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Geschichtsbewusstsein oder Gegenwartsfragen?

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Symposium zur Rolle von Musikinstitutionen zwischen 1933 und 1945 in Köln
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Was wissen wir heute über das Musikleben während des „Dritten Reichs“? Das Thema könnte eines der Probleme des laufenden Antrags an die UNESCO sein, die 2020 über die Aufnahme der „Deutschen Theater- und Orchesterlandschaft“ in das Immaterielle Kulturerbe der Menschheit entscheidet. Unter dem Titel „Theater und Orchester im Nationalsozialismus – Zwischen Aufarbeitung und Verdrängung?“ luden die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) und die Hochschule für Musik und Tanz Köln zu einer Bestandsaufnahme ein.

Anstoß für das Symposium war die von Lutz Felbick vor einiger Zeit publizierte Studie zum Begriff „Kulturorchester“: Der Ausdruck, der zum Beispiel im Tarifrecht noch immer verankert ist, sei ein Instrument nationalsozialistischer Politik gewesen, so heißt es dort, und deswegen als belastet anzusehen. Felbick, der anfangs auch der DOV eine mangelnde Auseinandersetzung mit dieser Geschichte vorgeworfen hatte, sollte nun im Kammermusiksaal der Kölner Musikhochschule noch einmal seine Befunde vorstellen. Den Begriff „Kulturorchester“ kann der Aachener Musiker und Musikwissenschaftler erstmals im Jahr 1926 nachweisen. Der dem „Kampfbund für Deutsche Kultur“ des NS-Ideologen Alfred Rosenberg nahestehende Reichsverband Deutscher Orchester habe das Wort dann intensiv benutzt und sich darum bemüht, es in Musikzeitschriften zu etablieren. Als die Kultur, für die „Kulturorchester“ und „Kulturmusiker“ einstehen sollten, galt laut Felbick jene, auf die der „Kulturbolschewismus“, also atonale Musik, Jazz und was sonst noch als abweichend identifiziert wurde, angeblich „zersetzend“ wirkte.

Rolf Bolwin, ehemaliger geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins, skizzierte, wie der bis 2016 von ihm geführte Verband sich im Nationalsozialismus „relativ frühzeitig den neuen Machthabern angedient“ habe, bis hin zu einer freiwilligen Satzungsänderung, mit der er sich 1935 der Reichstheaterkammer unterordnete. Die Aufarbeitung vergleichbarer Institutionengeschichten will Bolwin weiter vorangetrieben sehen. Als modellhaft stellte er dafür die Arbeit des Nationaltheaters Weimar und des Nürnberger Staatstheaters heraus.

Für Peter W. Marx, Theaterwissenschaftler von der Universität Köln, ist es unausweichlich, den Blick in die Zeit vor 1933 zu richten. Das Theater und die Kultur der Weimarer Republik sei später in der Bundesrepublik als Modell idealisiert worden, was aktuell die Fernsehserie „Babylon Berlin“ fortschreibe. Schon in diesem Zeitraum seien aber bei den alten Eliten „Entfremdungserfahrungen“ entstanden sowie die Bereitschaft, Kultur in „kranke“ und „gesunde“ zu unterscheiden –  und „ironischerweise war Weimar eines der Zentren dieses Kulturkampfes“. Der Begriff „Kulturorchester“, so argumentierte Marx, richtete sich vor diesem Hintergrund auch gegen eine „privat finanzierte Form von Öffentlichkeit“, die von einer staatlich getragenen Kultur verdrängt worden sei. Der britische Historiker Neil Gregor führte in seinem Vortrag noch einmal eine weitere Perspektive ein. Auch er will beim Verstehen jener Ideologie, die im nationalsozialistischen „Kulturorchester“-Begriff zusammenläuft, früher ansetzen, „geraume Zeit vor 1933“. Darüber hinaus tendiert er sogar dazu, die Rolle des Nationalsozialismus abzuschwächen und „Vorstellungen und Praktiken der Bürgerlichkeit“ als Ausgangspunkt aller schwerwiegenden Entwicklungen zu begreifen: „Man muss sich auch eingestehen, dass die Archäologie des Begriffes ‚Kultur‘ noch viel tiefer reichen muss“. Das aber sieht Gregor, der an der Universität Southampton „Modern European History“ lehrt, als „ein Problem für uns als Europäer“.

Während zu Beginn des Symposiums Arnold Jacobshagen, Professor für Historische Musikwissenschaft an der Kölner Musikhochschule, betont hatte, wie wichtig aus fachlicher Sicht neben der Forschung zu Tätern und Opfern des Nationalsozialismus Arbeiten über Institutionen seien, hatte Gerald Mertens, der Geschäftsführer der DOV, unmittelbar den Gegenwartsbezug gesucht: Die Themen des Tages seien „sehr heutig“ und ließen sich auch mit aktuellen Entwicklungen in Verbindung bringen. Die Abschlussdiskussion knüpfte hier an, es ging um die Widerstandskraft von Musikinstitutionen gegenüber einem populistischen Wunsch nach Eingriff und Ordnung und nicht zuletzt auch um Wertehierarchien, die sich aus der Privilegierung staatlich geförderter „Kulturorchester“ im Nationalsozialismus ergeben haben. Ist deren formatierende Kraft womöglich noch heute spürbar – im Verhältnis zwischen U und E, zwischen freier und „offizieller“ Kultur? Auch Lutz Felbick hatte schon in seinem impulsgebenden Artikel angeregt, über solche historischen Pfadabhängigkeiten nachzudenken.

Wie es scheint, ist das inzwischen relevante Spannungsfeld gar nicht mehr das im Titel des Kölner Symposiums genannte: Die Zeit der Verdrängung ist hoffentlich vorbei, ob es aber bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus um eine Ausweitung des Geschichtsbewusstseins geht oder immer auch um ein davon ausgehendes Befragen der Gegenwart, ist noch nicht ausgemacht.

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