Unter der Überschrift „Kulturelle Bildung in Deutschland als gesamtstaatliche Aufgabe und als Teil eines Gesamtkonzepts der Bildung“ hat die SPD-Fraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. 37 Fragen beschäftigen sich unter anderem mit den Themen einer gesamtstaatlichen Strategie der kulturellen Bildung, der Ressortüberschneidung, des Ko-operationsverbots; gefragt wird nach Förderkriterien, nach der Rolle des demografischen Wandels, nach der kulturellen Bildung in der allgemeinbildenden Schule. Schließlich geht es auch um die Themen Interkultur und Inklusion. Für die nmz sprach Barbara Haack mit Siegmund Ehrmann, MdB und kulturpolitischer Sprecher der SPD, über die Kleine Anfrage.
neue musikzeitung: Gibt es einen aktuellen Anlass für Ihre intensive Beschäftigung mit dem Thema Kulturelle Bildung?
Siegmund Ehrmann: Kulturelle Bildung ist nicht erst seit gestern ein wichtiges Thema, sondern schon seit längerem Schwerpunkt sowohl der Bildungs- als auch der Kulturpolitik. Zwar liegt kulturelle Bildung im Kompetenzbereich der Länder, doch auch wir Bundespolitiker beschäftigen uns seit Jahren damit. Die Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat dem Thema 2007 ein ganzes Kapitel ihres Abschlussberichts gewidmet, im letzten Jahr hat der Nationale Bildungsbericht einen Fokus auf kulturelle Bildung gesetzt. Zahlreiche Projekte wurden und werden aus Bundesmitteln gefördert, etwa die Programme „Jedem Kind ein Instrument“ und „Kulturagenten“ über die Kulturstiftung des Bundes. Aktuell läuft das Programm „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an, mit dem über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren insgesamt 230 Millionen Euro in kulturelle Bildung investiert werden. Kurzum, das Thema ist überall präsent, es wird viel getan, es wird auch viel Geld ausgegeben, aber es läuft aus unserer Sicht auch viel neben- und durcheinander. Deshalb hat meine Fraktion nun eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um einen Überblick über die verschiedenen Förderbereiche zu gewinnen und die Frage zu stellen: „Gibt es ein Gesamtkonzept?“.
nmz: Kurz zusammengefasst: Was sind für Sie die drängendsten Themen im Bereich der kulturellen Bildung? Wo würden Sie zuerst ansetzen, um etwas zu verändern?
Ehrmann: Mir fallen zwei Dinge ein, die besonders drängen: Zunächst einmal die kulturelle Bildung in allgemeinbildenden Schulen. Sie hat die größte Breitenwirkung und legt bei allen Kindern und Jugendlichen den Grundstein für eine lebenslange Beschäftigung mit Kultur. Zuallererst müssen die musischen Fächer an allgemeinbildenden Schulen wieder gestärkt werden. Denn all die zusätzlichen Programme, die etwa der Bund oder private Stiftungen auflegen, bringen wenig, wenn gleichzeitig jahrelang der schulische Musik- oder Kunstunterricht ausfällt. Der andere Punkt: Es wird viel Geld in Förderprogramme investiert, aber diese Programme folgen keinem Gesamtkonzept, das heißt es bleibt unklar, welche langfristigen Verbesserungen angestrebt werden. Viel Geld für Tropfen auf einen heißen Stein auszugeben, können wir uns nicht erlauben. Natürlich ist es gut, wenn große Summen bereitgestellt werden. Aber man könnte so viel mehr damit erreichen, wenn die verschiedenen Förderer sich besser koordinieren und nicht einfach nach dem „Prinzip Füllhorn“ fördern würden. Ein aktuelles Beispiel ist das oben genannte Programm „Kultur macht stark“, das das BMBF aufgelegt hat, ohne sich im Geringsten mit den Ländern abzustimmen. Natürlich beschwert sich niemand über diesen Geldsegen. Aber an vielen Orten müssen sich nun kurzfristig Strukturen anpassen, um die Förderbedingungen zu erfüllen. Das führt manchmal zu hanebüchenen Verrenkungen. Hätte das BMBF den Dialog mit den Ländern vorher gesucht, die ja viel näher an den Institutionen dran sind, hätte das Programm besser auf die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden können.
nmz: Halten Sie die Verteilung des Themas „Kulturelle Bildung“ auf verschiedene Ressorts für gut oder würden Sie es zentraler beziehungsweise anders strukturieren?
Ehrmann: Kulturelle Bildung ist ein politisches Querschnittsthema. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass verschiedene Ressorts in der Horizontalen und sowohl Bund, als auch Länder in der Vertikalen gemeinsam Verantwortung tragen – auch wenn es dabei „Reibungsverluste“ gibt. Gerade aber weil so viele Akteure beteiligt sind, ist eine starke Koordination und auch eine gemeinsame Zielrichtung notwendig, die ich nicht erkennen kann.
nmz: Sind Sie für eine Lockerung des Kooperationsverbots im Bereich der (kulturellen) Bildung?
Ehrmann: Ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern ist in einem so zentralen Thema wie der Bildung unverzichtbar. Deswegen ist die SPD-Bundestagsfraktion für eine Abschaffung des Kooperationsverbots im gesamten Bildungsbereich.
nmz: Wie bewerten Sie konkret die Situation der musikalischen Bildung?
Ehrmann: Die musikalische Bildung ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Kunstsparten besonders klar organisiert, einerseits durch den schulischen Musikunterricht, andererseits durch die vielen öffentlichen und privaten Musikschulen. Freiberufliche Musikpädagogen und Musikvereine ergänzen das musikalische Bildungs-angebot. In Verbindung mit den Musikhochschulen und -akademien verfügt Deutschland im internationalen Vergleich deshalb immer noch über eine herausragende Stellung und ist für Spitzenqualität bekannt. Das alles ist ein großes Glück, aber diese Qualität will auch gehalten werden.
Besonders der schulische Musikunterricht ist von der Erosion der musischen Fächer betroffen. In den Genuss von Instrumentalunterricht kommen nur zehn Prozent einer Alterskohorte. Und diejenigen, die Musik unterrichten, leben davon meistens mehr schlecht als recht, weil an den Schulen keine Stellen für Musiklehrer geschaffen werden, weil an Musikschulen und Musikhochschulen Festangestellte sukzessive durch Lehrbeauftragte und Honorarkräfte ersetzen. Es ist daher kein Wunder, dass das Alltagsmusizieren zurückgeht. Hinzu kommt noch – aber das wäre ein weiteres wichtiges Thema – die Frage der Entlohnung von Lehrbeauftragten und Honorarkräften, die oftmals nicht gut ist.
Interview: Barbara Haack