Neben dem Deutschen Musikrat wurden der Deutsche Komponistenverband, der Deutsche Tonkünstlerverband, die Gesellschaft für Neue Musik, die Union Deutscher Jazzmusiker, die Gesellschaft für Elektroakustische Musik und die Initiative Musik von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zur Gründungsversammlung des neuen Musikfonds für zeitgenössische Musik eingeladen. Rechtzeitig vor dieser Versammlung im September trafen sich die nmz-Herausgeber Theo Geißler und Barbara Haack mit dem Präsidenten des Deutschen Musikrates, Martin-Maria Krüger zu einem ausführlichen musikpolitischen Sommergespräch in Berlin.
neue musikzeitung: Ein Rückblick: Es gab mal den Traum von einem Musikrat, also den Plan, die gGmbH und den Verein wieder zusammenzuführen. Der Plan ist vermutlich aus politischen Gründen fallengelassen worden. Hat er überhaupt noch eine Chance?
Martin Maria Krüger: Ich denke, das ist vor allem eine Frage der handelnden Personen und der Inhalte. Wichtig ist, dass wir die Inhalte zusammenführen. Da sind wir auf einem guten Weg. Die Projekte müssen sich in ihrer Entwicklung auch an den Entwicklungen der Gesellschaft ausrichten. Nehmen wir nur Schlagworte wie Flüchtlinge, Integration, Migration. Es hat da auch schon Ansätze gegeben. Denken wir an „Jugend musiziert“ und die Baglama, um mal ein Beispiel zu nennen.
nmz: Die hat ein wenig Alibi-Funktion, oder?
Krüger: Aus unserer Sicht eigentlich nicht. Wir haben das schon gezielt als Beginn einer Entwicklung gesehen, die sich fortsetzen sollte. Oder nehmen wir das MIZ mit seiner Plattform „Musik macht Heimat“. Da werden wir zu einer Erweiterung kommen, die auch interaktiv arbeitet. Es freut uns sehr, dass die Kulturstaatsministerin (BKM) Monika Grütters hier auch die notwendige Förderung in Aussicht gestellt hat.
Wir arbeiten auch an einem gemeinsamen Konzept für eine übergreifende Öffentlichkeitsarbeit. Und wir arbeiten an einem Verschlankungskonzept für die Struktur der gGmbH in den nächsten Jahren.
nmz: Was bedeutet das: „Verschlankungskonzept“?
Krüger: Der wichtigste Schritt wird sein, dass es ab Mitte 2018 nur noch eine Geschäftsführerin oder einen Geschäftsführer geben wird.
nmz: Nach wie vor entsteht aber doch der Eindruck, dass es ein Ungleichgewicht gibt zwischen e.V. und gGmbH und dass die beiden nicht immer ineinandergreifen.
Krüger: Das meinte ich, als ich von handelnden Personen sprach. Ich denke, ob der Musikrat eine Einheit darstellt, wird am Ende von denen abhängen, die zentrale Verantwortung tragen, also von der Geschäftsführung der GmbH, dem Generalsekretär, dem Präsidium und den Gremien. Wir sind dabei, diese Vernetzung voranzutreiben, zum Beispiel grundsätzlich die Erkenntnisse und Beschlüsse aus den Bundesfachausschüssen und, soweit notwendig, auch aus den Projektbeiräten im Präsidium zu behandeln. Wenn man weiß, wie viele Gremien das bei uns sind, dann weiß man auch, dass das ein komplexes Vorhaben ist.
nmz: Die Projekte sind die Aushängeschilder des Musikrats. Kulturpolitik und Lobbyarbeit ist sehr schwer in die Öffentlichkeit zu vermitteln. Kann der e.V. nicht verstärkt mit den von ihm im Grunde wesentlich gestalteten Projekten nach außen treten, sich nach außen präsentieren – auch mit seinen kulturpolitischen Zielen?
