzigen Beschlusslage des Senats müsste er innerhalb von vier bis acht Wochen eine Million Euro aus dem Musikschuletat seines Bezirks einsparen.
Swea Hieltscher, Leiterin der Musik- und Singschule Wien, kennt die Berliner Musikschullandschaft aus eigener Anschauung, war sie doch einige Jahre Leiterin der Musikschule Hohen-Schönhausen. Der Etat für den Unterricht von ungefähr 40.000 Schülern beläuft sich in Berlin gegenwärtig auf 14,6 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Stadt Wien stehen 18 Millionen Euro für 10.000 Schüler zur Verfügung. Auch wenn Swea Hieltscher deutlich auf die unterschiedlichen Stadtstrukturen verwies, so betonte sie doch, dass ein gut ausgebautes, tragfähiges Musikschulangebot auch in Berlin vor allem die Frage des politischen Willens sei.

Neben dem Thema Festanstellung versus Honorarkräfte stand auch zur Debatte, inwieweit in Berlin noch immer das Zufallsprinzip vorherrscht, was Kooperationen mit allgemein bildenden Schulen betrifft. Man war sich einig, dass Unterrichtsangebote an Schulen nur durch qualifizierte Kräfte geleistet werden können, die dieser Qualifikation entsprechend honoriert werden müssten.

Winfried Richter, Vorsitzender des Verbandes deutscher Musikschulen, bot die Unterstützung und fachliche Beratung durch den VdM bei den zu lösenden Konflikten an – vorausgesetzt, die Kontrahenten wünschten dies, was sie auch taten. Udo Krzyzynski, der Vorsitzende des Landesverbandes Berlin, betonte in der Debatte, dass die Berliner Musikschulen nicht zum Kollateralschaden eines übergeordneten Machtkampfes zwischen Land Berlin und den Bezirken werden dürften.

Lobenswert: Die Doppelrolle von Trägerverband und Berufsverband macht es dem Verband deutscher Musikschulen nicht immer leicht, in aktuelle Konflikte einzugreifen. Doch mit dieser öffentlichkeitswirksamen Reaktion auf das Schrillen der Alarmglocken in Berlin zeigte der Verband Courage und kulturpolitisches Gespür. Nun wird es darauf ankommen, die Wirkung des auf dem Musikschulkongress angestoßenen Strukturimpulses nicht verpuffen zu lassen.

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