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Tobias Wolff. Frank Stefan Kimmel
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Hundertfacher Wunsch nach Planungssicherheit

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Der Sprecher des neugegründeten Forum Musik Festivals, Tobias Wolff, im nmz-Gespräch
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Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie haben sich im März zunächst 40 namhafte Musik-Festivals aus ganz Deutschland zusammengefunden, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Mittlerweile ist der Kreis auf über 100 Festivals angewachsen. Andreas Kolb sprach mit Tobias Wolff, Intendant der Händelfestspiele Göttingen und Sprecher des Forum Musik Festivals über großes Engagement, Kreativität bei der Durchführung von Ersatzprogrammen unter Pandemiebedingungen, aber auch über das Durcheinander unterschiedlicher Bestimmungen und fehlende Planungssicherheit.

neue musikzeitung: Als gefragter und aktiver Musikmanager haben Sie neben der Intendanz der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen und der Vorbereitung Ihrer Intendanz an der Oper Leipzig ab der Spielzeit 22/23  unvorhergesehener Weise noch eine Nebenbeschäftigung begonnen: Sie sind seit einigen Monaten Initiator und Teil der Plattform „Forum Musik Festivals“. Was ist das für eine Plattform und was will sie?

Tobias Wolff: Das Forum Musik Fes­tivals hat sich in der Coronakrise zusammengefunden, im März 2020, weil wir gemerkt haben, dass die Nöte der betroffenen Festivals zu wenig gehört werden. Uns fehlte eine Institution, die die Interessen der Festivals exklusiv vertritt. Aus diesem Notstand heraus haben wir uns zusammengefunden und sind aktiv geworden. Wir haben gleich zu Beginn mehrere Positionspapiere formuliert, die auch auf unserer Website abzurufen sind, und sind seither in einem sehr regen Austausch mit politischen Entscheidungsträgern, hauptsächlich auf Bundesebene, aber es gibt auch einzelne Landesgruppen, in Bayern und in Niedersachsen zum Beispiel.

nmz: Was waren Ihre Beweggründe, hier als Chef-Koordinator tätig zu werden?

Wolff: Chef ist gar nicht zutreffend. Ich bin aber vielleicht derjenige, der momentan den Hauptteil der Kommunikation trägt. Es gibt eine zehnköpfige Sprecher*innen-Gruppe, die sich verantwortlich fühlt, denn mit  100 Teilnehmern im Plenum Entscheidungen zu treffen, wäre natürlich sehr unpraktisch. Zu den anderen, die seit der Gründung sehr aktiv mitgewirkt haben, gehören u.a. Chris­tina Siegfried (Heinrich Schütz Musikfest), Evelyn Meining (Mozartfest Würzburg) oder Folkert Uhde (Köthener Bachfesttage). Aber auch das sind nur einige der vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bundesländern und aus verschiedenen Größenordnungen von Festivals. Unsere Motivation war tatsächlich, als Festivals eine gemeinsame Sprache zu finden und Lobbyarbeit zu machen, denn wir haben festgestellt, dass das in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist. Die Politikerinnen und Politiker haben auch deswegen Entscheidungen getroffen, die die Kultur in diesem Corona-Chaos benachteiligt haben, weil sie schlicht und ergreifend nicht wussten, wie wir Festivals eigentlich funktionieren. Wir sind jetzt im regen Austausch mit Kulturpolitiker*innen aus ganz Deutschland und auch der Bundesverwaltung.

nmz: Welche Ziele sind denn die prioritären, welche haben Sie erreicht und was ist Ihre mittelfristige Agenda?

Wolff: Wenn ich mir die ersten Ziele anschaue, die wir zu unserer Gründungszeit formuliert haben, dann hieß es hier „klare Sprache in den Verfügungen“. Das ist zum Teil erfüllt, aber in vielerlei Hinsicht ist es nach wie vor nicht geregelt, gerade wenn es um die Definition von Großveranstaltungen geht. Auch bei dem Thema „Was bleibt verboten, was nicht“ sind die Gesetzestexte und Verordnungen oft noch sehr schwammig. Da haken wir auch jedes Mal nach und hinterfragen das. Wir haben schon eine Menge erreicht, aber eben noch nicht die Gleichbehandlung der Kultur mit Sport, Religionsgemeinschaften und Wirtschaft: Wenn wir sehen, dass Flugzeuge und Biergärten voll besetzt sind, dann muss man einfach sagen, da ist die Kultur mit einer erlaubten Belegung von teilweise unter 20 Prozent klar benachteiligt. Da sind wir nicht müßig und sprechen das auch jedes Mal wieder an. Die Planungssicherheit für die nahe Zukunft ist auch noch nicht erreicht. Die meisten Programme, die jetzt aufgelegt werden, sind Programme, die in die Zukunft gerichtet sind, das heißt man kann jetzt Mittel beantragen für die nächs­ten Festspiel-Ausgaben. Aber wir haben alle noch zu kämpfen mit den Verlusten des aktuellen Jahres. Es nützt uns auch nichts, jetzt Mittel für essentiell neue Programmpunkte zu beantragen, wenn es uns dann vielleicht gar nicht mehr gibt, weil wir die Verluste dieses aktuellen Jahres nicht ausgleichen können. Viele Festivals sind für Bundesmittel gar nicht antragsberechtigt. Da müssen die Länder und Kommunen aktiver werden und können nicht entspannt auf den Bund verweisen.