Krüger: Seit einiger Zeit streben wir an, nach außen überhaupt so wenig wie möglich diese Labels GmbH und e.V. zu verwenden. Wir sprechen vom Deutschen Musikrat. Wenn wir Politik nicht nur im engeren Sinne verstehen, sondern als gesellschaftliches Wirken, dann sind die Projekte sicher das Wirkungsvollste, was wir haben. Dort spielt die Musik!
nmz: Der Braintrust ist aber der e.V. Dort sitzen die fachlichen Kompetenzen in großer Vielfalt und Breite. So eine Vernetzung scheint doch sehr, sehr angebracht.
Krüger: Die ist von der Form her auch gesichert. Und natürlich müssen wir die Kompetenzen unserer hochkompetenten festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbinden. In diesem Zusammenwirken ist es weniger eine hierarchische als eine sich auf der inhaltlichen Ebene bewegende Vernetzung, die eine entscheidende Rolle spielt.
nmz: Ein zentrales Thema für den Musikrat ist aktuell der Musikfonds. Es gibt ihn jetzt …
Krüger: Es wird ihn geben. Die Gründungsversammlung wird im September stattfinden.
nmz: Wie ist es dazu gekommen und was soll mit dem Geld, immerhin 1,1 Millionen Euro, passieren?
Krüger: Der Anstoß für einen Musikfonds kam aus dem Deutschen Musikrat bereits im Jahr 2010. Die Forderung lautete: Es muss wie für praktisch alle anderen Künste auch einen Fonds für die Musik geben als flexibles Förderinstrument für kleine bis mittlere Förderbeträge. Im Kern soll die zeitgenössische Musik stehen, aber mit Grenzüberschreitungen, und deswegen sprechen wir von „aktueller Musik“.
nmz: Was genau ist der Unterschied?
Krüger: Unter zeitgenössisch versteht man ja doch die klassische E-Musik im Sinne der „Neuen Musik“. Aber hier geht es darum, dass die Bereiche Pop und Jazz und auch Elemente, die gar nicht in eine bestimmte Schublade passen, mit abgedeckt werden durch die Förderkriterien.
nmz: Wie sehen diese Kriterien aus?
Krüger: Noch bestehen die Kriterien als solche nicht. Es wird eine Gründungsversammlung geben, die die BKM im September einberuft. Dazu werden sieben Verbände als Gründungsmitglieder eingeladen. Einer davon ist der Deutsche Musikrat. Dort wird es darum gehen, den Grundstein für Förderkriterien zu legen und ein Kuratorium zu berufen, das auch als Jury fungiert.
nmz: Da wird es sicher große Begehrlichkeiten geben – auch innerhalb dieser sieben Verbände, die in ihrer Ausrichtung sehr unterschiedlich sind. Welche Rolle spielt der Musikrat im Konzert der Nutznießer?
Krüger: Ja, das wird sicher eine sehr interessante Gründungsversammlung. Der Deutsche Musikrat ist formal nur eines dieser sieben Gründungsmitglieder.
nmz: Er hat also nicht die Federführung?
Krüger: Da man sich für die Form des e.V. entschieden hat, kann es eine formale Federführung schon vereinsrechtlich nicht geben. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam zu einer einvernehmlichen Förderpolitik kommen, die allen in der richtigen Weise zugute kommt.
nmz: Warum gerade diese sieben Verbände? Wer hat das festgelegt?
Krüger: Die sind letztlich vonseiten der BKM eingeladen worden. Es wird natürlich eine Frage sein, ob man diesen Kreis der Mitglieder gelegentlich erweitert. Sie können sich denken, dass es Verbände gibt, die sagen: Wir hätten eigentlich auch eingeladen werden müssen. Tatsache ist, dass bestimmte Bereiche jetzt noch nicht unmittelbar berücksichtigt sind. Die Frage könnte dann sein, ob dies auch durch Berücksichtigung im Kuratorium geschehen kann.
nmz: Ist nicht die Rock- und Popmusik, neuerdings auch die Jazzmusik ohnedies ein bisschen besser gestellt? Die haben ja sogar mit der Initiative Musik 3 Millionen zur Verfügung.
