In einem Positionspapier der Initivative „Forum Musik Festivals“, das heute morgen unter dem Schlagwort #verspieltnichtdiemusik veröffentlicht wurde, formulieren 40 Festivals aus ganz Deutschland ihre Analysen und Forderungen an die Politik zur Bewältigung der Krise und Zukunftssicherung der Musikfestivals.
FORUM MUSIK FESTIVALS
Bewältigung der Krise und Zukunftssicherung
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Minister*innen des Bundeskabinetts, sehr geehrte Ministerpräsident*innen, sehr geehrte Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, sehr geehrte Frau Kulturstaatsministerin!
Die Corona-Pandemie hat die Kulturszene weltweit in eine tiefe Krise gestürzt. Die von Bund und Ländern versprochene schnelle Hilfe kommt nicht immer bei den Adressaten an. Nachdem Künstler*innen in existenzielle Not geraten sind, droht nun auch der Veranstalterbranche ein Kahlschlag. Zusätzlich erschweren unterschiedliche Maßgaben in den einzelnen Bundesländern die Arbeit.
40 Festivals aus ganz Deutschland stellen, stellvertretend für Hunderte weitere, fest:
Musikfestivals sind ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Zusammen- und Kulturlebens. Gemeinsam und gleichrangig mit Konzert- und Opernhäusern, Orchestern und Chören gestalten sie das weltweit bewunderte „Musikland Deutschland“.
Musikfestivals bringen Kultur auch und vor allem in den ländlichen Raum. Sie ermöglichen damit auch breiteren Publikumskreisen als in den großen Städten die Begegnung mit hochwertigen musikalischen Live-Erlebnissen. Wer jetzt Festivals und Künstler sterben lässt, wird morgen mit kulturell verwaisten Landstrichen bestraft.
Rund 600 Musikfestivals mit internationaler Ausstrahlung in ganz Deutschland sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit insgesamt etwa 400 Millionen € Gesamtumsatz und einer vielfachen Wertschöpfung.
Wir fordern konkret:
Klare Sprache in den Verfügungen!
In der Krise muss die Politik differenzieren und darf die Vielzahl der Kulturinstitutionen und Veranstalter nicht in einen Topf werfen! Klare und einheitliche Regelungen müssen sein. Was ist „Höhere Gewalt“? Was ist eine „Großveranstaltung“? Wer definiert rechtssicher das Andauern einer Pandemie? Mit frühzeitigen und langfristigen Verfügungen können wir besser arbeiten als mit einer anhaltenden Unsicherheit und nebulösen Allgemeinplätzen. Es kann nicht sein, dass Festivalmacher*innen mit der Entscheidung zur Absage allein gelassen werden und sich in nicht zu beziffernde Haftungsrisiken begeben.
Gleichbehandlung von Kultur mit Sport, Religionsgemeinschaften und Wirtschaft!
Strenge Hygiene- und Abstandsregeln können auch bei Kulturveranstaltungen umgesetzt werden. Kultur besteht nicht nur aus Großveranstaltungen. Es gibt ausreichend Repertoire für variable Besetzungen und viel Kreativität für alternative Formate. Kulturinstitutionen und Künstler*innen können auf diese Weise Verluste mindern.
Planungssicherheit für die nahe Zukunft!
Festivalmacher*innen mit Veranstaltungen in den kommenden Monaten müssen täglich zwischen professioneller Vorbereitung für eine erfolgreiche Durchführung und den Risiken einer drohenden Absage abwägen. Hier braucht es schnell verlässliche Kriterien und klare Rahmenbedingungen in Bezug auf die zukünftige Zuwendungsfähigkeit der Kosten.
Bei vielen Festivals stehen darüber hinaus Verhandlungen über öffentliche Mittel des nächsten Jahres an. Wir fordern eine möglichst pauschale Ansetzung und Bewilligung der durchschnittlichen Zuwendungen der vergangenen drei Festivalausgaben. Die Finanzierung von Festivals darf nicht unter „Freiwillige Leistungen“ subsumiert werden.