nmz: Festivals sind ja nicht nur Subventions-Nehmer, sondern auch wichtige Arbeitgeber. Was tun, wenn die Kultur vor dem Bankrott steht?

Wolff: Auch hier bieten wir ein sehr heterogenes Bild: Wenn wir als Arbeitgeber auftreten, gibt es einmal die Festangestellten, um die wir uns kümmern müssen. Da gibt es das Instrument der Kurzarbeit, was tatsächlich auch einige in Anspruch nehmen. Der überwiegende Teil, den wir beschäftigen, sind jedoch freiberufliche Künstlerinnen und Künstler. Diese Freiberufler darf unsere Gesellschaft nicht alleine lassen. Fördertechnisch gab es zu Beginn der Krise zwei Optionen: man unterstützt die Künstler*innen direkt und hilft mit einer gewissen Summe Geld. Oder aber man setzt die Institutionen in die Lage, diese Künstler*innen zu bezahlen. Nun handhabt aber jedes Bundesland seine Coronahilfen ganz unterschiedlich. Wir haben einen wirklich großen Flickenteppich an Hilfsleistungen und Stipendienprogrammen. Wenn wir als Veranstalter zum Teil versucht haben, Vergütungen für erbrachte Teilleis­tungen, Ausfallgagen oder Vorschüsse zu zahlen, dann sagten die einen „Ja bitte! Unbedingt! Sofort!“. Die anderen sagen „Nein, bitte nicht“, weil sie gerade in einem Hilfsprogramm drin sind, wo auch Vergütungen für weiter zurückliegende Leistungen angerechnet und abgezogen werden. Insgesamt geht es den Künstlerinnen und Künstlern wirklich sehr schlecht. Seit sechs Monaten haben sie jetzt keine Aufträge mehr. Viele haben keine Rücklagen bilden können, weil die Honorare ohnehin bisher oft nicht besonders berauschend waren. Trotz all dieser Fragen muss sich das Forum Musik Fes­tivals auf sein Kernthema Festivals konzentrieren.

nmz: Gibt es bereits eine Rote Liste bedrohter Festivals? Oder auch Best- oder Worst-Practice-Beispiele aus den Reihen Ihrer Mitglieder?

Wolff: Bisher noch nicht. Wir haben im Moment eine Umfrage am Laufen, die genau das abfragt: Wie geht es euch, ist das Festival gefährdet? Ich habe den oberflächlichen Eindruck, dass viele es dieses Jahr schaffen werden, sich ins nächste Jahr rüberzuschleppen. Die Tendenz ist, dass es die kleinen Festivals besonders schwer haben, weil die eben durch viele Ras­ter fallen und nicht auf einen professionellen Stab zurückgreifen können wie Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein, sondern dort viel über Ehrenamtliche läuft, die längst an der Belastungsgrenze sind.

nmz: Es gibt neuerdings ein Forum Musikwirtschaft, eine Plattform, auf der sich kleine und größere Verbände der Musikwirtschaft wie BDKV, Musikverlegerverbände und andere zusammentun. Gibt es Allianzen oder Kooperationen mit diesen Verbänden?

