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„QuerKlang“ lädt Kinder und Jugendliche dazu ein, Musik kollaborativ zu erfinden und auf die Bühne zu bringen. Foto: Kerstin Wiehe
„QuerKlang“ lädt Kinder und Jugendliche dazu ein, Musik kollaborativ zu erfinden und auf die Bühne zu bringen. Foto: Kerstin Wiehe
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Genullt oder nicht genullt?

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Nachschlag 2022/06
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Die Coronapandemie hat für zwei Jahre das Kulturleben zum Erliegen gebracht. Der Neustart hat begonnen, verläuft aber oft zäher als erhofft. Konzert- und Theatersäle füllen sich nur langsam wieder. Kulturkonsumenten wie Kulturproduzenten haben sich neu orientiert, und es gilt, beide wiederzugewinnen. Seit drei Monaten herrscht außerdem Krieg in Europa: Tausende von Geflüchteten kommen auch in Deutschland an und belasten die Etats der Kommunen enorm. Das alles lässt auch die Musikförderung und die Kulturetats bundesweit nicht unberührt.

Trotz gegenteiliger Behauptungen aus der Kulturpolitik beschleicht einen das Gefühl, als hätten die Kassandra-Rufer unter den Kreativen doch Recht behalten: Was 20/21 an Coronahilfen ausbezahlt wurde, soll jetzt wieder einge­spart werden. Beispiel Berlin: Obwohl Kultursenator Klaus Lederer vehement bestreitet, dass dies so sei, und obwohl dessen Politik eigentlich für eine Aufwertung der kulturellen Bildung steht, gibt es in der freien Szene Berlins möglicherweise auch Verlierer.

So hatte Schulsenatorin Astrid Sabine Busse im Entwurf für den Berliner Doppelhaushalt 2022/23 die Mittel für fünf Projekte aus dem Bereich der kulturellen Bildung zunächst genullt. Leer ausgehen sollten zum Beispiel „Urban dance goes professionell“, „Oper an der Schule“, „Max-Artists in Residence an Grundschulen“, diverse „Theaterpädagogische Projekte“ und auch das Neue-Musik-Projekt „QuerKlang – Experimentelles Komponieren in der Schule“, das nächstes Jahr sein zwanzigstes Jubiläum hätte begehen können.

Oder vielleicht doch noch begehen kann, denn aus informierten Kreisen heißt es kurz vor Redaktionsschluss, die Schulsenatorin hätte statt der Nullen doch noch 50.000 Euro pro Jahr eingestellt. Das ist zwar deutlich weniger als Projektleiterin Kerstin Wiehe beantragt hatte, aber das Jubiläumsjahr kann damit bestritten werden. Sicher bestätigt ist das erst, wenn der Haushalt 2022/23 Mitte Juni von den Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses beschlossen worden ist.

Seit 19 Jahren existiert das von Kulturmanagerin Kerstin Wiehe gegründete Kooperationsprojekt „QuerKlang“, dem alle Beteiligten gute Noten gegeben haben: Zu den langjährigen Unterstützern zählen die UdK Berlin, die MaerzMusik der Berliner Festspiele, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin sowie Berliner Schulen und freischaffende Komponisten. Auf einzigartige Weise verbindet „QuerKlang“ Komponisten neuester Musik mit Protagonisten verschiedener Bildungsinstitutionen vor Ort: den allgemeinbildenden Schulen, den Musikhochschulen und den Musikschulen. Die unterstützenden Kooperationen bilden in ihrer Summe ein beeindruckendes Kreativpotenzial ab, wie es nur in einer Kulturmetropole wie Berlin möglich ist. Einmalig ist auch die enge Vernetzung von Laien, Profis, Schülern und Studenten, Komponisten und Interpreten bei „QuerKlang“. Nachhaltigkeit bewies das Schulprojekt dadurch, dass ehemalige „QuerKlang“-Schüler inzwischen selbst Studierende an Musikhochschulen wurden, „QuerKlang“-Studierende sind inzwischen Musiklehrer und „QuerKlang“-Komponisten verlassen regelmäßig ihre Experten­ecke, um sich mit Musikpädagogik und Musikvermittlung zu beschäftigen.

„QuerKlang“ ist aber auch ein Paradebeispiel dafür, wie fragil Kulturförderung als Projektförderung sein kann. Seit 2003 unterstützten im wechselnden Rhythmus die BHF Bankstiftung, das Konzert des Deutschen Musikrates, der Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung, der Europäischer Sozialfond & Lernort Kultur, die UdK Berlin & Lions Club und zuletzt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Das bedeutet alle zwei Jahre wieder neue Anträge, wechselnde Fördergeber und Fördersummen und die permanente Angst vor dem genullt werden. Kontinuierliche Kulturelle Bildung sieht anders aus.

Noch ist der Berliner Haushalt 2022/23 nicht in Gesetzesform gegossen, vielleicht hilft also der Appell an die Abgeordneten: Prüfen Sie noch einmal die Projekte, bei denen eine Null steht, insbesondere, wenn sie so eine lange Tradition und Erfolgsgeschichte wie „QuerKlang“ vorweisen können. Möglichweise findet man einen Verbündeten in Kultursenator Lederer, wenn dieser sagt: „Im Kulturhaushalt gibt es nicht weniger, sondern mehr Ressourcen für kulturelle Bildung. Wir können aber nicht abfangen, was andere Ressorts gestrichen haben.“

  • PS: Nicht nur Berlin werkelt an seinem nächsten Kulturhaushalt. Auch andernorts wird mit viel Energie an den Kulturetats 2022/23 geschraubt. Sicher meistens mit den besten Absichten, aber nicht immer mit dem größten Erfolg. Die Redaktion der neuen musikzeitung hat unter zehn Metropolen eine Umfrage unter den Kulturreferaten beziehungsweise Kulturämtern durchgeführt. Deren Antworten können Sie im Dossier der nmz Juli/August 2022 nachlesen.

 

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