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Grund zum Feiern

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100 Jahre EMI
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Mit ganzseitigen Anzeigen, Hochglanzbroschüren, einer üppig ausgestatteten Jubiläums-CD-Box und einer Operngala in Glyndebourne begeht das traditionsreiche Schallplattenlabel in diesem Jahr sein einhundertjähriges Firmenjubiläum. Gefeiert wird allerdings nur beim englischen Mutterhaus in London. Der deutsche Firmenableger, die EMI Electrola in Köln, sieht dazu keinen Anlaß. Denn deren Geschichte beginnt doch eigentlich erst im Jahre 1925, als The International Zonophone Company, der in den Kriegsjahren 1914-18 stillgelegte Firmenvorgänger, als Electrola GmbH reaktiviert wurde. Der Name der neuen Firma, die in Nowawes bei Potsdam beheimatet war, geht zurück auf das im selben Jahr erstmals eingeführte elektrische Aufnahmeverfahren. EMI nennen konnte sich das Unternehmen dann erst, als die beiden Muttergesellschaften The Gramophone Company und Columbia Graphophone - die sich bereits seit 1931 zur Electric & Musical Industries (später kurz EMI) zusammengetan hatten - ihre deutschen Tochtergesellschaften Electrola und Carl Lindström AG am 30. November 1972 zur EMI Electrola GmbH zusammenfaßten. Damit war das familiäre Verhältnis der beiden Unternehmen, die durch Aufgabenteilung bereits wie eine einzige Firma agierten und die 1953 gemeinsam auf das heutige Kölner Firmengelände am Maarweg gezogen waren, auch offiziell legitimiert. Nicht nur das fehlende Jubel-Datum mag die Geschäftsführung der deutschen EMI dieser Tage vor allzu großer Euphorie bewahren. Die Situation ist bekanntermaßen alles andere als erfreulich: Der Umsatzdruck wächst von Jahr zu Jahr, und die Aktionäre drängen auf Gewinnausschüttung, während der Klassikmarkt weiterhin rückläufig ist. Nach den Jahren des Booms, der 1983 mit der Einführung der CD begann, sind inzwischen härtere Zeiten angebrochen: Das Standardrepertoire liegt digitalisiert in zigfachen Aufnahmen vor, und kaum ein Käufer ist noch bereit, für die hundert-und-erste Einspielung der „Vier Jahreszeiten“ knapp 40 DM auf den Tisch zu blättern. Zudem machen kleinere Produktionsfirmen wie „CPO“ oder Niedrigpreislabels wie „Naxos“ den „Major Companies“ das Leben schwer. Das war nicht immer so: Bis in die fünfziger Jahre waren EMI-Aufnahmen (bzw. die unter verschiedenen Labels wie „Electrola“, „Columbia“ oder „His Master’s Voice“ erscheinenden Schallplatten) noch marktbeherrschend, während man heute bei ca.15% Marktanteil liegt. „Als ich anfing,“ erinnert sich der 1952 bei der ELECTROLA eingestellte spätere Produzent Gerd Berg, „gab es Verträge mit den Berliner Philharmonikern und Wiener Philharmonikern und dem Philharmonia Orchestra. Reihenweise gehörten die namhaften Pianisten und Geiger dazu, und natürlich alles, was lieb und teuer war auf dem Opernmarkt.