Faire Behandlung für alle Festivals!
Die Krise trifft die Festivals zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Es darf kein Wettrennen um Rettungsfonds geben. Auch Festivals im weiteren Verlauf des Jahres leiden unter Planungsunsicherheit. Eintrittsgelder, Spenden und Sponsoring gehen massiv zurück. „First come, First served“ darf kein Grundsatz öffentlicher Kulturförderung sein.
Hilfe für die Essenz aller Festivals: die Künstler*innen!
Es sind vor allem freiberufliche Künstler*innen und freie Ensembles, die unsere Festivals zum Strahlen bringen. Die Schäden gehen aktuell einseitig zu Lasten dieser Künstler*innen. Wir fordern, dass auf allen Ebenen Ausfallhonorare sowie bereits entstandener Aufwand für Vorbereitung und Reisekosten als zuwendungsfähig anerkannt und damit auch ausgezahlt werden können. Im Idealfall gibt es ein einheitliches Verfahren auf den Ebenen Europa, Bund, Land, Kommunen und Landkreisen. Externe Berater*innen warnen derzeit vor der Gefahr, bei Zahlung ohne vereinbarte Leistung die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Dazu darf es nicht kommen.
Bewilligungszeiträume bis Ende 2021 verlängern!
Den Umfang der Schäden zu ermitteln ist eine komplexe Rechenaufgabe. Dazu benötigen wir Zeit. Oft arbeiten wir nur in kleinen Teams und sind derzeit ohnehin mit der Bewältigung der Krise (Ticketrückerstattung etc.) stark gefordert. Die Abwägung zwischen Verschiebung und Absage bedarf einer behutsamen und überlegten Planung. Wir fordern die pauschale Verlängerung der Projekt- und Abrechnungszeiträume für alle öffentlichen Mittel bis zum 31.12.2021.
Darüber hinaus fordern wir:
Einheitliche Regeln schaffen
Regelungen für einzelne Bundesländer greifen zu kurz und sind nicht vermittelbar. Unsere Künstler*innen kommen aus vielen Ländern und Regionen Europas. Groß denken! Europäisch denken! In jedem Fall muss der Bund mit klaren Aussagen vorangehen. Momentan wartet ein Förderer auf den anderen.
Finanzierung vereinfachen
Musikfestivals sind zu großen Teilen privat und mit viel ehrenamtlichem Engagement organisiert und finanziert. Staatliche und kommunale Stellen beteiligen sich auf Antrag mit Zuwendungen. Die Antragsverfahren müssen vereinfacht und als Festbetragsfinanzierung ausgeführt werden. Spenden und Sponsoring von privater Seite müssen gerade jetzt noch attraktiver gemacht werden, damit unsere Unterstützer für ihr persönliches Engagement in der Krise belohnt werden.
Rücklagen und Zukunftssicherung
Eingenommene Mittel müssen auf das Folgejahr übertragbar sein. Auch gemeinnützige Träger müssen Rücklagen bilden dürfen.
Faire Behandlung unseres Publikums und der Künstler*innen
Künstler*innen sind keine Dienstleister, sondern Partner. Wenn Zuschauer*innen den Gegenwert ihrer Tickets spenden, haben sie dabei nicht die Entlastung öffentlicher Haushalte im Sinn. Wer Spenden von Ticketkunden annimmt, muss das Geld auch den Künstler*innen zukommen lassen dürfen.
Zukünftige Lastenverteilung
Wir müssen uns bereits jetzt auf eine zukünftige, solidarische Lastenverteilung verständigen.
Die aktuelle Krise darf die deutsche Kulturlandschaft nicht weiter beschädigen.
Wir sind gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen Lösungen für die Zukunft zu finden.
Sprechen Sie uns an!
