Minas Borboudakis, Komponist, Pianist und 2. Vorsitzende der MGNM, führte ein Interview mit Paul Hübner und Despina Apostolou von der FGNM anlässlich ihrer Kooperation im Herbst.
Minas Borboudakis: Die Frankfurter Gesellschaft für Neue Musik (FGNM) ist in Frankfurt neben dem Ensemble Modern eine feste Institution der Neuen Musik. Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren, hat sie eine Reihe von Projekten realisiert. Dazu gehört die Konzertreihe Frequenzen und Mind the Gap! oder die Gesprächsreihe „Resonanzen“ in denen regionale und überregionale Künstler zusammengekommen sind. In den letzten Jahren setzt Ihr mit der Reihe Fernbeziehung den Faden fort. Worum geht es?
Paul Hübner: Eigentlich war es zunächst das Anliegen der FGNM, eine Plattform für aktuelle Musik aus der Region zu bieten. Allerdings leben wir ja nicht in stabilen geographischen Verhältnissen – man zieht um, arbeitet mit Künstlern aus ganz anderen Ecken der Welt zusammen, und die Vernetzung durch die digitale Revolution macht noch einmal ganz andere Dinge möglich. Diesen Arbeitsbeziehungen und der Situation Frankfurts als internationaler Knotenpunkt wollten wir in unserer Reihe FERNBEZIEHUNG Tribut zollen. So kommen dann beispielsweise Frankfurter Musiker, die jetzt in New York arbeiten, für ein Konzert zurück, oder das spanische Smash Ensemble dokumentiert seine Zusammenarbeit mit der Sopranistin Carola Schlüter aus Frankfurt.
Despina Apostolou: Genau, mit der Reihe FERNBEZIEHUNG wollen wir durch neue Wege der Vermittlung – sowohl hinsichtlich der visuellen Darstellung als auch der Präsentationsform der Konzerte – neue kulturinteressierte Hörerschaften ansprechen. Im Austausch zwischen den eingeladenen Künstlern und dem Publikum, vor und nach den Konzerten oder auch in speziell konzipierten Workshops, wird die übliche Form des Frontalkonzertes aufgebrochen. Auf Dauer soll auch der Bogen hin zu anderen Kunstformen gespannt und eine Vernetzung der Künste innerhalb der Region erreicht werden. Dieses Konzept ist an eine spezielle Programmauswahl geknüpft, die oft durch die Einbindung außermusikalischer Elemente um Aspekte der bildenden und/oder performativen Kunst ergänzt wird.
Borboudakis: Habt Ihr bestimmte Kriterien für die Auswahl der Zusammenarbeiten?
Hübner: Vorschlagsrecht hat grundsätzlich jeder in der FGNM, und auch von außen werden häufig interessante Konzertformate an uns herangetragen, von denen wir leider nur einen Bruchteil realisieren können. Es ist uns dabei aber wichtig, dass die einzelnen Abende aus in sich konsistenten Programmen bestehen, so divers die Konzerte auch innerhalb der Reihe sein können. Bunte Abende mit Müsli-Programmen stehen weniger auf unserer Wunschliste. Zudem ist ein klarer Bezug zur Region wichtig, sei er personell oder inhaltlich.
Despina Apostolou: Ja, daraus kristallisieren sich vor allem Projekte von und mit kleineren Besetzungen, Soli und Kammermusik-Ensembles.
Minas Borboudakis: Neben dem Smash Ensemble haben auch Konzerte mit Mitgliedern des ICE aus New York oder des Freiburger Ensemble Aventure sowie Abende mit improvisierter Musik stattgefunden. Inwiefern ist euch eine Balance zwischen auskomponierter und spontaner/improvisierter Musik wichtig? Mit anderen Worten, ist das spontane Experimentieren auch eine bewusste Aufgabe der FGNM?
Despina Apostolou: Oft beinhalten die Programme, die uns angeboten werden, eine Kombination aus auskomponierter und paraphrasierter Musik. ICE hat zum Beispiel bereits bestehende Werke mit improvisatorischen Brücken verbunden, um so eine runde Dramaturgie zu erzeugen.
Der improvisatorische Experimentierfaktor wird sehr oft in der Neuen Musik genutzt, entweder als Teil des ausgeschrieben Stückes oder als Quelle, aus der die Komposition schöpft. Durch die langjährige Beschäftigung mit verschiedenen Werken und Gattungen kann der Interpret gegebenenfalls zu einer enormen musikalischen Datenbank werden, die in der Lage ist, im Augenblick sehr interessante und somit für den Zuhörer wertvolle Musik zu produzieren. Deswegen stellt die FGNM keine Barrieren zwischen diese beiden Musikarten. Es gibt hervorragende auskomponierte und improvisierte Musik. Für uns ist wichtig, dass die Werke etwas auslösen und etwas zu sagen haben, unabhängig von der Endform. Was die bewusste Aufgabe der FGNM als ein Beschützer und Förderer von Improvisations- und Experimentierformaten angeht, denke ich, sind jene für uns untrennbar von der restlichen Neuen Musik.
Minas Borboudakis: Ihr seid ja beide auch als Musiker in der neuen Musikszene tätig, versucht Ihr eben so eine Balance auch persönlich für die weitere Entwicklung zu schaffen?
Paul Hübner: Auf jeden Fall - ich spiele zwar sehr gerne nach Noten, aber auf Dauer gibt es eben doch zu viel Potential, das sich nicht im klassischen Fünfliniensystem ausdrücken lässt, das ja ohnehin nicht die naheliegendste Art ist, Musik zu machen.
