Seit fünf Jahren ist Harald Eßig Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände (BDMV). Der 41-Jährige ist ein waschechter Badener, den die Musik schon weit in die Welt hinausgespült hat. Mit mehr als einer Million Mitgliedern gehört die BDMV zu den großen „Playern“ der deutschen Musikszene. Der daraus erwachsenden gesellschaftlichen Verantwortung, die der Verband für sich sieht, steht der Wunsch nach stärkerer Wahrnehmung durch die Öffentliche Hand gegenüber. Das Gespräch mit Harald Eßig führte Susanne Fließ.
neue musikzeitung: Herr Eßig, welche Stelle haben Sie quittiert, um in der BDMV den Geschäftsführerposten anzutreten?
Harald Eßig: Ich war acht Jahre lang Geschäftsführer der größten Freilichtbühne Deutschlands im badischen Ötigheim. Ursprünglich komme ich aber aus der Öffentlichen Verwaltung und habe eine Ausbildung zum Beamten gemacht.
nmz: Mit dieser Ausbildung sucht man doch eigentlich eher einen gut dotierten und sicheren Job?
Eßig: Die Kunst liegt mir irgendwie näher als das Beamtentum. Außerdem bin ich insofern vorgeprägt, als schon mein Vater viele Jahre in der Verwaltung des Badischen Staatstheaters gearbeitet hat. Ich habe in Karlsruhe Musikabitur gemacht, bin Mitglied in einem Vokalquintett, spiele Posaune und ein bisschen Klavier. Da war ein Beruf im Umfeld von Musik beinahe vorgezeichnet. Aus Beamtensicht sehe ich das so: Ohne Verwaltung geht auch im Kulturbetrieb gar nichts.
nmz: Muss man sich Ihre Kindheit auf Schnürböden oder hinter der Theaterbühne vorstellen?
Eßig: So abenteuerlich war es nicht, aber als Mitglied im Karlsruher Kammerchor war ich auf Bühnen in der ganzen Welt unterwegs, in Namibia, Jordanien, USA, Südamerika. Das hat mich sehr geprägt. Irgendwann musste ich dann die Entscheidung treffen, den Weg als professioneller Sänger einzuschlagen oder eben den, den mein Vater mir empfahl: ‚Lern‘ was Anständiges, Junge‘. Aber das Hobby Musik habe ich nie aufgegeben: Bis heute spiele ich im Musikverein Karlsruhe-Daxlanden Posaune. Mehr ist leider zeitlich nicht drin, immerhin habe ich zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren.
nmz: Traute man Ihnen, dem Verwaltungsmenschen überhaupt Kunst- und Künstlerverständnis zu oder begegnete man Ihnen mit Ressentiments?
Eßig: Im Einzelfall habe ich solche Regungen gespürt, aber das hat sich sehr bald verflüchtigt, insbesondere dann, wenn meine Gesprächspartner meinen Lebenslauf erfuhren. Mein Basiswissen als ambitionierter Laie hat schon in meiner Zeit als Geschäftsführer beim Theater sehr geholfen. In meinem Blasmusikverein habe ich mich zehn Jahre lang ehrenamtlich als Kassier betätigt, da entsteht große Glaubwürdigkeit, die im jetzigen Beruf sehr hilft. Ich bin kein Greenhorn in den künstlerischen Bereichen.
nmz: Vereine und Verbände sind auf ehrenamtlich Tätige angewiesen, die ihre Aufgaben mit großer Leidenschaft und ebenso viel Knowhow angehen – ohne den leisesten finanziellen Ausgleich. Hat Sie das in Ihrer Ehrenamtszeit geärgert?
Eßig: Für mich hat immer die Sache im Vordergrund gestanden, es hat für mich keine Rolle gespielt, ob es dafür Geld gab oder nicht. Auch jetzt als Hauptamtlicher ist mir klar, dass die Stechuhr nicht das Ende meiner Arbeitszeit und meines Engagements bedeutet. Vor einigen Präsidiumsmitgliedern ziehe ich innerlich den Hut, mit wie viel Energie sie Themen und Projekte vorantreiben, und das alles neben ihrem eigentlichen Brotberuf.
nmz: Die Kehrseite eines Ehrenamtes ist gelegentlich, dass Dinge zwar mit viel Herzblut, aber ohne allzu große Professionalität betrieben werden. Wie gehen Sie mit diesen Fällen um?
