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Freie Theater Mitteldeutschlands haben Angst um ihre Existenz

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Es mangelt an Auftrittsmöglichkeiten, der Verdienst gleicht einem Hungerlohn, schöpferisches Schaffen ist nur unter großer Selbstausbeutung möglich und ein Recht auf Arbeit gibt es so wie so nicht. Die Situation der Freien Theaterszene in Mitteldeutschland ist besorgniserregend. Die Nachrichtenagentur dapd lieferte drei Zustandsberichte zum Thema:

Freies Theater in Sachsen-Anhalt - Klaus-Peter Voigt, dapd


Magdeburg - Die Mehrzahl der 31 freien professionellen Theatergruppen in Sachsen-Anhalt hat keine feste Spielstätte. Zwischen Altmark und Burgenland fehlten für sie zudem Auftrittsmöglichkeiten, kritisierte das Landeszentrum Spiel und Theater. Ein wirtschaftliches Arbeiten sei unter diesen Bedingungen nur in den seltensten Fällen möglich, sagte Geschäftsführerin Katrin Brademann in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. Das Ensemble Theatrum im Schloss Hohenerxleben und das Theater an der Angel in Magdeburg gehörten zu den Ausnahmen, die über ein eigenes Haus verfügten.

Während im Bundesdurchschnitt Schauspieler in freien Ensembles 10.000 Euro netto im Jahr verdienen, liegt die Gage in Sachsen-Anhalt noch darunter. Für die Akteure bedeute dies, dass sie sich mit einem zweiten oder dritten Job "über Wasser halten" müssten. Nur so können sie ihren eigentlichen Beruf ausüben, sagte die Geschäftsführerin.

Zahl der Ensembles stabil
Brademann nannte es bedauerlich, dass die Gruppen in Sachsen-Anhalt kaum Kontakte zu Kulturhäusern und Theatern fänden. "Wir sind für eine Kooperation offen", sagte sie. Es mangele zwar nicht an der Offenheit der Verantwortlichen in den Kommunen, doch sie hätten kaum finanzielle Spielräume, um Auftritte zu ermöglichen. Freie Theater erwiesen sich aus diesem Grund als besonders mobil. Nur deshalb könnten sie überleben. Vor allem im Sommer reizten sie alle Möglichkeiten für Inszenierungen unter freiem Himmel aus und fänden dafür ansprechende Plätze. Das honoriere das Publikum.

Die Zahl der Ensembles sei zwar seit Anfang der 1990er Jahre relativ stabil, doch sowohl in der Zahl als auch in der Qualität zeige sich eine Stagnation, erklärte Brademann. Sponsoren seien knapp. Die Förderung von Projekten aus Landesmitteln reiche nicht aus. Knapp 400.000 Euro stünden im Jahr durchschnittlich zur Verfügung. Die Vergabe erfolge oft nach dem Gießkannenprinzip und nach starren Prinzipien. Der Landesverband forderte deshalb einen Beirat, der die Verteilung begleiten soll.

Durch den Überlebenskampf bleibe aber kaum eine Chance, innovative Inszenierungen zu entwickeln. Das schwäche die Szene. Nur mit finanzieller Unterstützung könnten die Gruppen auch kleine Produktionen mit einem künstlerischen und ästhetischen Anspruch realisieren, sagte die Geschäftsführerin. Gegenwärtig müssten sie sich bei der Auswahl der Stücke fast ausschließlich an der Rentabilität orientieren. Für Experimente gebe es keinen Raum.



Freies Theater in Sachsen - Sven Eichstädt, dapd

Dresden - Die freien Theater in Sachsen stehen vor großen finanziellen Schwierigkeiten. "Die freie Theaterszene wird knapp bei Kasse gehalten", sagte der künstlerische Leiter des Chemnitzer Festivals "Off 11", Michael-Paul Milow, der Nachrichtenagentur dapd. Schöpferisches Schaffen sei nur unter großer Selbstausbeutung und mit wenigen Mitteln möglich. Milow berichtet, dass es für das Chemnitzer Büro für theatrale Strategien auch jetzt im Februar noch keine Gewissheit gebe, ob es in diesem Jahr städtische Fördermittel erhalte.

"Es scheint immer der Künstler zu verlieren, der mit dem Mangel nicht zurechtkommt", sagte Milow. Zwei der drei professionellen freien Gruppen in Chemnitz wüssten derzeit nicht, ob sie in diesem Jahr ihre Arbeit fortsetzen und ihre künstlerischen Projekte verwirklichen könnten.

Freie Theater chronisch unterfinanziert
Der Geschäftsführer des Vereins zur Förderung des Leipziger Off-Theaters, Dirk Förster, äußerte die Einschätzung, dass die freien Theater in Sachsen chronisch unterfinanziert sind. Der Freistaat und die Stadt Leipzig leisteten nur eine Minimalfinanzierung. Der Verein, der auch das freie Theater Lofft im Leipziger Stadtteil Lindenau betreibt, erhalte im Jahr 245.000 Euro von der Stadt und 40.000 Euro von der Staatsregierung. In Sachsen sei es extrem schwierig, private Förderer und Sponsoren zu finden. "Die wenigen großen Firmen, die hier ansässig sind, betreiben schon Sportförderung und nur selten Kulturförderung", erläuterte Pressereferent Sebastian Göschel.

