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Benedikt Holtbernd. Foto: Kerstin Einhorn
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Gutes weiterentwickeln, Neues entwerfen

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Benedikt Holtbernd, der Künstlerische Geschäftsführer des Deutschen Musikrates, im Gespräch
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Seit dem 1. März 2013 hat die gemeinnützige Projektgesellschaft des Deutschen Musikrats mit Benedikt Holtbernd einen neuen Künstlerischen Geschäftsführer. Ein Jahr nach Holtbernds Amtsantritt sprach Andreas Kolb mit ihm über die Projektarbeit des Deutschen Musikrates und die Impulse, die der Deutsche Musikrat für das Musikleben in Deutschland zukünftig setzen will. Vor seiner Zeit beim Musikrat war Holtbernd, der neben einer Gesangsausbildung auch Germanistik und Musikwissenschaft studierte und über Goethe promovierte, als Dramaturg am Stadttheater Würzburg, an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf, am Stadttheater Bern, als Operndirektor in Krefeld Mönchengladbach sowie als Künstlerischer Betriebsdirektor an der Semperoper Dresden tätig.

neue musikzeitung: 2013 war ein Jahr der Jubiläen: 60 Jahre Deutscher Musikrat, 50 Jahre „Jugend musiziert“, 25 Jahre BundesJazzOrchester, 10 Jahre Deutscher Musikrat-Projekte GmbH. Ihr erstes Jahr als künstlerischer Geschäftsführer war gewissermaßen ein Fest. Und 2014? Wieder Schwarzbrot?

Benedikt Holtbernd: Das ist natürlich sehr schön und motivierend, wenn man als Einstieg in einen neuen Arbeitszusammenhang erst einmal feiern kann. Die feierlichen Anlässe geben die Gelegenheit, gut und schnell die erfolgreichen Projekte sowohl von der Struktur als auch vom emotionalen Gehalt kennenzulernen und in sie hineinzuwachsen und vielen ihrer Akteure zu begegnen. In diesem Jahr hat sich mir gezeigt, wie umfassend die Arbeit des Deutschen Musikrates im Allgemeinen und der Projektgesellschaft im Speziellen ist.

nmz: Welche Impulse wollen sie geben?

Holtbernd: Ich wollte mir zuerst einmal den Überblick verschaffen: Wie arbeitet jedes einzelne Projekt und wie arbeiten sie miteinander? Jeder Projektleiter weiß sehr gut, was er innerhalb seines Projekts tut. Als eine meiner Kernaufgaben sehe ich die Verschränkung der verschiedenen Projekte miteinander an. Die ganze Vielfalt an Projekten, die wir anbieten, zu bündeln und unter die Menschen zu bringen, ist eine meiner wesentlichen Aufgaben.

nmz: Könnten Sie die Aufgabenbereiche der beiden verschiedenen Geschäftsführer und des Generalsekretärs für unsere Leser beschreiben?

Holtbernd: Um die Aufgabenfelder zu skizzieren, ist es sicherlich hilfreich, die Struktur des Deutschen Musikrates kurz zu umreißen: Der Deutsche Musikrat als Dachverband der meisten Musikfachverbände und der Landesmusikräte ist als Verein organisiert. Dem Verein ist ein Generalsekretariat zugeordnet, das maßgeblich die musik- beziehungsweise kulturpolitische Arbeit leistet. Die gemeinnützige Projektgesellschaft bündelt als Tochtergesellschaft alle kontinuierlichen Projekte des Deutschen Musikrates, die vornehmlich dem aktiven Musikleben dienen. Diese Projektgesellschaft wird von einem Künstlerischen und einem Kaufmännischen Geschäftsführer geleitet. Norbert Pietrangeli führt seit über zehn Jahre die kaufmännischen Geschäfte sehr geschickt, sodass selbst Reduktionen maßgeblicher Art verkraftet werden konnten. Jetzt geht es aber auch finanziell ans Eingemachte: denn wo wir an unsere Grenze gestoßen sind, können wir jetzt möglicherweise den Standard, den wir erreicht haben, so nicht ohne weiteres halten oder gar weiter vorantreiben.

nmz: Welche Schwerpunkte wollen Sie in der Projektarbeit setzen?

