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Im Interview: Theo Geißler (li.) mit Martin Maria Krüger. Foto: Martin Hufner
Im Interview: Theo Geißler (li.) mit Martin Maria Krüger. Foto: Martin Hufner
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„Es war die falsche Abwägung“

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Der Präsident des Deutschen Musikrates, Martin Maria Krüger, zum Thema „ECHO und die Folgen“
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„Den ECHO wird es nicht mehr geben.“ Das verkündete der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) am 25. April 2018. Er zog damit die Konsequenzen aus dem Skandal um die Auszeichnung an die Rapper Kollegah und Farid Bang und kündigte einen „vollständigen Neuanfang“ an, „der auch eine Neuaufstellung bei ECHO KLASSIK und ECHO JAZZ nach sich zie-he“. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrats, und Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Präsident des Deutschen Kulturrats, hatten als Mitglieder des ECHO-Beirats diese Auszeichnung zunächst mitgetragen, waren dann aber aus dem Beirat ausgetreten. Theo Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung, traf sich in Berlin mit Martin Maria Krüger und sprach mit ihm über die Hintergründe, die Ursachen und die möglichen Folgen dieser Entscheidungen.

Theo Geißler: Den ECHO gibt es nicht mehr. Er wurde vom BVMI als der wichtigste deutsche Musikpreis vermarktet. Ich frage Sie als Präsidenten des Deutschen Musikrates: „War der ECHO der wichtigste deutsche Musikpreis?“

Martin Maria Krüger: Nicht aus Sicht des Deutschen Musikrates, denn der hat den Deutschen Musikwettbewerb für den professionellen Spitzennachwuchs des klassischen Musikbereichs. Aber nach anderen Kriterien, zum Beispiel Wirtschaftsförderung, natürlich schon.

Geißler: Es ging beim ECHO nicht um Qualität, es ging in erster Linie um Quantität und dennoch gab es ein Gremium, das diesem Preis eine Art moralische Würde verliehen hat: der Beirat. In diesem Beirat saßen sieben Menschen, unter anderem der Präsident des Deutschen Kulturrats, jemand aus der Katholischen, jemand aus der Evangelischen Kirche, Künstler und Sie. Dieses Gremium hat sich nicht dagegen gewehrt, als ein Gangster-Rap, der in seinem Text in übelster Weise sexistisch, antisemitisch und politisch radikal war, nominiert wurde. Warum nicht?

Krüger: Zunächst einmal müsste man sagen, dass es Gangster-Rap dann gar nicht geben dürfte. Denn das dürfte textlich die wohl härteste Sparte der Popmusik sein. Daher muss man das im Einzelfall immer wieder ausloten. Der Beirat hat ganz sicher einen Fehler gemacht – bis auf die Vertreterin der Katholischen Kirche, die bekanntermaßen anders votiert hat. Er hat nämlich in seinem Abwägen zwischen den Grenzen der künstlerischen Freiheit und der unmittelbaren Textbetrachtung den Fehler gemacht, so zu interpretieren, dass dieser Song in einen Grenzbereich fällt. Der Beirat hat in seinem Statement auch deutlich gemacht, dass es so nicht weitergehen könne und man darüber sprechen müsse. Aber es war eine Fehlentscheidung, und die muss ich auch ganz persönlich auf mich nehmen.

ECHO – das aktuelle nmz-Gespräch

Geißler:  Kann man Textpassagen wie „Fick deine Mutter, Mach den Charlie Hebdo“ oder einen Auschwitz-Vergleich sonderlicher Widerlichkeit noch akzeptieren? Muss man da nicht von Anfang an sagen: „Nein, das nicht!“?

Krüger: Das hätte man, im Nachhinein betrachtet, sagen müssen. Das Problem ist, dass der Beirat den Preis nicht vergibt und auch nicht so weit gedacht hat, sondern es nur um die Frage ging: „Darf das im Rahmen der Nominierung, die ja aufgrund bestimmter Kriterien erfolgte, mit in diesem Topf drinbleiben?“. Was natürlich auch hieß, den Weg dafür freizumachen, dass gegebenenfalls der Preis vergeben würde.

