Srinagar - Das Bayerische Staatsorchester hat am Samstag ein Friedenskonzert in Kaschmir gegeben - und damit statt Ruhe und Eintracht eher Aufruhr und Trubel gebracht. «Vielleicht war die Absicht gut, aber die Taten waren es nicht», schimpft Yasin Malik, Vorsitzender der Jammu und Kaschmir Befreiungsfront.
Denn die Menschen im indischen Teil Kaschmirs seien überhaupt nicht einbezogen worden, sondern nur die Landesregierung - die aber von vielen in der Unruheregion abgelehnt wird. «Dieses Konzert ist für den Staat, nicht die Gesellschaft, niemand will für Kaschmir spielen», agitiert Malik.
Kaschmir ist zwischen den Atommächten Indien und Pakistan geteilt - doch in der indischen Landeshauptstadt Srinagar befürwortet laut einer Umfrage die Mehrheit einen unabhängigen Staat im Himalaya. Viele nehmen die starke Militärpräsenz als Besatzung wahr und beklagen die weitreichenden Rechte und Straffreiheit der Soldaten. Bei den Kämpfen zwischen extremistischen Separatisten und der Armee sind seit den 80er Jahren mehr als 45 000 Menschen getötet worden.
In dieses politische Minenfeld wagte sich das Bayerische Orchester unter der Leitung des indisch-stämmigen Dirigenten Zubin Mehta, der sich trotz aller Proteste überzeugt zeigte: «Musik ist die Nachricht vom Frieden.» Anders als beim Auftritt einer Mädchen-Rock-Band Anfang des Jahres, der vom Großmufti Kaschmirs untersagt wurde, und einem Literaturfestival 2011, das die Hardliner verhinderten, konnte das Orchester am Samstag Beethoven, Haydn und Tschaikowsky spielen. Dazu war allerdings starke Präsenz von paramilitärischen Truppen notwendig.
Denn so begeistert die geladenen Gäste im historischen Shalimar-Garten waren, so ablehnend standen die meisten anderen in der Stadt dem Konzert gegenüber. «Wir können uns derzeit gar nicht frei bewegen, Straßen sind gesperrt und wir werden gefilzt», sagt etwa der Bootsfahrer Feroz Ahmad. Zumindest hätte das Konzert für die Bewohner Srinagars und Touristen offen sein sollen und nicht nur für VIPs. Das sieht auch der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Nikolaus Bachloer, so. «Wäre ich Veranstalter gewesen, hätte ich darauf geachtet, dass es ein Konzert für die Menschen wird.»
Zahlreiche Bewohner Srinagar ärgerten sich außerdem, dass die Geschäfte in der Stadt am Samstag geschlossen blieben. Denn ein einflussreicher Separatistenführer hatte ein Ausgehverbot ausgerufen. Ladenbesitzer gaben nicht ihm, sondern dem Konzert die Schuld dafür. «Die Menschen in Kaschmir haben eine große Chance verpasst, sich positiv in der Welt darzustellen», sagt Muzaffar Hussain Baig, früher stellvertretender Regierungschef von Jammu und Kaschmir. «Nun werden sie als engstirnige und intolerante Menschen gesehen, die Schönheiten nicht sehen wollen.» Die Region werde also weiterhin nur mit Negativem wie dem Terrorismus assoziiert werden.
Die Organisatoren einer parallelen Protestveranstaltung berichteten genau davon. «Menschen verschwinden, sie sterben in Haft, die Regierung lügt, Massengräber, sexuelle Gewalt, Folter, illegale Festnahmen», stand auf einem der Plakate. Die größte Demokratie der Welt funktioniere in Kaschmir nicht, sagt Mit-Organisator Khurram Parvez. Und fügt hinzu: «Einige wenige Leute haben heute die Musik genossen, aber überall herum sind die Menschen in Schwierigkeiten.»
Doreen Fiedler