Holtbernd: Einerseits geht es um die Optimierung von Projekten und andererseits auch darum, Neues zu denken. Gerade sind wir beispielsweise dabei, das Dirigentenforum neu zu strukturieren, um es zeitgemäß auszurichten. Ich unterstütze ausdrücklich das Bemühen, den Dirigentenpreis neu zu formieren im Hinblick auf die internationale Beachtung einerseits und die Bedeutungssteigerung für die einzigartige deutsche Opern- und Konzertlandschaft andererseits. Ich halte es für wichtig, dass wir die Projekte auf bestimmte Themen hin bündeln. Da steht beispielsweise das Lutherjahr 2017 im Raum, bei dem wir uns engagieren werden. Oder das Beet-hovenjahr 2020, in das wir uns von unserem Stammhaus hier in Bonn mit unseren Projekten einbringen wollen.

nmz: Welche Schwerpunktsetzungen sind in den Bereichen Laienmusik und Nachwuchsförderung vorgesehen?

Holtbernd: Wir müssen auch diese Projekte auf den Prüfstand stellen. Die Frage: Wie sinnvoll ist noch dieses oder jenes? Wie können wir helfen, wie können wir unsere jungen Spitzenmusiker auf den Arbeitsmarkt vorbereiten? Es ist nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren, dass man einfach von ganz klaren Trennungen zwischen Laienmusik und Profimusik sprechen kann. Ich bin positiv überrascht über die hervorragende Qualität der sogenannten Laienmusik. Sich sein Einkommen zu hundert Prozent als Profimusiker zu verdienen, diese Sicherheit können wir heute den Studierenden nicht mehr ohne Weiteres geben. Ein Platz im Orchester ist nicht mehr so sicher, wie er es noch vor einigen Jahren war. Hier auf neue Strömungen hinzuweisen, ist eine wichtige Aufgabe und da müssen wir uns auch neu aufstellen: Zu wie viel Prozent kann ich meinen Beruf noch professionell ausüben und muss ich mir eventuell noch etwas anderes dazu suchen? Es ist also eine Vielfalt an Berufsfeldern, die sich dort auftut. Wichtig ist es, dass wir die richtigen Angebote in unseren Anschlussmaßnahmen machen, die wir im Grunde auch bei allen Projekten haben.

nmz: Kein Projekt ohne Anschlussmaßnahme also?

Holtbernd: Alle Projekte des Deutschen Musikrates zeichnen sich im Unterschied zu anderen Wettbewerben oder Jugendorchestern dadurch aus, dass sie Fördermaßnahmen nach sich ziehen. Jeder unserer Wettbewerbe findet nur deshalb statt, weil wir Menschen, die eine Spitzenqualität im musikalischen Bereich leisten, fördern und ihnen helfen, den Weg ins Berufsleben zu nehmen. Andererseits wollen wir aber auch das Feld bereiten, damit die Musik in Deutschland weiterhin oder wieder neu als Lebenselixier, als Grundbedarf im Bewusstsein der Gesellschaft bestehen bleibt. Nicht jeder, der beim Bundesjugendorchester mitspielt, muss auch professioneller Musiker werden.
Wenn wir uns etwa „Jugend musiziert“ und den Deutschen Musikwettbewerb ansehen: Ist das Feld, so wie es jetzt in den Kategorien der genannten Wettbewerbe aussieht, gut bestellt, oder müsste es nicht vielleicht auch erweitert werden? Sollten die Anschluss- und Fördermaßnahmen noch anders akzentuiert werden? Das sind alles Fragen, mit denen ich mich zusammen mit den Projektleitern und den Beiräten des DMR beschäftige.

nmz: Wie arbeiten sie mit dem Deutschen Musikrat e.V. zusammen, der ja das Dach der Musikverbände darstellt? Gibt es ein Rotes Telefon zwischen Ihnen und Herrn Höppner?

Holtbernd: Das Rote Telefon brauchen wir nicht. Wir stehen selbstverständlich in regelmäßigen Reflexions- und Planungsgesprächen. Wir agieren innerhalb des Musikrats in einem komplexen Gebilde. Da sind kontinuierliche Reflexion, Planung und Umsetzung eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches gemeinsames Zusammenwirken. Aufgabe und Herausforderung an alle Seiten. Wir sind „ein“ Deutscher Musikrat. Ein gutes Beispiel ist der gemeinsame Auftritt auf der Musikmesse, den wir selbstverständlich als Präsentation des „einen“ Deutschen Musikrates betrachten, in die zum einen die Verbände genau so mit einbezogen waren, in der sich aber auch die Projekte mit Musik im Zusammenhang mit musikpolitischen Diskussionen exzellent darstellten. Es ist für mich ein großer Gewinn, dass wir mit den Verbänden auch in Bezug auf die Projektarbeit kreativ zusammenarbeiten. Ich denke pars pro toto zum Beispiel an die Chorverbände oder den VdM, mit deren Vertretern ich in gutem Kontakt stehe: Was können wir gemeinsam entwickeln?