Eßig: Ach, ich sehe das nicht so eng. In der Verbandsarbeit laufen die Dinge eben mal optimal, mal einfach nur gut. Ich sehe meine Position eher darin, „best practice“-Beispiele weiterzugeben, miteinander zu reden und dadurch Verbesserungen zu bewirken. Wir müssen eher dankbar sein, denn diejenigen, die bereit sind, ein Ehrenamt zu übernehmen, fallen auch nicht reihenweise vom Himmel. Es gehört eine gewisse Toleranz dazu, sie nach Kräften zu unterstützen. Denn diese engagierten Menschen wollen auch etwas vorwärts bringen, nicht nur den Bestand verwalten.
nmz: Die BDMV bietet Unterstützung, Beratung und Schulungen in allen erdenklichen Bereichen, ein beeindruckend umfassendes Programm.
Eßig: Zu unseren Verbandsaufgaben gehört es, sich bundesweit in der Blasmusik zu vernetzen. Als Verband haben wir nur in der Gemeinschaft die Chance, Vorteile für die Interessen der Blasmusik zu erreichen: Ob es um Ausbildungsrichtlinien geht, oder um Konditionen bei Versicherungen. Wir haben glücklicherweise viele junge Menschen, die sich für Blasmusik interessieren. Blasmusik ist „in“, die jungen Leute erwarten aber von ihrem Verband reizvolle Angebote. Angesichts der unzähligen Möglichkeiten seine Freizeit zu gestalten, müssen die Vereine und Verbände ihre Angebote immer wieder erneuern, sonst werden sie ganz schnell sehr unattraktiv.
nmz: Zu Ihren Aufgaben gehört auch das Sponsoring. Ist das in Ihrem Verband ein wichtiges Thema? Immerhin können Sie auf die Beiträge von rund 1,3 Millionen Mitgliedern zählen.
Eßig: Wir finanzieren uns tatsächlich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge, dazu kommen geringe Zuschüsse aus dem Ehrungswesen und dem Kinder- und Jugendplan des Bundes.
Darüber hinaus treten wir für Projekte mit Unternehmen in Kontakt, oder auch, um im Idealfall kontinuierliche Förderung zu erhalten. Dieses Feld ist nicht leicht zu beackern, es gibt so viele Initiativen, die ebenfalls auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten sind. Die Öffentliche Hand hat auf diese „Projektitis“ jahrelang nach dem Gießkannenprinzip reagiert. Wenn die Öffentliche Hand heute Kultur fördert, ist es oftmals die Hochkultur. Für Projekte unterhalb des Spitzenniveaus fällt nichts mehr ab. Außerdem hilft uns projektweise Förderung auf Dauer nicht weiter. Wir brauchen eigentlich eine verlässliche Grundausstattung für unsere Arbeit, die ich übrigens durchaus als Sozialarbeit bezeichnen würde: Wir holen die Kinder von der Straße, bieten ihnen eine qualifizierte Freizeitbeschäftigung an, im Verein mit anderen. Und im Vergleich zum Fußball kann man in unseren Vereinen bis ins hohe Alter mitmachen. Hier musiziert der Opa zusammen mit seinem Enkel. Ich finde, solche Bereiche verdienten in der politischen Öffentlichkeit noch viel mehr Beachtung und finanzielle Unterstützung. Bei den Jugendlichen bis 27 Jahre hat die BDMV einen Mitgliedsanteil von 60 Prozent! Trotzdem reichen die Mittel bei der „Deutschen Bläserjugend“ nicht für die Finanzierung einer Planstelle.
nmz: Nachwuchsprobleme klingen anders …
Eßig: Deswegen müssen wir auch im Bereich „Erwachsenenmusizieren“ deutlich mehr tun. Irgendwann verlässt ein Jugendlicher „seinen“ Blasmusikverein, weil Studium, Familiengründung im Vordergrund stehen. Aber das Gelernte auf seinem Instrument vergisst er nicht und irgendwann steht er als Erwachsener oder Senior wieder vor der Tür.
nmz: Dass die BDMV den Schwerpunkt auf die Anwerbung von Senioren legt, ist überraschend.
Eßig: Wir sind sehr stolz auf unsere gute und flächendeckende Musikausbildung. Die unterschiedlichen Konzepte, die vor Ort entwickelt worden waren, fruchten weiterhin. Aber die Senioren sind in der Tat ein Thema. Wer mit 55 Jahren ein Blasinstrument neu erlernt, kann in einer Blaskapelle durchaus noch Fertigkeiten entwickeln und sich musikalisch einbringen. Wir wollen diese Generation ermutigen, sich noch an etwas Neues zu wagen. Nicht zuletzt bringt auch der Musikmix von Jung und Alt die Generationen zueinander. Die Polka, die auf Initiative eines älteren Mitglieds gespielt wird, kommt genauso gut an wie „Pirates of the Caribbean“, die Anregung eines jungen Vereinsmitglieds. Es gibt keine Berührungsängste. Im Vordergrund steht der Spaß, gemeinsam selbstgemachte Musik zu spielen.
nmz: Blasmusik wird nach landläufiger Einschätzung eher dem Süden der Republik zugeordnet. Wie groß ist die Relevanz der BDMV in anderen Bundesländern?