Wolff: Prinzipiell sind wir mit vielen Interessenverbänden im guten Austausch. Die Händel-Festspiele sind auch Mitglied im Deutschen Bühnenverein. Aber dort sind noch sehr wenige Festivals organisiert. Der Deutsche Kulturrat ist sehr aktiv, aber es sind dort verschiedene Kultursparten beziehungsweise sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer versammelt. Gemeinsame Positionen brauchen dort viel Zeit und sind am Ende eher allgemein. Von daher hat es sich in der aktuellen Situation bewährt, dass wir unsere Einzelinteressen vertreten. Ich kann mir aber vorstellen, dass dieses Forum Musik Festivals irgendwann aufgeht in einem der anderen Interessensverbände. Im Moment macht es aber eben keinen Sinn. Unsere Mitglieder haben Sorgen, Nöte und echte Probleme, denen der Bühnenverein gerade keine Priorität einräumen kann – und auch nicht der BDKV, der Konzertagenturen und Teile der Musikwirtschaft vertritt.

nmz: Sind bei Ihren 100 Teilnehmern, die Sie auf der Homepage annoncieren, schon alle genannt oder erwarten Sie noch Wachstum?

Wolff: Wir sind jetzt nicht proaktiv auf Akquise-Tour, aber wir kriegen täglich Anfragen und auch immer wieder neue Mitglieder. Für den Bereich Klassik mit Teil öffentlicher Förderung haben wir da schon eine sehr repräsentative Reihe von Teilnehmern, auf die wir verweisen können.

nmz: Wir sprechen, was Corona angeht, immer über Negatives, aber in Ihrem Fall könnte man bei der Frage nach dem Positiven erwähnen, dass Festivals sich stärker austauschen und bessere Lobbyarbeit betreiben können, oder?

Wolff: Das ist tatsächlich eine echte Errungenschaft. Eigentlich müsste man mit sich selbst hadern, dass man das nicht auch ohne den Druck durch Corona hingekriegt hat. Ich gehe fest davon aus, dass das Forum zumindest als aktives Netzwerk bestehen bleiben wird. In der jetzigen Intensität werden wir vermutlich nicht lange weitermachen können. Es ist natürlich für alle ein ziemlicher Aufwand, das jetzt in so einer Situation nebenbei zu betreiben. Ich glaube aber, dass wir da eine Sensibilität geschaffen haben, auf politischer Ebene auch eine Ansprache gefunden haben. Auch, dass wir vielleicht mal dafür sensibilisieren konnten, dass Kulturpolitik wichtig ist. Es gibt nicht mehr so viele Kulturpolitiker mit Sachverstand wie vor 20 oder 30 Jahren. Uns wurde außerdem jahrzehntelang erzählt: „mit Kultur gewinnt man keine Wahlen“. Es ist absolut essentiell, dass alle Fraktionen wieder Leute in ihre Reihen holen, die etwas von Kultur verstehen – und zwar von den Vorgängen auf und hinter der Bühne. Unser klarer Appell an die Politik: Bitte baut mehr Kulturpolitiker auf. Momentan sieht man, dass wir sie brauchen. Die wenigen haben oft leider keinen angemessenen Einfluss. Wir selber müssen politisch aktiv bleiben und vielleicht noch viel politischer werden.

nmz: Müssen wir in Deutschland befürchten, dass wir nächstes Jahr wegen Reisebeschränkungen auf ausländische Künstler verzichten müssen?

Wolff: Ich  glaube nicht, dass wir bei den Künstlern die Internationalität verlieren. Ich fürchte, wir werden sie beim Publikum verlieren, weil die Planungsunsicherheit zu groß ist: Unsere Kunden kaufen ja schon ein Jahr vorher ihre Karten und reservieren das Hotel und den Flug et cetera. Was sicher nicht stattfinden wird, ist das große Tourgeschäft, dass ein Auslands-Ensemble mit 40 bis 50 Mann durch ganz Europa tourt. Bei den größeren Formaten wird man tatsächlich eher auf Ensembles in erreichbarer Dis­tanz zurückgreifen.

nmz: Ein Schlusswort Ihrerseits?

Wolff: Ein Thema wäre mir wichtig, das im Moment im Corona-Chaos etwas vom Radar rutscht: Der Landtag von Sachsen-Anhalt droht gerade damit, die empfohlene Erhöhung der Rundfunkgebühren abzulehnen. Wir befürchten, dass bei einem Ausbleiben dieser Erhöhung die Anstalten auch an der Kultur sparen werden. Der Rundfunk als Kulturträger ist aber unverzichtbar: Rundfunkorchester und -chöre, Übertragungen, Berichterstattung oder Festivalförderungen wie etwa bei uns im Norden die NDR-Musikförderung stehen für kulturelle Vielfalt. Wenn all das der ausbleibenden Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum Opfer fallen sollte, wird das nicht nur ein weiterer Sarg­nagel für viele Festivals sein. Die Debatte um den Kulturauftrag des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks und die Frage, was eine angemessene Finanzierung ist, wäre allerdings einen separaten Artikel wert.

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