Vor mehr als 60 Jahren schlossen sich im Nachkriegsdeutschland einige Jazzbegeisterte mit ihren „Hotclubs“ zur Deutschen Jazz Föderation zusammen. Zunächst noch als „Einkaufsgemeinschaft“ für Schallplatten und amerikanische Bands gedacht, wurde die DJF bald auch als Veranstalter für den deutschen Jazz aktiv. 1953 fand in Frankfurt das erste von der Föderation veranstaltete Deutsche Jazzfestival als Werkschau des deutschen Jazz statt. Noch heute gibt es dieses Festival, inzwischen allerdings vom Hessischen Rundfunk und der Stadt Frankfurt veranstaltet, und noch immer ist die DJF als Interessensvertretung deutscher Jazzveranstalter aktiv. Erst kürzlich hat sie als Teil der Bundeskonferenz Jazz auf der Bremer Jazzmesse jazzahead! von sich reden gemacht – mit der Unterzeichnung einer Willenserklärung, die faire Mindestgagen für deutsche Jazzmusiker fordert. Die Präsidentin der DJF, Suzette Yvonne Moissl, erklärt im nmz-Gespräch, warum diese Forderung nicht bedingungslos für alle Veranstalter gelten kann und warum sich traditionelle Jazzclubs dem modernen Jazz öffnen müssen.
neue musikzeitung: Frau Moissl, Sie organisieren mit Palatia Jazz selbst ein internationales Jazzfestival. Seit 2003 stehen Sie der Deutschen Jazz Föderation als Präsidentin vor und sind damit Repräsentantin für eine Vielzahl ehrenamtlich arbeitender Clubs, aber auch für einige professionell aufgestellte Veranstalter größerer Jazzfes-tivals. In diese Zeit fällt zum Beispiel der erfolgreiche Start der Bremer jazz-ahead! 2006, die Sie als Verband mit initiiert haben und als Gründungsmitglied in der Bundeskonferenz Jazz als ein wichtiges Entwicklungsprojekt zur Förderung des Jazz in Deutschland mit unterstützt haben, aber auch größere „Stürme“ wie der Streit um die Anpassung der GEMA-Tarife für Club- und Diskothekenbetreiber im Jahr 2012. Inzwischen sind die Tarife im Sinne der Veranstalter nachgebessert worden. Ist das Thema damit ausgestanden?
Suzette Yvonne Moissl: Nein, daran müssen wir noch weiter arbeiten, denn die Prozentualsätze sind zwar gegenüber den großen Tourneeveranstaltern erheblich reduziert worden, auch für Kleinveranstalter, aber jetzt gleichen sich die Tarife sukzessive in den kommenden Jahren in jährlichen Erhöhungen wieder aneinander an. Das heißt, für die Großveranstalter sinken sie wieder und für die Kleinveranstalter steigen sie. Sodass wir am Ende wieder da stehen, wo wir schon waren, dass aus unserer Sicht eine zu hohe Belastung für die kleinen ehrenamtlichen Clubs vorliegt.
nmz: Die GEMA hat den kleinen Veranstaltern also nur eine Frist eingeräumt, während der sie sich an die neuen Tarife finanziell „heranarbeiten“ können?
Moissl: So in etwa ist es von der GEMA wohl angedacht. Wir sagen aber, es kann generell nicht sein, dass die kleineren Veranstalter solch hohe Urheberabgaben zahlen müssen, denn es kommt, das bestätigen die Künstler, am Ende nicht wirklich bei ihnen an, weil ein großer Teil der Gelder aus unserer Sicht in der Verwaltung versickert …
nmz: … oder in Umverteilungen verschwindet, bei denen der tatsächlichen Urheberschaft der gespielten Musik keine Rechnung getragen wird …
Moissl: Das ist eine Vermutung, der ich durchaus Recht geben möchte, zumal es für uns als Veranstalter sehr undurchsichtig ist, wie die Gebühren umverteilt werden. Wenn man mehr Einblick hätte, würde man vielleicht eher verstehen, wofür man da bezahlt.
nmz: Fordern Sie als Verband also explizit eine größere Transparenz bei den Verteilungsschlüsseln der GEMA?
Moissl: Das wird durchaus von uns gefordert, allerdings noch mehr von unserem Partnerverband, der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ), die als Vertreter von Urhebern natürlich wissen will, was bei denen am Ende ankommt.
Wir unterstützen die UDJ dabei, denn wir wollen mit dieser Abgabe ja die Kunstform Jazz fördern und nicht einfach Gelder für eine beliebige Umverteilung bereitstellen.
nmz: Sie erwähnen Ihre Zusammenarbeit mit der UDJ. Kürzlich haben Sie auf der Jazzmesse jazzahead! in Bremen gemeinsam mit der UDJ eine Willenserklärung mitgezeichnet, in der Jazzmusikern eine Mindestgage von 250 Euro für Club- und 500 Euro für Festivalauftritte zugesichert werden soll. Inwieweit haben Sie als Vertreter der Veranstalter bei der Ausarbeitung dieser Willenserklärung mitgearbeitet?
