Das Werkstatt-Festival FORUM NEUER MUSIK des Deutschlandfunk wählt gezielt Themen, die in der Szene wenig erschlossen sind. Der nunmehr neunte Jahrgang initiiert Zusammenhänge zwischen gegenwärtigem Komponieren und dem Verständnis von Humanität. „Kunst als elementar menschliches Tun“ – so der Leiter des FORUMS Frank Kämpfer – „hat einen entscheidenden Anteil daran, den Begriff immer neu zu befragen“. Im Vorfeld der Konzerte sprach Yvonne Petitpierre mit dem DLF-Redakteur.
neue musikzeitung: Vor welchem Hintergrund bringen Sie „humanity“ und „composition“ inhaltlich zusammen?
Frank Kämpfer: „Menschheit“ und „Menschlichkeit“ – im Englischen eine Vokabel – bedeuten nicht ein und dassselbe. Theoretisch fordert unsere christlich-aufklärerische Tradition, Elend umgehend zu mildern, Gewalt zu entschärfen. In Palästina zum Beispiel, in Bosnien, in Ostafrika – überall, wo Krieg und Frieden sich kaum unterscheiden. Hoch komplexe Interessengefüge, in die auch die westlichen Staaten sehr tief verstrickt sind, verhindern hingegen real, dass es schnelle und einfache Lösungen gibt. Da steht die Frage, was praktizieren wir heute für einen Begriff von „Humanität“, und was kann helfen, ihn als Leitbegriff zu bewahren oder gar zu korrigieren. Im Sinne von „composition“ ist hier also der vielseitig schöpferische Mensch gefragt.
: Was kann Neue Musik in diesem Zusammenhang leisten?
Kämpfer: Die Avantgarde des Komponierens hat lange Zeit im Elfenbeinturm rein materialästhetischen und klangtechnischen Denkens agiert. Nur Einzelne haben immer auch soziale Realität reflektiert. Das bricht jetzt auf, wo sich das ganze Gefüge des Musikproduzierens verändert. Immer mehr Komponisten reiben sich an den gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen. Ohnehin steht Neue Musik Vereinfachungen im Wahrnehmen entgegen. Das ist vielleicht das Entscheidende: Wer differenzierter wahrnimmt, ist politisch schwerer zu manipulieren.
: Was konkret wird musikalisch Anfang April im Kammermusiksaal im Deutschlandfunk zu erleben sein?
Kämpfer: Sechs Kompositionsaufträge des DLF, die wir mit Partnern aus Kanada, Österreich und der Schweiz realisieren, entwerfen verschiedene Visionen. Jakob Ullmanns neues großes Ensemblestück „PRAHA: celetná – karlova – maiselova“ thematisiert die Verfolgung und Vernichtung jüdischer Künstler und Kunst als Grunderfahrung europäischer Moderne. Samir Odeh-Tamimi komponiert ein Gegenstück: „Challumót“ gründet auf Versen von Selma Meerbaum-Eisinger und spricht von der Sehnsucht nach Leben. Margit Kerns neues Akkordeon-Recital, eine Installation von Christoph Korn, ein Roundtable, elektroakustische Arbeiten von Jin-Ah Ahn und Georg Katzer sowie ein Projekt mit dem Bozzini-Quartett aus Montreal docken in diesem Spannungsfeld inhaltlich an.