Geißler: Aber dass ausgerechnet zwei exponierte Vertreter des Musiklebens  da nicht aufgesprungen sind, auf den Tisch gehauen und gesagt haben: „Nein, damit wollen wir nichts zu tun haben ...“  Stattdessen liesen Sie sich nach der skandalösen Preisverleihung mit einem Rücktritt aus dem Beirat ein paar Tage Zeit – Sie übrigens noch ein, zwei Tage mehr als Herr Höppner, der Generalsekretär des Deutschen Musikrats und Präsident des Deutschen Kulturrats. Weshalb?

Krüger: Um ihnen größere Aufmerksamkeit zu verschaffen, haben wir ganz bewusst die beiden Rücktrittsankündigungen entzerrt. Wir hatten abgesprochen, dass Christian Höppner bei der Verleihung des Kulturgroschens des Deutschen Kulturrates seinen Rücktritt erklären würde. Von der medialen Wirksamkeit her hat sich das auch bewährt.

Geißler: Wobei der Geehrte, Norbert Lammert, sehr unglücklich war, dass diese Entschuldigung in diesem Rahmen stattfand.

Krüger: Es waren die Spitzen der Kulturwelt beziehungsweise der Musikwelt anwesend. Von daher würde ich sagen, es war in diesem Moment unmittelbar nach der ECHO-Verleihung kaum zu leugnen, dass hier etwas im Raum steht, was der Klärung bedarf. Daher sage ich ausdrücklich, es war sicher richtig.

Geißler: Hat der Bundesverband der Musikindustrie die Teilnahme in diesem Gremium in irgendeiner Form honoriert oder mit einem Tagegeld oder dergleichen ausgestattet?

Krüger: Nein, überhaupt nicht! Wir haben uns nicht einmal getroffen, sondern haben diese Entscheidung in einer Telefonkonferenz, die unter einem gewissen Zeitdruck stand, getroffen. Ich möchte nochmals ausdrücklich sagen: Es gibt nichts zu beschönigen, es war die falsche Abwägung.

Geißler: Der Deutsche Musikrat steht für Qualität. Er setzt auch deshalb auf Qualität, da er sich vor allem im pädagogischen Bereich engagiert. Wie ist das zu vereinbaren mit solch einem Dreck, der dann auch noch von dem Privatsender Vox im TV und im Livestream gesendet wurde?

Krüger: Zunächst ist gerade das Schlimme, dass dieser Preis überhaupt verliehen wurde. Das steht außer Frage. Wir als Beirat hatten nur zwei Vorerfahrungen mit der Gruppe Frei.Wild einige Jahre zuvor. Auch da hatten wir unter Vorbehalt den Weg frei gemacht, der dann jedoch nicht genutzt worden ist. Das könnte damit zu tun gehabt haben, dass die ARD damals der Medienpartner war und so ist das marginalisiert worden. Dem Beirat ist es, ehrlich gesagt, gar nicht so sehr aufgefallen, dass wir erstmals einen Privatsender hatten. Was dann den Skandal hervorrief, war vor allem der Auftritt bei der Preisverleihung. Dass der Beirat die Möglichkeit, dies zu verhindern, nicht genutzt hat, das muss ich auch als persönlichen Fehler auf mich nehmen.

Geißler: Sind diese Vorkommnisse gegenüber der Politik, die in Sonntagsreden aufgefordert wird, etwas für die Musik zu tun, sich dann zur Qualität bekennt und qualitativ hochwertige Musik fördern will und fördert, nicht ein großer Schritt in die Unglaubwürdigkeit?