"Die chronische Unterfinanzierung drückt sich in einer extrem dünnen Personaldecke und massiv untertariflicher Bezahlung der Mitarbeiter aus", sagte Förster. "Wir befinden uns permanent in einem Krisenzustand", ergänzte Göschel. Das freie Theater Lofft habe zum Beispiel nur drei fest angestellte Mitarbeiter, die Künstler würden je nach Produktion engagiert. "Die künstlerischen Produktionen erhalten von uns ein festes Budget", erläuterte Göschel, "in welchem Ausmaß sie ihre Künstler bezahlen, entscheiden sie selbst." Er berichtete, dass in freien Theatern häufig ehrenamtlich und weit über die normale Arbeitszeit hinaus gearbeitet werde.

Jahresverdienst oft unter 10.000 Euro
Eine aktuelle Studie, die der Landesverband der freien Theater herausgegeben hat, macht deutlich, wie gering die Einkommen der Künstler im Freistaat sind. Mehr als die Hälfte der befragten Darsteller verfügt demnach über ein jährliches Einkommen von weniger als 10.000 Euro, bei einem weiteren Viertel sind es pro Jahr zwischen 10.000 und 20.000 Euro.

Die freien Künstler verdienten durchschnittlich 7.570 im Jahr, bei den Festangestellten liege die jährliche Nettosumme bei 17.238 Euro. Die Einkommen der freien Künstler liegen damit unterhalb der Armutsgrenze, die der fest angestellten Darsteller unterschreiten deutlich das durchschnittliche Gehalt der sächsischen Angestellten, das vom Statistischen Landesamt für das Jahr 2010 mit 30.500 Euro brutto angegeben wird.



Freies Theater in Thüringen - Andreas Göbel, dapd

Erfurt/Rudolstadt - Bei den Freien Theatern in Thüringen könnten in diesem Jahr viele Projekte dem Rotstift zum Opfer fallen. Die meisten Häuser hätten bislang keine Zusagen über die Höhe der diesjährigen Fördergelder, sagte der Geschäftsführer des Thüringer Theaterverbands, Mathias Baier, auf dapd-Anfrage. Wenn es bis März keine verlässlichen Rückmeldungen gebe, müssten viele Spielstätten ihr Angebot deutlich zurückfahren oder ganz schließen.

So könnte etwa im Theater am Markt in Eisenach im September der Vorhang zum letzten Mal in diesem Jahr fallen. 2012 sei die Bundesförderung für das Haus weggefallen und habe ein Loch von 13.000 Euro in den Etat gerissen, sagte der Leiter des Theaters am Markt, Timo Bamberger. Ob die Zuschüsse des Landes auf dem Vorjahresniveau bleiben werden, sei ungewiss. Viele Theater seien bereits jetzt weitgehend handlungsunfähig, einige hielten sich nur durch ihre Reserven über Wasser.

Budgets durch Bewirtschaftungsreserve bedroht
Bauchschmerzen bereitet den Theatern zudem die von Finanzminister Wolfgang Voß (CDU) verordnete Bewirtschaftungsreserve, derzufolge die Ministerien 20 Prozent ihrer geplanten freiwilligen Ausgaben zurückhalten müssen. Im Mai soll mit Blick auf die Steuerschätzung der Vorbehalt überprüft werden. "Eine Entscheidung im Mai käme aber ohnehin viel zu spät, eigentlich müssten die meisten Projekte ja dann schon laufen", sagte Baier.

Doch hinter den Kulissen deutet sich eine Lösung an. Selbst wenn die Mittel einbehalten würden, könnten die Freien Theater dann mit einem blauen Auge davon kommen. Im Gespräch ist ein Ausgleich, der fehlende Mittel auffangen könne. Die Gelder könnten von einem Projekt umgeleitet werden, mit dem die Einstellung von Technikern an den Theatern finanziert werden sollte. "Auch das wäre eine Notlösung - in jedem Fall leiden die Aufführungen auf die eine oder andere Weise", sagte der Sprecher des Kultusministeriums, Gerd Schwinger.

Während das Kultusministerium Voß einmal mehr einen "unangekündigten Alleingang" bei der Bewirtschaftungsreserve vorwirft, weist das Finanzministerium die Kritik unter Verweis auf die Sparzwänge zurück.

Frage nach Wert der Szene muss grundsätzlich geklärt werden
"Wenn wir diese 20 Prozent verlieren, können wir die meisten Theater einstampfen", sagte Bamberger. "Im Prinzip geht es aber vor allem darum, dass wir neben einer besseren Finanzierung wenigstens Planungssicherheit erreichen". Bislang gelte die Förderung für jeweils ein Jahr - plus der Zeitspanne, die Kommunen, Länder und Bund für die Haushaltsplanung braucht.

"Im Prinzip wissen wir also erst Ende März, ob es uns seit Jahresbeginn überhaupt noch gibt", sagte Bamberger. "Eine Grundsolidität muss schon da sein." Unter solchen Voraussetzungen sei ein vernünftiger Betrieb nicht möglich.

Grundsätzlich müsse aber die Frage gestellt werden, welchen Wert die Freien Theater hätten. "Innovationen, Impulse, Bürgerengagement: Das alles leisten die Freien besser als die großen Theater." In der Theaterfinanzierung müssten dringend neue Ideen entwickelt werden. Vor allem, was die Verantwortung der Kommunen angehe: "Die Städte sollten dringend bekennen, wie viel ihnen unsere Arbeit wert ist", sagte Bamberger.