Wir haben das Projekt PopCamp, das Projekt BuJazzO. Innerhalb beider gibt es interessante Schnittmengen mit den Musikverbänden. Wir sagen nicht, der große Dachverband Deutscher Musikrat kann alles alleine. Nein! Es geht um die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken mit den Verbänden. Das Schöne am Deutschen Musikrat ist auch, dass wir bis in die Regionen präsent sein können.

Da ist das Paradebeispiel natürlich „Jugend musiziert“ – eine wertvolle Struktur, die es in anderen Ländern in dieser professionellen Organisationsform und -breite nicht gibt. Nur auf einem solchen Fundament persönlichen und ehrenamtlichen Engagements – sowohl von Politikern als auch von Privatpersonen –,  können wir unsere Arbeit machen. Da ist es überhaupt keine Frage, dass der e.V. und die Projektgesellschaft engstens zusammenarbeiten.

nmz: Was planen Sie zum Tag der Musik vom 13. bis 15. Juni 2015?

Holtbernd: Projektgesellschaft und e.V. haben gemeinsam besprochen, was wir zu leisten imstande sind. Die einzelnen Projekte sind langfristig zu planen, weshalb wir zurzeit auf Sonderveranstaltungen unserer Projekte zum Tag der Musik verzichten. Wir terminieren die Konzerte unserer Projekte in einem crescendo und decrescendo im Umfeld zum Tag der Musik. „Jugend musiziert“ wird im Zeitraum des Tages der Musik beendet und wir werden die Abschlussveranstaltung von „Jugend musiziert“ ganz in diesen Kontext stellen.

nmz: Stichwort „finanzielle Ausstattung“: Eine erhöhte Zuwendung von Seiten der Öffentlichen Hand steht meines Wissens nicht an, oder?

Holtbernd: Genau. Die Tariferhöhungen werden von den öffentlichen Zuwendungsgebern nicht aufgefangen, das ist unser großes Problem. Wir bemühen uns daher um weitere Drittmittel.

nmz: Das Interesse an den Projekten von Seiten der Teilnehmer ist aber ungebrochen?

Holtbernd: Was den Zuspruch der jungen Leute betrifft, kann ich nur mit Freude bestätigen: der ist ungebrochen. Wenn ich allein an „Jugend musiziert“ denke: Im letzten Jahr, waren es circa 2.400 Teilnehmer beim Bundeswettbewerb. Eine enorm stolze Zahl, die wir in diesem Jahr mit 2.499 gemeldeten Teilnehmern sogar noch steigern konnen. Der diesjährige 40. Deutsche Musikwettbewerb verzeichnete einen Anmeldungsrekord.

nmz: Also die Themen Ganztagsschule, Schulzeitverdichtung spielen in ihren Planungen keine so große Rolle?

Holtbernd: Wir beschäftigen uns natürlich mit dieser Situation. In den Beiräten ist die Frage schon des Öfteren aufgekommen, ohne dass wir uns zu Maßnahmen oder Entscheidungen gezwungen sehen. Kürzlich hatte zum Beispiel das BuJazzO ein Vorspiel: Wir hatten noch nie so viele Bewerber auf die Stellen im BuJazzO. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Bewerbungen über die sozialen Medien wie Facebook laufen. Über diese Kommunikationskanäle erreichen wir die meisten Jugendlichen. Das ist für uns ganz wichtig:  Denn wir hatten beinahe 200 Bewerbungen. Das ist wirklich erstaunlich und ungebrochen, genauso wie beim Bundesjugendorchester, das sich auch nicht über mangelnden Nachwuchs beklagen kann. Diese Sorgen haben wir also nicht – zumindest nicht im Moment und auch nicht auf absehbare Zeit.

nmz: Erste Erfahrungen mit dem Bereich Popularmusik? Sie kommen ja aus dem Hochkulturbereich.