Krüger: Das ist so, und deshalb wird auch im Kern des Musikfonds die zeitgenössische Musik stehen. Der Akzent der Initiative Musik, bei der wir ja auch Gesellschafter sind …
nmz: … die wiederum eines der sieben Mitglieder des Musikfonds ist …
Krüger: … ist ja ein anderer, nämlich die Wirtschaftsförderung. Der Fonds arbeitet ausdrücklich im ideellen Bereich jenseits jeglichen Profitdenkens.
nmz: Es sieht ja so aus, dass der Musikrat durchaus an Kraft und Einfluss gewonnen, dass er sich stabilisiert hat, dass er eine höhere Anerkennung bei der Politik bekommen hat. Im Herbst 2017 sind Wahlen. Wollen Sie nochmal?
Krüger: Dazu werde ich mich in diesem Jahr im Rahmen der Mitgliederversammlung äußern.
nmz: Das wäre eine Art des Erntens?
Krüger: Wenn man in die Phase des Erntens kommt, geht man besser vorher. Das hat etwas Abschließendes. Der Musikrat muss aber immer auf die Zukunft ausgerichtet sein. Wir haben in den zurückliegenden Jahren eine ganze Reihe durchaus längerfristig gültiger Grundsatzpapiere zu zentralen Themen veröffentlicht. Wir haben das Grünbuch, das ein ständiges „work in progress“ ist. In den nächsten Jahren muss es darum gehen, den Akzent weniger auf ständig neue Positionierungen als auf die Umsetzung der Inhalte durch intensive politische Arbeit zu setzen.
nmz: Da könnten Sie bei den Freihandelsabkommen anfangen.
Krüger: Wir müssen als Kulturverbände – ich beziehe den Kulturrat ein, weil er da eine ausgezeichnete Rolle spielt – darauf achten, dass jetzt nachgebessert wird. Diese Möglichkeit gibt es. Es geht gar nicht darum, pauschal zu sagen: Es darf CETA oder TTIP nicht geben. Es gibt Möglichkeiten, auch national bezogene Sonderregelungen gerade für den Bereich der Kultur zu erreichen.
Andere Länder haben das getan, und wir erwarten, dass auch unsere Bundesregierung sich in dieser Richtung stark macht. Wir hoffen zudem, dass die Länder auf der Grundlage des Nettesheim-Gutachtens auf den Erhalt ihrer Kulturhoheit dringen werden. Uns geht es nicht darum, Dinge zu verhindern, die womöglich für andere politische oder wirtschaftliche Bereiche von großer Bedeutung sind. Uns geht es darum, dass die Kultur keinen Schaden nimmt.
nmz: Welche Wirkmöglichkeiten hat denn der Deutsche Musikrat in dieser komplexen Frage, die ja auf höchster politischer, auch europäischer Stufe diskutiert wird?
Krüger: Das ist tatsächlich schwer definierbar. Man muss sich auf jeden Fall vernetzen. Wir leben in einer Zeit, in der wir immer stärker, gerade weil Probleme supranational sind, darauf angewiesen sind, uns in Partnerschaften einzubringen, um die Wirksamkeit vergrößern zu können.
nmz: Kommen wir zurück zum Thema Wahlen. Es steht ja nicht nur die Präsidentenwahl an, sondern auch die des Präsidiums. Da sitzen derzeit 19 Menschen, und von diesen 19 Menschen sind zwei Frauen. Was tut der Musikrat, um daran etwas zu ändern?
Krüger: Wir haben im Präsidium bereits darüber gesprochen. Wir werden die Mitglieder darauf hinweisen, dass wir uns freuen würden, wenn Frauen verstärkt kandidieren.
nmz: Wie erklären Sie sich, dass nur so wenige Frauen kandidieren?