“ Der damalige Chef-Produzent in Deutschland war Fritz Ganss, ein Mann mit fabelhaftem Gespür für Stimmen. Erika Köth beispielsweise stellte er sofort ein, obwohl sie ihm völlig verschnupft nur einmal vorgesungen hatte. Er verpflichtete auch Künstler wie Fritz Wunderlich, Hermann Prey, Anneliese Rothenberger und Rudolf Schock - eine ganze Sängergeneration also, die für Jahrzehnte den EMI-Katalog prägen sollte. Probleme der Koordination War die ungeheure Fülle des Repertoires im EMI-Katalog einerseits ein Wettbewerbsvorteil, fehlte es auf der anderen Seite an Koordinierung. Beispielsweise konnte es passieren, daß unter dem Dach der EMI zur selben Zeit drei Aufnahmen derselben Oper auf den Markt kamen oder Geiger wie Milstein, Menuhin, Oistrach und Ferras fast gleichzeitig dieselben Konzerte einspielten, während es im Bereich Kammermusik, Lied oder Alter Musik noch großen Bedarf gab. So sah Produzent Gerd Berg anfangs vor allem seine Aufgabe darin, diese Fülle durch Serien wie „Das Meisterwerk“ für den deutschen Markt zu kanalisieren und - etwa ab Mitte der sechziger Jahre - mit deutschen Produktionsreihen wie „Musik in alten Städten und Residenzen“ oder „Reflexe. Stationen europäischer Musik“ noch vorhandene Repertoire-Lücken im internationalen Katalog zu schließen. Seine Produzententätigkeit verstand er damals nicht zuletzt als kulturellen Auftrag: Mit seinen Aufnahmen wollte er höchstmöglichen Qualitätsmaßstäben genügen und einen künstlerischen Anspruch erfüllen, der von all seinen Arbeitskollegen geteilt wurde. Nicht nur die Macher ließen sich leiten von einem besonderen Verantwortungsbewußtsein. Auch für die Künstler selbst hatten Schallplattenaufnahmen einen ganz besonderen Wert. „Man hat schon geglaubt, daß das für lange Zeit etwas Beständiges sein sollte und daß man das so gut abliefern mußte, wie es überhaupt nur möglich war.“ Als sich für Berg die ersten Erfolge einstellten, gestand man ihm auch Freiheiten zu, die er aus heutiger Sicht als „so eine Art Narrenbonus“ bezeichnet. Der ermöglichte ihm den nötigen kreativen Spielraum auch für Aufnahme-Projekte, deren kommerzieller Erfolg nicht gleich absehbar war. Dennoch mußte Berg mit seinen Projekten immer wieder gegen firmeninterne Widerstände ankämpfen: „Es hört sich heute so an, als sei das so einfach gewesen. Viele Dinge, die heute noch im Katalog sind, sind damals nur unter größten Schwierigkeiten verwirklicht worden, daß ich wirklich mit den letzten Konsequenzen drohen mußte, um sie durchzusetzen.“ Neben einer Fülle zu ihrer Zeit bahnbrechender Alte Musik-, Kammermusik und Chormusik-Aufnahmen, ist es vor allem Bergs Geschick im Umgang mit jungen Talenten, von dem die deutsche EMI bis heute profitiert. Den Pianisten Christian Zacharias und den jungen Duisburger Geiger Frank Peter Zimmermann band er bereits sehr früh an das Haus und hat ihre solistischen Karrieren mit ungezählten Aufnahmen über lange Jahre aufgebaut und begleitet. Niedergang einer Ära Gerd Berg, der insgesamt über 30 Jahre für die EMI tätig war, hat die Veränderungen innerhalb des Konzerns in den letzten Jahren seiner Amtszeit mit kritischer Distanz beobachtet. Für ihn ist heute klar, daß mit dem Weggang des englischen Starproduzenten Walter Legge eine Ära zu Ende ging, die das künstlerische Diktat an ein Management übergab, das in erster Linie an Umsatzzahlen interessiert war. „Ich glaube, daß die Schallplattenindustrie heute nur noch ein Produkt verkauft, während wir damals darüber entrüstet waren, daß ein Lore-Roman als sogenannte Literatur weniger besteuert wird als eine Beethovensinfonie.