Holtbernd: Ja, ich habe jedoch keinerlei Berührungsängste mit allen erdenklichen musikalischen Bereichen. Schließlich sind meine eigenen Kinder im Jazz- und Popmusikbereich aktiv. Im Rahmen meiner Theatertätigkeit habe ich bei etwaigen Gastauftritten feststellen können, mit welcher Disziplin, Konzentration und mit welchem enormen Arbeitseinsatz sogenannte Pop- oder Popularmusiker ihre Shows hochprofessionell gestalten und sich einbringen. Davon können sich manche klassische Musiker bisweilen eine Scheibe abschneiden.

nmz: Welche Impulse wollen Sie in nächster Zeit setzen?

Holtbernd: Was mir ganz wichtig ist: Wir müssen uns verankern, beheimaten, um uns dann weiter öffnen zu können. Da haben wir als Projektgesellschaft des Deutschen Musikrates mit dem Sitz in Bonn eine hervorragende Ausgangsbasis, eine besondere Chance sogar. Als ehemalige Bundeshauptstadt sieht man hier Entwicklungen, die zu Ende gegangen sind, und neue international ausgerichtete Entwicklungen. Es gibt in Bonn auch die große Möglichkeit der Öffnung zu den anderen Bundeseinrichtungen: Bundeskunsthalle, Beethovenhaus, Haus der Geschichte, und schließlich das Beethovenfest. Ich bemühe mich darum, dass die Beziehungen intensiviert werden, dass wir von hier aus in Zusammenarbeit mit diesen Institutionen Impulse setzen können: Nicht zuletzt mit dem großen Sohn der Stadt, Ludwig van Beethoven, der für uns durchaus ein Vorbild in verschiedenen Hinsichten sein kann, von handfesten Berufsauffassungen – er war auch Geschäftsmann (Stichwort Selbstmanagement) – bis hin zum grundsätzlichen Anspruch der Musik: per aspera ad astra. Ich finde es ganz schön, dass wir diesen Ausgangspunkt haben und die Weite des Landes erfassen können, die föderale Struktur beachten, aber auch in die Welt hinausgehen können. Zusammen mit den Projektleitern und dem e.V. Vorhandenes weiterzuentwickeln und Neues zu entwerfen, darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe.

nmz: Die Projektgesellschaft im künstlerischen und strategischen Wandel also. Was gibt es noch zum Thema Europa zu sagen?

Holtbernd: Zu unserem europäischen Engagement ließe sich eine Menge sagen. Wir haben in der zeitgenössischen Musik natürlich den European Workshop for Contemporary Music. Wir  versuchen unsere Aktivitäten auf die osteuropäischen Länder allmählich zu erweitern – Stück für Stück. In diesem Jahr kommt dieser Workshop erstmals zu uns nach Deutschland, zu den Darmstädter Ferienkursen. Auch das Dirigentenforum ist europäisch unterwegs. Durch den relativ jungen Zweig des Chordirigentenforums oder -preises gibt es weitreichende Kontakte ins Ausland – in die Schweiz, nach Tallinn und Stockholm –, sodass Workshops mit den hervorragenden Dirigenten vor Ort stattfinden, in einem Umfeld, das gerade auch für die Chormusik ja wie geschaffen scheint.

Und selbstverständlich sind auch über Europa hinaus gerade unsere Repräsentationsklangkörper wie das BuJazzO und das Bundesjugendorchester unterwegs. Da wird es in diesem Jahr eine Tournee nach Tunesien vom Bundesjugendorchester geben. Das Bujazzo war im letzten Jahr in West-Afrika, in diesem Jahr werden Musiker mit dem BuJazzO aus Guinea, der Elfenbeinküste und anderen afrikanischen Ländern hier in der Bundeskunsthalle Bonn musizieren. Das Wichtigste ist uns nicht allein das Präsentieren unserer Kunst, sondern der Kulturaustausch.

Die Europäische Musikbörse des DMR steht exemplarisch dafür, dass auch Laienmusiker international miteinander in Kontakt kommen und sich austauschen. Im besten Sinne verwirklichen wir mit unseren Projekten des Deutschen Musikrates das, was schlechthin in gesellschaftspolitischer, soziologischer und interkultureller Hinsicht gilt: Musik verbindet.

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