Moissl: Die UDJ hat das Thema bereits im vergangenen Jahr in der Bundeskonferenz Jazz auf den Tisch gebracht und wir haben dazu unverändert eine andere Einstellung. Grundlage für die Initiative war ein Missverhältnis, das in deutschen Clubs zwischen den Gagen für deutsche Künstler und denen für ausländische Künstler besteht: In Berlin gibt es pro Musiker in der Regel eine Abendgage von 50 Euro, manchmal auch 100 oder 150 Euro. Zu wenig, um damit alleine seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und so sehen sich die Musiker gezwungen, ihr Einkommen aufzubessern, indem sie Musikunterricht geben, in Kneipen jobben oder Taxi fahren. Gleichzeitig beobachten wir aber, dass wohl desöfteren in denselben Clubs weit höhere Gagen gezahlt werden, wenn Künstler aus anderen europäischen Ländern oder Übersee kommen – oder sogar namhaftere Deutsche Künstler spielen –, da geht es dann schon einmal über 1.000 oder 2.000 Euro hinaus. Die Künstler-Mitglieder der UDJ haben sich deshalb vollkommen zu Recht an ihren Verband gewandt.
Wir finden das ebenfalls ungerecht, weil jeder gut ausgebildete Berufsmusiker ein angemessenes Honorar für seine Leistung bekommen muss, wie in jedem anderen Berufsfeld auch. Wir haben die Spielstättenlandschaft jedoch untersucht und festgestellt, dass nicht jeder Veranstalter in der Lage ist, diese Honorare zu zahlen, weil bei den Veranstaltungen nicht immer so viel Geld generiert werden kann. Als Dachverband der Jazzveranstalter konnten wir die Willenserklärung also nur unter der Voraussetzung unterschreiben, dass diese Forderung nur für Clubs besteht, die auch öffentliche Fördermittel erhalten. Wer öffentliche Mittel bekommt, hat aus unserer Sicht die Pflicht, diese auch an deutsche Künstler weiterzugeben, die eigene Szene damit zu stärken und damit nicht nur ausländische Musiker zu holen.
nmz: Ist das der UDJ nicht zu wenig, wenn Sie einem, wahrscheinlich nicht allzu kleinen, Teil der Veranstalter diese Hintertüre offenhalten?
Moissl: Wir haben durch unsere Untersuchungen festgestellt, dass diese Ausnahme der Veranstalter, die ohne Förderung auskommen müssen, überwiegend die traditionell ausgerichteten Veranstalter darstellen, also nicht unbedingt die Clubs, in denen die Mehrzahl der professionellen Jazzmusiker spielt. Aber die UDJ hat auch verstanden, warum wir diese Einschränkung benötigen, zumal wir uns, was die traditionellen Jazzclubs angeht, gerade in einer Phase des Umbruchs befinden, die auch mit einem Generationenwechsel einhergeht. Das heißt, wenn die traditionellen Jazzclubs überleben wollen, müssen sie sich dem jungen Publikum und damit moderneren Stilformen öffnen. Das ist ein Prozess, der seine Zeit braucht.
nmz: Wenn man davon ausgeht, dass das Publikum des traditionellen Jazz sukzessive von jüngeren Jazzfans, die auch moderne Stilformen hören wollen, abgelöst wird, muss man sich da über die Lebensfähigkeit von Jazzclubs in der Zukunft überhaupt Sorgen machen?
Moissl: Sie müssen eines sehen: Wenn ein „traditioneller“ Jazzclub stirbt, stirbt damit eine gut eingeführte, bekannte Spielstätte mit einem großen Bekanntheitsgrad, Stammpublikum, in der Jazz gespielt werden könnte. Das zu ersetzen, indem man etwas Neues initiiert, ist wesentlich schwieriger, als das Bestehende weiterzuentwickeln, zu öffnen. Deshalb sollten die traditionellen Clubs ihre Programme öffnen und statt 40 Konzerte mit dem gleichen Repertoire zu veranstalten, auch einmal 10 Konzerte mit zeitgenössischer Musik anbieten und damit neue Ideen und neue Besucher in den Club hineinbringen. Nur so kann man diese Spielstätten am Leben erhalten. Es geht mir um die Rettung der Jazzspielstätten! Dagegen, dass einige von diesen Clubs eine Historie haben, ist nichts einzuwenden, aber wenn die Spielstätten verlorengehen, wissen die Musiker nicht mehr, wo sie spielen sollen. Dann machen sie „Door-deals“ (vorab vereinbarte Aufteilung der Eintrittsgelder zwischen Musiker und Veranstalter; Anm. d. Red) mit Locations, die gar keine Jazzaffinität haben, in denen dann Leute sitzen, die laut quatschen und die Musik eher als störend empfinden.
nmz: Sie appellieren also an die traditionellen Jazzclubs, sich im Sinne der Erhaltung einer gesunden Jazzclublandschaft neuem Repertoire zu öffnen?
Moissl: Unbedingt! Die Spielstätten dürfen Historie haben, aber sie müssen sich dem zeitgenössischen Jazz öffnen! Den Veranstaltern dies klar zu machen, ist derzeit eine unserer wichtigsten Aufgaben: In unserem Verband sind über 160 Jazzclubs organisiert und davon sind weit über 60 Clubs traditionell ausgerichtet. Sie müssen wissen, dass es in Deutschland insgesamt nur etwa 300 Spielstätten gibt, die mehr oder weniger regelmäßig Jazz im Programm haben. Darunter sind allerdings viele sogenannte „Mischspielstätten“, in denen ganz unterschiedliche Musikstile angeboten werden. Unsere 160 Clubs repräsentieren also in etwa die Spielstätten, die sich ausschließlich dieser einen Musikgattung widmen. Wenn darunter so viele traditionell geführte Clubs sind, müssen wir als Verband wirklich zusehen, dass wir die Clubs endlich in eine neue Zeit führen, um ihr Überleben zu sichern.