Benedikt Stampa, Intendant des Konzerthauses Dortmund und Kurator der Heidelberger Music Conference, wählte zur Begrüßung einen biblischen Einstieg: das Bild des Arbeiters im Weinberg. Unter dem Thema „Wachsen statt Wuchern“ fand die seit 2013 jährlich vom Festival Heidelberger Frühling ausgerichtete Tagung in Heidelberg statt. „Wachsen“ bei eingefrorenen Budgets, dünner Personaldecke, nur geringem Zuwachs bei Besucherzahlen und dem vielen Kulturinstitutionen innewohnenden „Strukturkonservatismus“ ist jedoch kein einfaches Thema.
In der ersten Podiumsdiskussion beschwor Markus Hinterhäuser (Salzburger Festspiele, Intendant) die Aura des Künstlers und die Kraft der Kunst. Einladen, statt schlicht abholen, möchte er das Publikum und stellt dafür auch großzügige Kartenkontingente für Kinder und Jugendliche bereit.
Matthias Naske, 2013 als Intendant des damals quasi bankrotten Wiener Konzerthauses berufen, gab ein Beispiel, wie man mit wirtschaftlichem Geschick und künstlerischer Vision eine Institution sanieren kann. 542.000 zahlende Besucher und 31.000 verkaufte Abonnements verzeichnet man dort jetzt, das Haus schreibt wieder schwarze Zahlen und ist dank einer Programmierung, in der alle Genres der Musik vertreten sind, breit in der Bevölkerung verankert. Naske lobte zudem die Qualitätsnorm ISO-9001:2015, die ihm half, Prozesse neu zu gestalten und die Institution zu steuern. Anteil am Erfolg des Konzerthauses hat sicherlich auch eine mutige programmatische Gestaltung, die auch scheinbar verrückte Gedanken zulässt, wie etwa ein Konzert, in dem gleichzeitig alle 15 Streichquartette von Schostakowitsch präsentiert werden. Am Nachmittag gingen die Themen ins Detail, „Technologie und Medien“ für eine Hälfte, eine Diskussion zwischen Philosophie und Kulturpolitik für die andere. Mit der Einladung von Referenten aus anderen Wirtschaftsbereichen, etwa aus der Gesellschaftsspiel-Branche (Karsten Schmidt, bis Anfang 2017 Vorstandsvorsitzender der Ravensburger AG), aus der Verlagsbranche (Dr. Martina Steinröder, Beraterin für Verlage bei Digitalisierungsfragen) und aus dem Fußball (David Görges, Marketing Borussia Dortmund in Vertretung für Carsten Cramer) folgte Kurator Stampa dem Ansatz, aus den Erfahrungen anderer Wirtschaftsbereiche zu lernen.
Holger Hettinger moderierte zwischen Steinröder und Schmidt eine anschauliche Diskussion über die Herausforderungen beim Thema Digitalisierung und ihre neuen Geschäftsmodelle. Viele Kulturbetriebe tun sich mit dem Thema noch schwer, teilweise fehlt Fachwissen, manchmal auch der Mut, in einen unsicheren Markt zu investieren – was verständlich ist, wenn man die dünne Personaldecke und die kritisch auf Risikoinvestitionen blickende öffentliche Finanzierung kennt. Ebenfalls problematisch ist die geringe Zahlungsbereitschaft der Nutzer für Inhalte im Netz.
Dabei gibt es in diesem neuen Markt auch eine ganze Menge zu gewinnen: Der Zuhörer kann auch dann informiert und begleitet werden, wenn er über längere Zeiträume nicht als Besucher in die Konzerte kommen kann, und behält so hoffentlich das Interesse und das Wohlwollen für die Institution. Zudem lassen sich potentielle Interessenten im Netz gut schon früh aufspüren.
Erfolgversprechend bei Schmidts Ravensburger AG waren etwa hybride Ansätze, die klassische Brettspiele mit digitalen Erweiterungen kombinieren. Hinter dem Buzzword Digitalisierung steckt dabei letztlich nur neue Technologie – es liegt an uns, wie und wozu wir sie nutzen. Eine ehrliche Kosten-Nutzen-Rechnung für neue Ideen und Produkte ist da ebenso wichtig, wie eine enge Verzahnung zwischen „klassischen“ und digitalen Inhalten.
Am Tag Zwei folgte eine Diskussion mit David Görges (BVB) und Johannes Bultmann (SWR, Gesamtleiter für Ensembles und Festivals) zum Thema „Wachsen durch Live-Streams?“. Parallel sprachen Kurator Benedikt Stampa und Iván Fischer über neue Konzertformate und ihre Möglichkeiten für den Konzertmarkt.
Die Abschlussdiskussion bot ein harmonisches Bild, und doch blieben einige Fragen offen. Die stete Suche nach der optimalen Finanzierung von Kultur, die Herausforderung einer Politik, die sich ihres demokratischen Wesens nicht immer sicher ist, und eine Digitalisierung, die möglicherweise noch nicht alle Facetten offenbart hat, weisen in den einzelnen Institutionen sehr unterschiedliche Erscheinungsformen, Problemstellungen und Möglichkeiten auf. Dabei ist oft die Zusammensetzung des Publikums Ausgangspunkt für Programmatik und Handeln der Institutionen. Wichtiger Garant für ein Fortbestehen einer vielfältigen und lebendigen Musikkultur sind dabei die Musikerziehung und der Lobbyismus für Musikschulen und Musikunterricht.
Und so ist es auch dieser Überblick über die Szene und ihre Entwicklungen, die aus einem solchen Branchentreffen einen Gewinn machen. Heruntergebrochen auf die eigene Situation gibt es Inspiration und Ideen für die eigene Arbeit. Dabei bleibt für weitere Konferenzen die Frage: Was denken sie denn wirklich, die jungen Kreativen, die oft am Rand der Institutionen oder in der freien Szene für Innovationen sorgen? Und wenn sie denn endlich kommen, die neuen Besucher: Sind wir in unseren Konzerthäusern tatsächlich „ready“ für sie?