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Futter für das sich blähende Monster Freizeit

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Bericht über eine Podiumsdiskussion zur geplanten Schulreform
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Wäre ein Unbedarfter gekommen, hätte er sich wohl gedacht: Da geht es um ein paar Schulstunden in Musik und Kunst, und die tun so, als gehe es um die Zukunft der Menschheit. Am Ende hätte er vielleicht eingesehen, daß es wirklich darum geht – oder zumindest, daß es gewichtige Argumente dafür gibt. Wie wichtig also sind Kunst und Musik in unserer Gesellschaft, die sich das Ziel setzt, ein neues Jahrtausend zu prägen?

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hatte zur Podiumsdiskussion über die geplante Streichung der Leistungsstufen Kunst und Musik in den Gymnasien und zu Streichmodellen in den gleichen Fächern in den Realschulen geladen. Der Literaturkritiker Albert von Schirnding moderierte, die Runde der Debattanten bildete eine Front relativ Gleichgesinnter, Kritiker der Reformbetreiber: Hans-Peter Dürr vom Max-Planck-Institut, der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeld, Bernd Engelmann von der Akademie der Bildenden Künste, Hans Bernd Fischer, zuständig für Hochschulmarketing der Siemens AG, die Seminarlehrerin Rosa Quint, Stephan Schmitt von der Musikhochschule, die Vorsitzende der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern, Barbara von Schnurbein, und Ludwig Striegel vom Staatsinstitut für Schulpädagogik. Ein illustrer Querschnitt durch die Gesellschaft – sind alles Betroffene? In gewissem Sinne ja, wenn auch aus unterschiedlicher Warte. Und so wurde im hoffnungslos überfüllten Vortragssaal der Akademie (auch der vorgelagerte große Empfangsraum wurde noch ganz gefüllt) eine anregende Sammlung von Argumenten und Sichtweisen zusammengetragen. Der rege Publikumszuspruch unterstrich zudem die Brisanz des Themas. Es geht um unsere Kinder: ein Satz freilich, der manchem in unserer ichfixierten Welt nur mehr schwer über die Lippen kommt. Die grundsätzliche Frage wohl ist: Wie begreifen wir Bildung? Es gibt zwei polare Positionen. Die eine vertritt die Ansicht, daß die Gesellschaft mit ihrem ständig wachsenden Leistungsdruck im Wettbewerb um Marktpositionen Wesen zu erziehen habe, die den zentralen Anforderungen gewachsen seien. Von dieser Warte werden Aufwand-Nutzen-Rechnungen aufgemacht, und da hat das Geigenspiel scheinbar schlechte Werte. Was sich solcherart nicht rechnet, fällt unter den Tisch und wird dem immer furchterregender sich blähenden Monstrum Freizeit zugewiesen. Die Schule also soll von Kunst und Musik „entlastet“ werden, um Raum zu schaffen für die zentralen Anforderungen des Leistungs- und Effektivitätsbarometers. „The winner takes all“ lautet der Leitspruch, und auf diesen Bildungsdarwinismus bauen die Betreiber der Schulreform, die in Monika Hohlmeier offensichtlich eine willige Umsetzerin gefunden haben. Die Verlierer sind nicht ihr Problem. Allenfalls werde zugelassen, daß dieses „Schlachthaus des Effektivitätskampfes“ noch ein wenig durch die Blüten der Orchideenfächer geschmückt werden. Schon hier setzt die Kritik ein. Sie bewegt sich, so etwa Siemens-Vertreter Fischer, auf der Argumentationsschiene, daß zwar diesem Gerangel um Führungsstellungen heute nicht zu entkommen sei, daß aber gerade Fächer wie Kunst und Musik maßgeblich zur Schärfung der Waffen beitragen können: von der Kreativitätsförderung zur Schulung in Gestaltungsfragen oder in Bezug auf immer wesentlicher werdendes Teamwork. Fraglos ist dies eine Zwischenposition, die Musik und Kunst die Rolle eines Fitness-Studios im Überlebenskampf zuweist. Aber vielleicht diente künstlerische Betätigung schon immer auch diesen Zwecken des Halt-Findens und des spielerischen Erprobens von Bewältigungs-Mustern. Es ist ein Argument am Rande, ganz aber sollte es (auch als Krücke für die „Streich-Reformer“) nicht aus den Augen verloren werden. Immerhin zeigt der Konkurrenzkampf, daß technokratisch spezialisierte „Idioten“ keineswegs bessere Karten in einer flexibilitätsfordernden Kampfsituation haben. Ohne Zweifel fundamentaler ist die Sicht auf den ganzen Menschen. Zu seinem enthusiastischen Fürsprecher wurde der Max-Planck-Physiker Hans-Peter Dürr. Er stellte die Diktate der Leistung, der sogenannten Leistung, grundsätzlich in Frage und rückte eine andere Frage ins Zentrum: Was will der Mensch, was macht ihn glücklich, was macht seine Ganzheit aus? Wirklich ist es eines der großen Mysterien unseres Seins, daß die nahezu beliebige Anhäufung materiellen Reichtums die Frage nach Zufriedenheit, nach innerer Abrundung, nach Glück im Dasein immer mehr zurückdrängt. Auch den „Winnern“ ist das versagt, und der Homo sapiens regrediert immer mehr zum Homo oeconomicus, der nur noch als Kunde in Versandlisten auftaucht. Die Welt, so Dürr, ist in ihrer Erkennbarkeit weit vielschichtiger, als es uns abzählbares Wissen vorgaukelt. Das Anschauen von Gestalt, von Schönheit, von Sinn, zu all diesem ist ein Computer nicht fähig. Darum darf nicht versucht werden, den Menschen zu einem ohnehin kläglich beschränkten Computer zu erziehen. Weite und Fehlerfreundlichkeit machen unser Wesen aus, das evolutionär gelernt hat, mit komplexen Problemen umzugehen, indem es das für den Menschen Relevante zu extrahieren versteht. Die künstlerische, die ästhetische Anschauung ist hierfür von fundamentaler Bedeutung. Die Schule, so der Konsens aller Diskutanten, darf nicht so tun, als ginge sie das alles nichts an. Sie darf nicht zur Retorte werden, die die Menschen nach fragwürdigen Versuchsanordnungen in „Winner“ und „Loser“ trennt. Sie muß, allein um ihrem Ethos der Bildung zum Wahren, Schönen und Guten zu gehorchen, ihre Ansprüche nach oben schrauben: nicht indem sie sedimentiert, sondern dadurch, daß sie kreativ Modelle ersinnt, die allen die Gelegenheit zur Selbstfindung und Entwicklung ermöglichen. Das ist ein Komplex aus Wissen, aus strukturellen Erfahrungen, aus ästhetischen und moralischen Anschauungen, aus sozialen, aus emotionalen Geflechten. Entläßt sie aber den Menschen wie einen Amputierten, der allen Attrappen der medialen Verlockungs-Landschaft orientierungslos auf den Leim geht, dann hat sie versagt. Die geplante Schulreform mit weiterer Streichung von künstlerischen Fächern gehorcht nicht irgendwelchen obskuren und zudem schlecht begriffenen Notwendigkeiten, sondern sie entspringt verbohrten, eindimensionalen Hirnen. Eine solche Schule hat unsere Gesellschaft noch nicht verdient – aber der avisierte Bildungsbegriff, eine Teufelsspirale, ist auf dem besten Weg, so eine Gesellschaft, es wäre eine des Untergangs, zu erzeugen.

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