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Ferne Lieben, böse Lieben

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Salzburgs Festspiele im Rückblick
Publikationsdatum
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nmz 2000/10 | Seite 33
49. Jahrgang | Oktober

Oper & Konzert

Ferne Lieben, böse Lieben

Salzburgs Festspiele im Rückblick

Troja, die Liebe und der Tod, um dieses Thema kreisten einige der Opernaufführungen der diesjährigen Salzburger Festspiele. Über die wichtigsten Inszenierungen haben wir in der vorigen Ausgabe berichtet (nmz 9/2000). Zwar nicht um Troja, aber ebenso um Eros und Thanatos kreisten die anderen aufgeführten Werke: Mozarts „Don Giovanni”, Wagners „Tristan und Isolde”, vor allem jedoch Mozarts „Cosi fan tutte” und die Uraufführung von Kaija Saariahos erster Oper „L’amour de loin”.

Die erste „richtige” Opernuraufführung der Mortier-Ära. Mortiers Zögern in dieser Hinsicht hatte einen tieferen Grund. Er wollte nicht einfach nur eine weitere Opernneuheit in Auftrag geben, nach dem Rezept: Man nehme einen literarischen Stoff, kürze diesen zu einem Libretto und unterlege das Ganze mit Gesang und Musik. Wer über die Zukunft des Genres Oper nachdenkt, kann nicht einfach immer so weitermachen wie bisher. Das ästhetische Material muss neu geordnet, untersucht, erweitert werden. Daran arbeiten die avanciertesten der Komponisten. Daher wäre es so wichtig gewesen, Lachenmanns Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern” in der Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Oper in Salzburg aufzuführen. Dass dafür nun auf einmal kein Geld beschafft werden kann, lässt Spekulationen sprießen. Ist Haider wirklich daran schuld? Ist es nicht vielmehr Kleinmütigkeit der speziell politischen Vertreter im Kuratorium der Festspiele, die das finanzielle Wagnis scheuen – wobei nicht bewiesen ist, ob nicht gerade ein so extremes Werk wie das Lachenmanns die Neugier erweckt und gesteigert hätte.

Dafür also Kaija Saariahos „L’amour de loin” – die „Liebe aus der Ferne”. Auf ein Libretto von Amin Maalouf schrieb die finnische, in Paris lebende Komponistin die Geschichte einer „märchenhaften Fernliebe” aus dem 12. Jahrhundert: Der provencalische Troubadour Jaufré Rudel steigert sich in die ferne Liebe zu der im morgenländischen Tripoli lebenden Clémence, die er nur aus Erzählungen eines Pilgers kennt. Als er sich entschließt, die ferne Geliebte zu besuchen, erkrankt er auf der Überfahrt und stirbt in den Armen von Clémence: Ein zweiter Liebestod sozusagen, nicht von Wagner. Kaija Saariaho wurde zu ihrer ersten Oper durch den Besuch von Messiaens „Franziskus”-Oper 1992 in Salzburg angeregt. Im Gestus von „L’amour de loin” lassen sich deshalb gewisse Animationen durch Messiaens Werk feststellen. Auch liegt als Vorbild ein Vergleich mit Debussys „Pelléas et Mélisande” nahe, doch Saariahos Musik bleibt in Ausdruck und Duktus über weite Strecken doch zu eindimensional, um das Reflexionsniveau der genannten Vorbilder auch nur annähernd zu erreichen. Eher scheint ihre Musik von den Spektralisten, von Grisey oder Murail, beeinflusst, und die Nähe zum Ircam-Computer mag auch nicht für besondere Originalität gesorgt haben.

Die Inszenierung von Peter Sellars in der Felsenreitschule mit zwei gläsernen Türmen für die fernen Liebenden (Bühnenbild George Tsypin), dem spiegelnden Wasser dazwischen und dem schwarzen Nachen, mit dem der Troubadour (Dwayne Croft) schließlich zur Überfahrt nach Tripoli aufbricht (siehe unser Bild oben) konnte solange in ihrer Stilisierung gefallen, bis sich der Sterbende mit der sich in diesem Augenblick nahen Geliebten vereint: Da versinkt die Inszenierung in einem planen, anekdotischen Realismus, aus dem auch die wunderbar leicht und glockenklar singende Dawn Upshaw als Clémence, Kent Naganos spürbares Engagement (mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden) und der seitlich postierte Arnold-Schönberg-Chor (Leitung Erwin Ortner) keinen Ausweg mehr zeigen.

Um mit einem Octavio-Paz-Zitat zu enden: „Die Geschichte der höfischen Liebe, ihrer Wandlungen und Metamorphosen, ist nicht nur die unserer Kunst und unserer Literatur, sie ist auch die Geschichte unserer Sensibilität und die Geschichte der Mythen, die seit dem 12. Jahrhundert bis in unsere Tage die Fantasie entflammt haben. Sie ist die Geschichte der Zivilisation des Okzidents”. Vielleicht hätten Henze und Auden dies auf der Höhe ihrer Kunst gestalten können, vielleicht auch ein Benjamin Britten oder in unseren Tagen Salvatore Sciarrino. Kaija Saariaho umhäkelt den Stoff, sie ergreift ihn nicht: Mit der Gewaltsamkeit des autonomen Künstlers, der hier gefordert wäre.

Was künstlerische Radikalität und Gewalt sind, das demonstrierte der Regisseur Hans Neuenfels an Mozarts „Cosi fan tutte”. Neuenfels entdeckte hinter der Komödienfassade der Oper die „Blumen des Bösen”, die surrealen Abgründe. Giftige Blüten, gemeine Insekten, wilde Hunde (in Gestalt zweier erniedrigter Mannsbilder, die Fiordiligi begleiten) spielen mit im Quidproquo der „bösen” Liebe. Die Atmosphäre eines Buñuel-Films überlagert die amüsante, zynische Farce. Auf die Liebes-und Treueprobe werden hier nicht die Frauen und auch nicht die Männer gestellt, vielmehr die Liebe selbst. Liebe nicht, wie man sie heilt, sondern wie man sie zum Verschwinden bringt. Das wird von Neuenfels mit unerschöpflicher Fantasie, überbordender Theatralik und großem Frage-Ernst virtuos durchgespielt, wobei natürlich die genaue Kenntnis der Oper das Vergnügen an der neuen Deklination merklich steigern kann.

Glänzend gesungen von Karita Mattila (Fiordiligi), Vesselina Kasarova (Dorabella), Maria Bayo (Despina), Rainer Trost (Ferrando), Simon Keenlyside (Guglielmo) und Franz Hawlata (Don Alfonso in Neuenfels-Maskierung) und pointiert dirigiert von Lothar Zagrosek (mit den Wiener Philharmonikern) konnten die Festspiele einen bemerkenswerten Mozart-Erfolg verbuchen, der um so höher zu bewerten ist, weil er nicht mit der Rückkehr zum tradierten, oft leidvollen Salzburger Mozart-Stil erkauft wurde. Man wird sehen, ob sich diese Radikalität einer Erneuerung bis zum Mozart-Jahr 2006 unter Peter Ruzicka konsequent fortsetzt.

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