Minas Borboudakis: Das stimmt vollkommen, man muss aber auch die richtigen Leute finden.Wie ist es bei Dir Despina?
Despina Apostolou: Ja, das ist schon ganz wichtig, aber auch schwierig. Ich spiele viel mehr auskomponierte als improvisierte Musik. Das Suchen und Experimentieren braucht Zeit, die man oft nicht hat. Gespräche mit Komponistenfreunden bringen mich immer dazu, mehr Raum dafür finden zu wollen. Und wenn es klappt, eine Gelegenheit zu finden, mit anderen zusammen zu improvisieren, dann ist es für mich eine aussergewöhnliche Entdeckungsreise, eine persönliche Erfahrung.
Minas Borboudakis: Die neue Mischformen sind eine Tendenz, die sehr im Aufbruch ist. Neben der FGNM suchen auch feste Institutionen und Festivals in anderen Städten oft neue Wege in neuen Orten. Findet das Resonanz beim Frankfurter Publikum?
Paul Hübner: Wir erleben darauf schon eine positive Resonanz. Allerdings stellen wir immer noch fest, dass es schwierig ist, die Publikumssubkulturen aufzubrechen. Die Schnittmenge von Besuchern von Vernissagen, von Elektronikkonzerten und Besuchern von Abonnementkonzerten mit Neuer Musik in der Alten Oper ist eben nicht so groß wie sie sein könnte. Dass sich das auf Dauert ändert, daran arbeiten wir.
Despina Apostolou: Ja stimmt, es könnte besser sein. Mein Eindruck ist, dass sich das Publikum oft aus persönlichen Gründen für eine bestimmte Veranstaltung entscheidet, wenn sie nicht gerade vom festen Institutionen und großen Namen präsentiert wird. Man hat Freunde, die gerade im Konzert auftreten oder man kennt die Komponisten.
Es ist Zeit für eine andere Art von Vermittlung, um ein neues Publikum zu gewinnen. Den Menschen fehlt es an Kontakt mit den Künstlern und an der Vermittlung von deren Arbeit. Für uns ist es nicht immer leicht und angenehm, so viel zu erklären, da doch das Werk sich selbst erklären kann. Etwas polemisch formuliert: wir können nicht träumend in unseren „Schlössern“ bleiben und allein vor uns hin musizieren.
Minas Borboudakis: Was uns als MGNM in den letzten Jahren aufgefallen ist, ist daß es sehr wenige Zusammenarbeiten zwischen der regionalen Gesellschaften für neue Musik gibt. Aus diesem Grund haben wir uns zusammengeschlossen für die Konzerte in Frankfurt und München. Habt Ihr Austausch mit den anderen Gesellschaften?
Despina Apostolou: Nein. Seit zwei Jahren haben wir leider keine Zusammenarbeit mit einer anderen regionalen GNM gehabt, und vorher gab es auch nur wenig Kooperation im überregionalen Umkreis. Der Gedanke der Vernetzung und des Austauschs mit den verschiedenen regionalen Gesellschaften ist schon so alt wie unserer Verein, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum hat. Deswegen freuen wir uns sehr, dass jetzt mit Euch im Herbst 2013 dieser wunderbare Austausch stattfindet. Unser nächster Gedanke wäre eine Zusammenarbeit mit der Kölner GNM, das braucht aber noch etwas Zeit.
Paul Hübner: Eben, abgesehen von dem Projekt mit Euch noch nichts, was über eine reine Gesprächsebene hinausgehen würde. Aber man merkt, dass der Wunsch nach Austausch spürbar ist. Davon zeugen auch erste Ideen zu einem gemeinsamen Treffen der Regionalgesellschaften, das die GNM in diesem Jahr initiieren will. Zum einen ist es natürlich wichtig, lokal zu handeln, um tatsächlich in der Arbeit vor Ort ein konkretes Profil zu schaffen. Auf der anderen Seite ist jeder Blick über den Tellerrand willkommen. Dauerhaft im eigenen Saft zu schmoren, können wir uns heute einfach nicht mehr leisten.
Minas Borboudakis: Nun im Herbst sind wir, die MGNM, sehr froh eine „Fernbeziehung“ mit Euch, die FGNM zu schließen, in dem die FGNM in München bei der MGNM zu Gast sein wird und umgekehrt. Was plant Ihr für das Konzert in München?
Paul Hübner: Es soll ein Querschnitt geben aus dem, was in der FGNM so passiert - von der alten Avantgarde bis hin zu ganz neuen Ausdrucksformen - gewissermaßen musikalisches Gruppenbild.
Despina Apostolou: Mehr Details in kürze! Gewisse Spannung ist immer gut!
Minas Borboudakis: Darauf sind wir sehr gespannt! Vielen Dank!
Konzerttip
- Kai Wangler (Akkordeon), Klaus- Peter Werani (Viola), Hanno Simons (Violoncello) und Markus Heinze spielen Werke von MGNM- Komponisten am 17. September 2013 in Instituto Cervantes in Frankfurt.
- Merve Kazokoglu (Klarinette), Jan- Filip Tupa (Cello), Paul Hübner (Trompete), Despina Apostolou (Klavier) spielen am 23. November 2013 in der Black Box Gasteig in München Werke von FGNM- Komponisten u.a. Robin Hoffmann, Jonathan Granzow, Hannes Seidl, Michael Sell