Seit 2010 ist Julia Cloot Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Neue Musik, seit 2011 deren Präsidentin. Julia Cloot studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Berlin und promovierte 1999. Ihre erste berufliche Station führte sie 1999 als Chefdramaturgin ans Theater Görlitz. Anschließend war sie von 2001 bis 2005 als Referentin für Musik und Literatur bei der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und der VGH-Stiftung in Hannover tätig. Von 2005 bis 2013 stand sie dem Institut für zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main als Programmleiterin und Geschäftsführerin vor. Im Studiengang Theater- und Orchestermanagement der HfMDK Frankfurt unterrichtet sie seit 2005 Neue Musik, Neues Musiktheater und Neue Konzertformate. 2006 entwickelte sie für den SWR ein Vermittlungsprogramm für Studierende: Next Generation. Off-Programm der Donaueschinger Musiktage, das sie bis September 2013 leitete. Seit Oktober 2013 ist sie Kuratorin und stellvertretende Geschäftsführerin beim Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Andreas Kolb traf sich mit der GNM-Präsidentin zum Gespräch.
neue musikzeitung: Woher rührt Ihre Liebe zur Neuen Musik?
Julia Cloot: Ich wurde früh auf das Neue geprägt: Mein Großvater Eduard Pütz war Komponist, wenn auch kein Avantgardist, und ich kümmere mich gern um den Nachlass, der bei Schott Music verlegt ist. Dadurch hatte ich von klein auf mit zeitgenössischem Musikschaffen zu tun, später dann intensiver während meines Studiums. Bei meinem Theaterjob in Görlitz haben wir große Neue-Musik-Produktionen herausgebracht.
Und in Hannover habe ich für zwei Stiftungen gearbeitet, eine davon hatte ein Musikförderprogramm, und auch da habe ich mich sehr für die Neue Musik eingesetzt. Vor zehn Jahren, als noch nicht jeder von Musik-Vermittlung gesprochen hat, habe ich in Niedersachsen ein nachhaltiges Vermittlungsprojekt für zeitgenössische Musik in Schulen aufgelegt.
nmz: Die Gesellschaft für Neue Musik gibt es seit 1922. Sie sind seit 2011 Präsidentin. Die GNM setzt sich satzungsgemäß für die Förderung und Verbreitung Neuer Musik ein. Ist sie nicht eigentlich eine Gesellschaft für Musikvermittlung?
Cloot: Insgesamt hat sich der Boom der Musikvermittlung auch auf die Neue Musik ausgewirkt. Unter Komponisten gibt es daher das Schimpfwort: Musikvermittlungsmusik. Indirekt sind wir, die GNM, natürlich auch Vermittler der zeitgenössischen Musik, indem wir uns für ihre Institutionen, Strukturen und Vertreter stark machen.
nmz: Was sind die aktuellen Themen in der GNM?
Cloot: Im Prinzip gibt es drei Säulen der Arbeit: Erstens die kulturpolitische Vertretung der Neuen Musik in Gremien, zum Beispiel im Musikrat und dessen Bundesfachausschuss. Dort fand eine Veränderung innerhalb des Themenspektrums statt, als Beispiel dafür mag die Diskussion um TTIP und andere Freihandelsabkommen dienen, die sich auch auf die Arbeit an und mit der Neuen Musik auswirken. Die kulturpolitische Thematik ist insgesamt komplexer geworden, ein Beispiel sind auch die Veränderungen im Bereich Urheberrecht, verursacht durch die Möglichkeiten des Internets, etwa das Webradio. Die zweite Säule bildet die Kommunikation mit den Mitgliedern, vor allem in der Jahreshauptversammlung. Wir treffen keine einsamen Entscheidungen im Vorstand. Über alle Großprojekte wird in der Mitgliederversammlung abgestimmt, damit sie breit getragen werden, denn wir sind ein gewähltes Gremium. Die dritte Säule unserer Tätigkeit sind Projekte, die die GNM selbst macht. Hierbei ist sie natürlich nicht Veranstalterin, dafür haben wir nicht die Mittel und das Personal, aber wir versuchen, Themen zu setzen und weiterzuvermitteln, etwa mit Veranstaltungen zum Generationswechsel in der Neuen Musik.
nmz: Worum geht es beim geplanten Nachwuchsforum?
Cloot: Das Nachwuchsforum wird sich nicht an Interpreten und Komponisten richten, denn da hat sich in den letzten gut 15 Jahren viel getan. Wir sprechen eher Journalisten und Publizisten an.
nmz: Wie sehen Sie die Lage der Neuen Musik heute?
