Zur Postkutschenzeit war Deutschland in unzählige Fürstentümer, Grafschaften und Königreiche zersplittert und man hatte bei Reisen mühsam immer wieder Landesgrenzen und Zollschranken zu überwinden. Das Niveau des Musiklebens und der Bildung war abhängig vom kulturellen Interesse des jeweiligen Hofes. Von gleichen Bildungschancen im Deutschen Reich konnte nicht die Rede sein, weshalb die Vorkämpfer der Demokratie sich auch für die nationale Einigung einsetzten. Mehr als ein Jahrhundert ist seitdem vergangen, Deutschland ist längst geeint und hat sogar europaweit Grenzen überwunden. Durch die geplante Föderalismusreform kehrt es aber zur Kleinstaaterei der Postkutschenzeit zurück und gefährdet damit die Chancengleichheit.
Der Verband deutscher Musikschulen hat am 13. Mai in einer Aschaffenburger Erklärung auf diese für die Kultur besorgniserregende Entwicklung reagiert. Es dürfe nicht sein, dass der Bund seine Kompetenz im Bereich der Bildung an die Länder abgibt, denn es sei unerträglich, wenn in Zukunft die Herkunft eines Kindes über seine Bildungs- und somit seine Lebenschancen entscheidet. Auch die musikalische Bildung braucht gemeinsame Standards, wie sie bislang für die rund 950 Musikschulen an über 4.000 Standorten gelten. Die Bundesregierung müsse den Kindern und Jugendlichen weiterhin das Recht auf kulturelle Bildung garantieren, ohne Einschränkungen durch die soziale, wirtschaftliche oder geografische Herkunft. Notwendig sei deshalb, wie Matthias Pannes unterstrich, eine gesamtstaatliche Bildungsplanung mit der musikalischen Bildung als festem Bestandteil.
Dieser Aschaffenburger Erklärung haben sich inzwischen der Schul- und Bildungsausschuss des Deutschen Städtetages, der Deutsche Kulturrat und der Deutsche Musikrat angeschlossen. Christian Höppner, der Generalsekretär des Deutschen Musikrats, warnte bei einem gemeinsamen Pressegespräch vor dem geplanten Rückzug des Bundes aus der Bildungsplanung. Langfristig könne dies auch so wichtige Aktivitäten wie den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ gefährden. Er erwähnte die „PISA-Hysterie“, die den Blick auf die „harten“ Schulfächer lenke und den hohen Stellenwert des Musikunterrichts bei der Persönlichkeitsbildung vergessen lasse.
Es sei Aufgabe des Bundes, sich dem derzeitigen Abbau des Schulfaches Musik zu widersetzen und in allen Schultypen zwei Wochenstunden Musik zu garantieren. Geschehe dies nicht, konzentriere man sich weiterhin nur auf die „harten“ Fächer, sehe er schon die Monster von morgen heranwachsen. Der Deutsche Kulturrat, so Olaf Zimmermann, hat sich schon mehrfach zu diesem leidigen Thema geäußert. Er sehe eine Diskrepanz zwischen dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition, der die wichtige Rolle der Kultur unterstreicht, und der dort in einem Anhang ebenfalls vorgesehenen Föderalismusreform. Leider habe Annette Schavan, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, allzu schnell auf Bundeskompetenzen verzichtet. Schon im Juni 2004 hatte der Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, die Föderalismuskommission vor der geplanten Entflechtung der Kulturförderung von Bund und Ländern gewarnt. Weiterhin müsse der Bund für die Gestaltung der Rahmenbedingungen zuständig bleiben. Keineswegs dürfe er sich, wie vorgesehen, auf die Auswärtige Kulturpolitik zurückziehen und alles übrige den Ländern überlassen. National bedeutsame Einrichtung sollten wei-terhin gemeinsam von Bund und Ländern finanziert werden.
Bei dem Pressegespräch im Generalsekretariat des Deutschen Musikrates gab Zimmermann zu bedenken, in welchem Maße die geplante Föderalismusreform – „die weitestgehende Reform seit Bestehen der Bundesrepublik“ – gerade die Kultur betreffe. In Wirklichkeit handle es sich nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern, sondern um einen Konkurrenzkampf der kleinen und großen Bundesländer. Vor allem Bayern sei an eigenen Kulturkompetenzen interessiert und nicht länger bereit, kleinere und schwächere Bundesländer wie bisher mitzufinanzieren.
Es sei aber nicht einzusehen, warum die Bürger von Mecklenburg-Vorpommern, die den gleichen Steuersatz zahlen, nicht gleiche Bildungschancen erhalten sollten wie Angehörige des Freistaats Bayern. Die Frage, ob er noch Chancen sehe für eine Änderung der geplanten Reform, beantwortete Zimmermann mit Skepsis.
Seine Erfahrungen im Bereich der gesamtstaatlichen Verantwortung seien eher ernüchternd. Einzelne Bundestagsabgeordnete seien sich der Problematik der geplanten Föderalismusreform durchaus bewusst. Solche nicht nur aus dem Kulturbereich kommenden Bedenken werden in den Ausschüssen noch beraten. Ob sie dann allerdings bei der Abstimmung zum Tragen kommen, wird auch davon abhängen, wieweit hier der Fraktionszwang gilt.