Erstunterzeichner*innen:
Köthener Bachfesttage – Folkert Uhde – Intendant
Stiftung Händel-Haus / Händel-Festspiele Halle (Saale) – Clemens Birnbaum – Direktor Stiftung Händel-Haus / Intendant Händel-Festspiele Halle (Saale)
Musikfestspiele Potsdam Sanssouci – Dorothee Oberlinger – Intendantin
Internationale Händel-Festspiele Göttingen – Tobias Wolff – Geschäftsführender Intendant
Musikfest ION – Moritz Puschke – Künstlerischer Leiter
Impuls-Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt – Hans Rotman – Intendant
Hofmusik Festival – Martin Kallnischkies – Geschäftsführer
zamus – Zentrum für Alte Musik / KGAM e.V. – Mélanie Froehly – Geschäftsführung
Steinway-Festival Wolfshagen im Harz – Noah Vinzens – Künstlerischer Leiter
Heinrich Schütz Musikfest – Dr. Christina Siegfried – Intendantin
Kissinger Sommer – Dr. Tilman Schlömp – Intendant
Langenberg Festival – Nina Reddig – Gesamtleitung
Bachwoche Ansbach – Dr. Andreas Bomba – Geschäftsführer und Intendant
Braunlager Maikonzerte – Kaja Engel – Festivalleiterin
Schleswig-Holstein Musik Festival – Dr. Christian Kuhnt – Intendant
Kammeroper Köln / Musikpicknick – Esther Hilsberg-Schaarmann – Intendantin
Festspiele Mecklenburg-Vorpommern – Toni Berndt – Kaufmännischer Direktor
Kasseler Musiktage – Olaf A. Schmitt – Künstlerischer Leiter
Sommerliche Musiktage Hitzacker – Dr. Christian Strehk – Vorstandsvorsitzender
Thüringer Bachwochen – Christoph Drescher – Festivalleitung
Köthener Herbst – Dr. Andreas Glöckner – Künstlerischer Leiter
Ludwigsburger Schlossfestspiele – Jochen Sandig – Intendant
Mozartfest Würzburg – Evelyn Meining – Intendantin
Internationales Musikfestival Koblenz – Benedict Klöckner – Künstlerischer Leiter
Musikfest Eichstätt. Alte Musik neu entdecken – Heidi Gröger – Künstlerische Leitung.
SPAM – Spandau macht Alte Musik – Johannes Weiss – Künstlerischer Leiter
Festival Alte Musik Knechtsteden – Michael Rathmann – Festivalmanagement
Internationale Musikfestspiele Weilburger Schlosskonzerte – Stephan Schreckenberger -Intendant
Tanz-Kultur-Woche Göttingen – Judith Kara – Künstlerische Leitung
Bachfest Leipzig – Prof. Dr. Michael Maul – Intendant
Klavier-Festival Ruhr – Birgit Glasow-Carl – Künstlerische Direktorin
Int. Festival für Vokalmusik „a cappella“ Leipzig / Sommertöne-Festival – Tobias Rosenthal – Organisation
Arbeitskreis Kultur im Kreis Göttingen – S. Karnehm-Wolf, G. Jess, H. Stock – Organisationsteam
Tobias Scharfenberger – Geschäftsführender Intendant – Mosel Musikfestival gGmbH
Luisenburg-Festspiele Wunsiedel – Harald Benz – Kaufmännischer Theaterleiter
Magdeburger Telemann-Festtage – Dr. Carsten Lange – Leiter
Musikfest Bremen – Thomas Albert – Intendant
Opernfestspiele Heidenheim – Marcus Bosch – Künstlerischer Direktor
Gandersheimer Domfestspiele – Achim Lenz – Intendant
Brandenburger Festspiele – Manuel Dengler – Intendant
FORUM MUSIK FESTIVALS
c/o Int. Händel-Festspiele Göttingen
Tobias Wolff – Geschäftsführender Intendant