Cloot: Ich finde, dass sich die Neue Musik in den letzten zwei Jahrzehnten noch einmal deutlich besser aufgestellt hat, auch hinsichtlich ihrer Breitenwirkung, einfach indem sie an den Rändern der akademischen Komposition noch zusätzliche, vielfältigste Formen entwickelt hat. Projekte wie die von Johannes Kreidler beispielsweise, die einfach mehr Öffentlichkeit erzeugen oder Bekenntnisse wie die von Martin Schüttler: „Ich komponiere, was mich diesseitig umgibt“, zeugen von einer Veränderung im kompositorischen Denken. Organisatorisch ist durch das Netzwerk Neue Musik regional und überregional ganz viel in Bewegung gekommen. Aber es ist auch charakteristisch, dass nur wenige Netzwerk-Projekte überlebt haben nach dem offiziellen Ende der Förderung durch die Bundeskulturstiftung.
nmz: Die nmz veröffentlicht im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit der GNM derzeit eine Porträtserie der GNM-Regionalgesellschaften …
Cloot: Neben der Außenwirkung dient die Artikelserie in der nmz für uns auch dazu, eine Bestandsaufnahme für die GNM zu machen, denn die Szene ist ständig in Bewegung. Derzeit gibt es ca. 20 regionale Gesellschaften und Vereine. Die Gesellschaften vor Ort treten schwerpunktmäßig als Veranstalter auf, das unterscheidet sie von ihrem Dachverband, der eher vernetzend und kulturpolitisch wirkt.
nmz: Neben den Regionalgesellschaften gibt es noch Einzelmitglieder und korporative Mitglieder. Wie ist der Trend?
Cloot: In den letzten drei Jahren hatten wir einen Mitgliederzuwachs. Das liegt einerseits daran, dass wir verstärkt Werbung bei Studierenden gemacht haben, andererseits hat es auch damit zu tun, dass sich Studierende der Fächer Musikwissenschaft und Kulturmanagement heute früher für die Neue Musik als Schwerpunkt entscheiden. Es gibt eine Tendenz, dass sich bundesweit immer mehr junge Leute auf die Neue Musik spezialisieren. Aber man merkt deutlich, dass so langsam eine Generation verstirbt, für die der gesellschaftliche Auftrag des privaten Engagements eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Wir müssen stetig neue Mitglieder werben …
nmz: Komponisten spielten im klassischen Musikhochschulbetrieb, wo quantitativ vor allem das Erbe bewahrt und tradiert wird, eher eine marginale Existenz. Denken Sie, dass sich das im Moment ändert?
Cloot: Tendenziell ändert sich das schon, weil die Hochschulen auch auf die veränderten Bedingungen in der Neuen-Musik-Szene reagieren müssen, zum Beispiel dass mit dem Laptop komponiert wird und nicht mehr nur am Klavier mit Handnotensatz. Deswegen ist auch die Anzahl spartenübergreifender Projekte an den Hochschulen stark gestiegen: Installationen, Arbeiten mit Elektronik, Text, Licht oder Video – Kompositionsstudierende werden heute früher an die ganze Breite des zeitgenössischen Kunstschaffens herangeführt. Durch die Spezialstudiengänge für Interpreten der Neuen Musik, die ebenfalls stark zugenommen haben, kommen studentische Komponist/-innen auch früher mit Ausführenden in Kontakt. Man arbeitet an gemeinsamen, übergreifenden Projekten, das wirkt sich belebend auf die Neue-Musik-Szene aus. Michael Rebhahn konstatierte beim „get together“ der GNM im Frühjahr 2014 einen Gründungsboom bei jungen Spezialensembles. Nicht nur bei den GNM-Mitgliedern findet ein Generationswechsel statt, er ist insgesamt in der Szene der Neuen Musik zu beobachten.
nmz: Wie bringen Sie Ehrenamt und Job ins rechte Lot?
Cloot: Das ist eine wöchentliche Herausforderung. Es funktioniert nur, weil ich mit meinen Vorstandskollegen Franz Martin Olbrisch und Tanja Ratzke (zuvor Sigrid Konrad) eine gute Arbeitsteilung praktiziere. Ich engagiere mich aber auch im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit für die Neue Musik, weil mir die zeitgenössischen Künste insgesamt am Herzen liegen.
nmz: Wie sieht die Finanzierung der Verbandsaktivitäten aus?
Cloot: Was wir institutionell machen, muss durch die Mitgliedsbeiträge gedeckt sein, wenngleich diese mit jährlich 25 Euro pro Person nicht gerade üppig sind. In den vergangenen drei Jahren ist die Zahlungsmoral der Mitglieder erfreulicherweise sehr gestiegen. Die GNM kann darüber hinaus für Projekte wie etwa das Nachwuchsforum Anträge stellen.
nmz: Früher gab es eine Veranstalterkonferenz der GNM. Ist da heute kein Bedarf mehr?
Cloot: Statt zur Veranstalterkonferenz laden wir zu Treffen der örtlichen Regionalgesellschaften und -vereine ein. Da reden wir über Fragen der Programmierung, Vermittlung und Finanzierung Neuer Musik. Wir sind nach wie vor jedes Jahr bei den Weltmusiktagen vertreten und setzen uns dafür ein, dass die von den GNM-Mitgliedern gewählte Jury viele Bewerbungen zu begutachten hat und dass möglichst viele Werke von in Deutschland ansässigen Komponist/-innen aufgeführt werden. Das hat dieses Jahr in Polen hervorragend funktioniert.