Krüger: Bisher habe ich das Gefühl, dass das Verbandswesen in seinen Spitzen noch überwiegend männlich ausgerichtet ist – und das nicht aufgrund der Herrschsucht von Männern. Frauen fühlen sich offensichtlich bisher für diese Art von Tätigkeit weniger berufen oder haben weniger Interesse dafür. Aber wer sich näher damit beschäftigt, weiß, wie wichtig und bedeutend die Verbände sind, was diese Kraft der Zivilgesellschaft in Deutschland ausmacht. Es ist wirklich nur zu hoffen und zu erstreben, dass Frauen sich da verstärkt einbringen, aber das heißt dann auch „in die Bütt gehen“ und kandidieren.
nmz: Kommen wir zum Rollenverständnis des Musikrats für die Zukunft. Was ist er? Ein ADAC für alle Musikschaffenden? Oder der Dachverband für die Mitgliedsverbände? Oder in erster Linie eine politische Lobbyorganisation? Wo werden die Schwerpunkte in Zukunft liegen? Alle drei Funktionen wären gar nicht einfach zu erfüllen.
Krüger: Der Deutsche Musikrat muss sie alle besetzen. Er darf einerseits nicht Dachverband im Sinne einer Glucke des Musiklebens, sondern er muss das zentrale Netzwerk sein. Er muss in enger Vernetzung mit den jeweils federführenden Mitgliedern die großen Teilbereiche des Musiklebens und der Musikpolitik bearbeiten. Der Deutsche Musikrat ist ja nichts anderes als die Summe seiner Mitglieder und überhaupt der Kräfte, die aus dem Musikleben heraus kommen, die sich dadurch verstärkt, dass man zusammenwirkt und damit wirklich als Ganzes mehr ist als die Summe der Teile. Letztlich spiegelt der Deutsche Musikrat die drei Säulen wider, die in der UNESCO-Konvention Kulturelle Vielfalt manifestiert sind, nämlich die Wahrung des Kulturellen Erbes, die Förderung des zeitgenössischen Schaffens und der hierarchiefreie Dialog der Kulturen. Von zentraler Bedeutung ist qualifizierte Musikalische Bildung für Alle.
nmz: Aber es ist doch nötig, gelegentlich die Kräfte zu fokussieren, in bestimmte Richtungen zu lenken und zu konzentrieren. Speziell im Bereich einer politischen Lobbyarbeit. Das kostet viel Kraft.
Krüger: Kraft schon, aber es ist auch sehr spannend. Und es ist notwendig. Aber auch da müssen wir uns vernetzen. TTIP und CETA, Urheberrecht, Künstlersozialkasse, das sind alles Themenstellungen, die über den Bereich der Musik hinausgehen, in denen wir uns mit anderen gesellschaftlichen Kräften zusammenschließen müssen, damit wir dann auf die Politik entsprechend einwirken können.
nmz: Es hat sich ja – vielleicht durch eine geschickte Personalpolitik – ergeben, dass es eine enge Verbindung gibt zwischen Deutschem Kulturrat und Deutschem Musikrat. Ist das so eine Art Netzwerk – auch über die musikalischen Grenzen hinweg –, das den Musikrat stärken wird, ihn noch stärker in den Fokus einer Öffentlichkeit rücken kann, die möglicherweise gar nicht so musik-affin ist?
Krüger: Es schadet dem Deutschen Musikrat sicher nicht, dass sein Generalsekretär auch Präsident des Deutschen Kulturrates ist. Es ist aber umso wichtiger, dass Christian Höppner im Rahmen des Kulturrates grundsätzlich überparteilich sich engagiert und auftritt, während andere, zu denen ich ja jetzt auch selbst gehöre, im Sprecherrat die musikratsbezogenen Positionen vertreten können.
Ich bin überzeugt, dass wir einen starken Kulturrat brauchen. Denn ein starker Kulturrat heißt ja nichts anderes als ein gelingendes Zusammenwirken aller Sparten des kulturellen Lebens zum Wohle unseres Landes. Jeglicher Konkurrenzneid zwischen den einzelnen Sparten oder gar zwischen dem Deutschen Musikrat und dem Deutschen Kulturrat kann nur jedem einzelnen und allen miteinander schaden.