Krüger: Der Deutsche Musikrat wendet sich sichtbar gegen jede Form von Antisemitismus. Nehmen Sie gerade jetzt „Jugend musiziert“, dort gibt es in der WESPE einen Preis, der ausdrücklich für die beste Aufführung eines verfemten Werkes vergeben wird. Es gibt übrigens auch einen Preis, der ausdrücklich für die beste Aufführung eines Werkes einer Komponistin vergeben wird und ähnliches. Wir haben herrliche Projekte gemeinsam mit Israel gehabt, dem Israel Chamber Orchestra und dem Dirigentenforum. Wir achten darauf, dass zum Beispiel im Dirigentenforum zunehmend auch ganz besonders Dirigentinnen gefördert werden.

Ich würde insofern auch ausdrücklich sagen: Das, was hier ein Fehler war, ist mein persönlicher Fehler gewesen. Das habe ich überall gesagt, das werde ich überall sagen, ich sage es auch hier und jetzt. Das ist auch von den Politikern, die ich inzwischen gesprochen habe, so wahrgenommen worden.

Geißler: Eine Konsequenz dieses persönlichen Fehlers – ich finde es sehr ehrenhaft, dass Sie das so darstellen – ist, dass Sie der Projektbeirat von „Jugend musiziert“ gebeten hat, nicht zum Bundeswettbewerb nach Lübeck zu kommen. Wie sieht das jetzt aus? Ist da eine Entscheidung gefallen?

Krüger: Der Präsident des Deutschen Musikrates muss zu diesem Wettbewerb fahren, und ich werde auch nach Lübeck fahren, so wie ich in den letzten Tagen beim Deutschen Chorwettbewerb, bei „Jugend jazzt“ und bei einer UNO-Veranstaltung in Wien war. Ich kann nur wiederholen: die Wahrnehmung ist die, dass in der Öffentlichkeit diese Dinge getrennt werden. Es wird akzeptiert, dass gesagt wird „das war falsch und ein Fehler, aber das ist nicht gleichzusetzen mit dem Musikrat als Ganzes“.

Geißler: Unser Musikleben wird im Wesentlichen auch von hoch engagierten Ehrenamtlichen getragen, die sehr oft auch durch ein besonders ausgeprägtes moralisches und ethisches Empfinden geprägt sind. Uns erreichen Nachrichten, dass aus dieser Klientel eine ganze Reihe Menschen zutiefst enttäuscht sind. Was kann man tun, um diese Enttäuschung wieder zu besänftigen?

Krüger: Denen möchte ich sagen: Ich entschuldige mich dafür, dass ich sie enttäuscht habe. Auf der anderen Seite stehe ich selbst für diese Ideale. Ich bin nicht nur grundsätzlich auch ehrenamtlich für den Deutschen Musikrat tätig, ich unterrichte auch seit 40 Jahren und ich unterrichte unter denselben moralischen Maßstäben. Zum Beispiel in den nächsten Tagen werde ich wieder in einer katholischen Messe einen Frauenchor dirigieren. Von daher teilen wir diese Ideale.

Ich möchte auch ausdrücklich sagen, es geht gar nicht um die Frage, ob die Menschen in diesem Beirat und die von ihnen vertretenen Institutionen selber diese moralischen Maßstäbe haben. Niemals hatten sie ein Interesse daran, in irgendeiner Weise das zu befördern, was durch dieses Gangster-Rap-Duo verbreitet wurde, sondern es spielten letztlich die Betrachtung des Textes dieses Stücks außer Acht lassende Überlegungen mit hinein. Wie es sich im Nachhinein zeigt, war das falsch. Das muss man zugeben, aber das ist kein persönlicher Verrat oder ein Aufgeben dieser Ideale.

Geißler: Gibt es abgesehen von dem Eingeständnis dieses Fehlers weitere Konsequenzen, die Sie persönlich aus diesen Vorfällen und Fehlentscheidungen ziehen? Besteht die Möglichkeit, dass Sie bei der nächsten Generalversammlung des Deutschen Musikrates zurücktreten oder sich nicht mehr wählen lassen?

Krüger: Die Wahlperiode endet in dreieinhalb Jahren und darüber brauchen wir heute noch nicht nachzudenken. Einen vorzeitigen Rücktritt beabsichtige ich nicht. 

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