Und sie bewegt sich doch. Lange Zeit hat es so ausgesehen, als würde sich die Landespolitik ganz aus der Debatte um die vom Südwestrundfunk beschlossene Orchesterfusion heraushalten – mit der Berufung auf die Unabhängigkeit des Rundfunks. Am 13. Februar 2014 beschloss der Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst bei seiner Sitzung in Stuttgart einen von der SPD und den Grünen gestellten Antrag, „der Südwestrundfunk soll Modelle prüfen und entwickeln, die alternativ zur geplanten Fusion der beiden Sinfonieorchester des Senders geeignet sind, den Weiterbestand der beiden Klangkörper als eigenständige Einrichtungen zu ermöglichen.“ Für Gabi Rolland, Freiburger SPD-Landtagsabgeordnete und Ausschussmitglied, ist damit „die Tür der Politik einen Spalt aufgegangen“.
SWR-Intendant Peter Boudgoust, der von dem Ausschuss eingeladen worden war, stellte sich vor der Sitzung den rund 200 Demonstranten, die gegen die Orchesterfusion protestierten und der Ausschussvorsitzenden Helen Heberer 20.000 Unterschriften gegen die Orchesterfusion übergaben. „Fakt ist, dass wir seit sechs Jahren keine Beitragserhöhung mehr bekommen haben. Fakt ist, dass wir in diesem Jahr einen Fehlbetrag von 30 Millionen Euro geplant haben und im letzten Jahr einen Fehlbetrag von 40 Millionen Euro hatten“, sagte Boudgoust unter Buhrufen. „Die Or-chestermusiker erwarten Sicherheit, Zukunft und Bestandsschutz“, so der Intendant weiter. Uta Terjung, Orchestervorstand des SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, sah das anders. „Es geht nicht um das Prinzip Hoffnung, sondern um das Prinzip Verantwortung. Wir reden hier nicht von einer Kantine, die man zumachen kann und vielleicht übermorgen wieder auf. Wir reden von einem Leuchtturm, der über Baden-Württemberg hinaus, über Deutschland hinaus, der in die ganze Welt strahlt“, konstatierte die Geigerin unter dem Beifall der Anwesenden.
Auch bei den von Boudgoust genannten Zahlen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der SWR-Intendant hantiere damit so, wie es ihm gerade für seine Argumentation nützlich erscheint. Der vom Südwestrundfunk 2009 beschlossene Sparkurs wurde wegen „Prognosen sinkender Beitragseinnahmen, auf die sich der SWR vorausschauend einrichtet“ auf den Weg gebracht, wie in einer älteren Erklärung des Senders nachzulesen ist. Nun wird es durch die Umstellung von geräteabhängiger Rundfunkgebühr zu geräteunabhängigem Rundfunkbeitrag in den Jahren 2013–16 im Gegenteil Mehreinnahmen von geschätzten 1,146 Milliarden Euro geben, wie die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) Ende letzten Jahres prognostiziert hat – eine kapitale Fehleinschätzung des Senders. Dass der SWR im Augenblick keinen Zugriff auf diese Gelder hat, weil sie bei der KEF erst einmal eingefroren sind, wird von der Pressestelle des Südwestrundfunks immer wieder betont. Aber die Einsparungen durch die Orchesterfusion von langfristig 25 Prozent sollen auch erst ab 2016 greifen. Für diesen Zeitraum könnte vom SWR ein neuer, erhöhter Bedarf angemeldet werden. Im Augenblick ist ohnehin noch nicht klar, wie die Mehreinnahmen verwendet werden sollen. Der von der KEF gemachte Vorschlag, den Rundfunkbeitrag ab 1. Januar 2015 um die 73 Cent zu senken, die mehr eingenommen wurden, wird in der öffentlichen Diskussion inzwischen kaum mehr aufgegriffen. Nach der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Vorsitzende der Rundfunkkommission, haben nun auch das Beratungsunternehmen DIW Econ und der einflussreiche sächsische Medienpolitiker Johannes Beermann vorgeschlagen, zumindest einen Teil der Mehreinnahmen zu behalten und über deren Verwendung grundsätzlich zu diskutieren.
Es ist also vieles im Fluss und kann gestaltet werden – wenn man es denn möchte. Kabarettist und Fusionsgegner Matthias Deutschmann, der Boudgoust bei der Kundgebung in Stuttgart ironischerweise das Megaphon hielt, betonte die kulturelle Verantwortung, die der Südwestrundfunk habe. „Das Thema ist auf dem Weg in die Politik. Dort gehört es auch hin. Raus aus diesen geschlossenen Gremien des SWR, raus aus der Atmosphäre von Unterdrückung, Bespitzelung und Gängelung – mitten hinein in die Kulturpolitik. Und nicht in einen Rundfunkrat, der aus Spesenrittern besteht, die Streuselkuchen essen, aber keine kulturellen Entscheidungen verantworten können.“ Dass auch SPD-Fraktionsvorsitzender Claus Schmiedel bei der Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus vorbeikam, um seine grundsätzliche Bereitschaft zum Gespräch mitzuteilen („Wenn es eine Lösung geben soll, dann soll es eine Lösung einer gemeinsamen Verantwortung geben“), wirkte auf die Demonstranten so wärmend wie der Sonnenstrahl, der im gleichen Moment die grauen Wolken in Stuttgart aufriss. Die 41 badischen Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die sich in einer am 7. Februar 2014 veröffentlichten parteiübergreifenden Initiative ebenfalls für einen Erhalt des SWR-Sinfonieorchesters einsetzen, dürften den kulturpolitischen Druck auf den SWR ebenfalls erhöhen.