“ Bergs Nachfolger bei der EMI Electrola, Dr. Michael Stille, leitete bis Ende letzten Jahres die A(rtists) & R(eper-toire) Abteilung der Firma und war zuständig für lokale Aufnahmen. Sein Arbeitsbereich bot kaum noch Gelegenheit für jene Art von kulturellem Sendungsbewußtsein, das noch für seine Vorgänger zum Selbstverständnis eines Schallplattenproduzenten gehörte. Wachsender Umsatzdruck und hohe Verkaufserwartungen lassen bei der Repertoireplanung keine Experimente mehr zu. Beispielsweise ist die langfristige Entwicklung von Künstlerkarrieren kaum noch möglich, wenn etwa bei einem begabten jungen Pianisten, dessen Verkaufszahlen durchschnittlich bei 1000 oder 1500 Stück pro CD liegen, spätestens nach zwei Jahren die „Sinnfrage“ gestellt wird. Dennoch gelang es auch Stille, Aufnahmen von besonderem Rang wie etwa den Zyklus aller Hartmann-Sinfonien mit den Bamberger Symphonikern unter Ingo Metzmacher herauszubringen. Neidische Blicke aus England Ein EMI-spezifisches Problem, das die deutsche Klassikproduktion immer entscheidend beeinflußt hat, ist die föderalistische Firmenstruktur mit dem englischen Center und seinen verschiedenen Tochtergesellschaften. Zwar wird die Tatsache, daß die größeren dieser lokalen Companies wie etwa die französische, die amerikanische oder (bis vor kurzem) die deutsche EMI auch eine eigene Produktionsabteilung unterhalten und mit ihrem regionalen Repertoire den internationalen Katalog ergänzen, als Bereicherung betrachtet. Schlechte alte Tradition ist es dennoch auch, daß die englischen Kollegen in den regionalen Häusern eine Konkurrenz sehen und man sich sogar untereinander mit neidvollen Blicken beäugt. Das spürte auch der Pianist Christian Zacharias, seit 1976 EMI Exklusivkünstler. Als der Geschäftsführer der deutschen Klassikabteilung, Roman Rybnikar, ihm dann im November letzten Jahres mitteilte, man habe beschlossen, die A&R Abteilung zu schließen, Produzent Michael Stille zu entlassen und die Aufnahmen mit ihm künftig von den englischen Kollegen abwickeln zu lassen, wirkte das zuerst wie ein Schock. In einem Fax, das er daraufhin (28.11.96) an ELECTROLA-Chef Helmut Fest schickte, hat er nicht, wie der „Spiegel“ schrieb (2.12.96, 49/1996), „frustriert und entgeistert hingeschmissen“, sondern lediglich seine „exklusive Bindung an EMI-Electrola nach Ablauf des bestehenden Vertrages“ aufgekündigt. „Das ist eine Arbeitsgrundlage, auf der ich das nicht mehr weitermachen kann, was immerhin 20 Jahre gewährt hat.“ Klassik-Chef Rybnikar hielt der öffentlichen Diskussion und dem Imageverlust für die traditionsreiche Klassikfirma, den seine Entscheidung hervorgerufen hat, entgegen: „Die Meldung, daß wir unsere deutsche Produktion einstellen, ist nie vom Hause EMI rausgegeben worden. Die Entscheidung ist die, daß unsere deutschen Künstler, die auf dem internationalen Markt agieren, wie z.B. Sabine Meyer, auch international gehandelt werden sollen. Das ist durch unsere A&R Abteilung in London gewährleistet. Das ist auch von den Künstlern gutgeheißen, teilweise sogar gefordert worden.“ Zum 1. April hat Geschäftsführer Rybnikar die Kölner Klassikabteilung unter dem Namen „EMI Scala“ grundlegend neu organisiert: Dem traditionellen Klassikbereich mit seinem erst seit 1993 international standardisierten Logo „EMI Classics“ und dem Alte Musik-Label „Virgin Classics“ steht nun ein unabhängiger „Cross Over“-Bereich gegenüber. Bleibt zu hoffen, daß die deutsche EMI den über viele Jahrzehnte andauernden kreativen Konflikt zwischen künstlerischen Konzepten und wirtschaftlichen Zwängen nicht vollständig zu Gunsten des Kommerz entschieden hat.

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