Eßig: Das Nord-Süd-Gefälle gibt es. Es ist historisch bedingt. Nicht zuletzt haben die Konfessionen im einen Fall mehr für die Musikvereinskultur, im anderen Fall mehr für Posaunenchöre und Spielmannszüge gesorgt. Ein paar Zahlen sollen belegen, dass Blasmusik auch in anderen Bundesländern stark vertreten ist. In Nordrhein-Westfalen zählen wir über 1.000 Vereine, in Rheinland-Pfalz rund 800, Hessen wartet mit etwa 400 Vereinen auf. Ein bisschen anders sieht es in Ostdeutschland aus: Dort haben sich die Strukturen erst vor 25 Jahren grundlegend ändern können, dadurch gibt es so etwas wie einen „freien Markt“, Musikgruppen sind dort eher selbst organisiert, weniger in Verbandsstrukturen. Aber wir präsentieren uns dort auch mit Angeboten und Verbandsleistungen. An der annehmbaren Eintrittsquote von Orchestern sehen wir, dass diese Maßnahmen greifen.
nmz: Der BDMV hat ein engagiertes Präsidium, einen ebenso engagierten Präsidenten. Wie viel Gestaltungsraum bleibt Ihnen als Geschäftsführer denn für Ihre Visionen?
Eßig: Als Geschäftsführer gehört zu meinen Aufgaben, die Kommunikation zwischen den Gremien herzustellen, Ideen zu sammeln und weiterzugeben, um die Entscheidungen des Präsidiums vorzubereiten. Aber im Verband bringt buchstäblich jeder sein Wissen und seine Ideen ein.
nmz: Die BDMV ist Mitglied in der Bundesvereinigung deutscher Orches-terverbände. Als Einzelverband und als Mitgliedsverband im Dachverband BDO ist sie wiederum Mitglied im Deutschen Musikrat. Stellen Sie sich angesichts von 1,3 Millionen Mitgliedern in 11.000 Mitgliedsvereinen nicht mitunter die Frage, ob Sie Ihre politischen Ziele nicht auch ohne den Umweg über den Musikrat erreichen könnten?
Eßig: Der Deutsche Musikrat bündelt ja als Spitzenverband nochmal alle Musikorganisationen. In diesem Verbund ist es für uns eminent wichtig, mit allen anderen in der bundesweiten Kulturszene vernetzt zu sein. Von 2010 bis 2012 haben wir gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Jugendmarke das sogenannte TrendAnalyseProjektEnsemble (TAPE) gegründet, um so die Voraussetzungen für eine neue Ensemblegründung zu untersuchen. Dazu gründeten wir eine Art Werkstatt-Orchester. Nach Abschluss dieser Projektphase äußerten alle Jugendlichen, die daran mitgewirkt hatten, den Wunsch, dass solch ein Projekt auch auf Bundesebene fortgeführt wird. Mit Blick auf die Tatsache, dass es in anderen Jungendbereichen bereits Bundes-Sinfonieorchester und Bundes-Chöre gibt, richteten wir diesen Wunsch nach einem Bundesjugendblasorchester an den Deutschen Musikrat. Im Symphonieorchester ist Blasmusik nur ein Teilbereich, die Vielfalt der sinfonischen Blasmusik kann man nur mit einem eigenen Klangkörper vorstellen. Wir engagieren uns sehr dafür, dieses Projekt auf Bundesebene zu etablieren und der Deutsche Musikrat wäre als großer Player ein wichtiger Partner für uns. Auf Landesebene gibt es solche Klangkörper bereits, viele Landesverbände haben Auswahlorchester.
nmz: Spricht hier noch der Verwaltungsmann oder schon der Musiker?
Eßig: Vereinsarbeit muss weiterhin attraktiv bleiben und dazu gehört auch, dass wir unsere Erwartungen zurückschrauben, was ein Bewerber für ein Ehrenamt mitbringen soll. Ideen zu realisieren halte ich für viel wichtiger, als immer mehr Vorschriften zu entwickeln. Der Bewerber soll wissen, was er mit einem Ehrenamt auf sich nimmt, aber er soll auch wissen, dass ein Verband ein Ratgeber sein kann. Das versammelte Verbandswissen soll solchen mutigen Menschen zur Verfügung stehen. Verbände sind Kompetenzzentren, man muss nicht sofort zum Steuerberater oder Anwalt laufen. Die BDMV hat beispielsweise eine kostenlose Rechts- und Steuer-Hotline für ihre Mitgliedsvereine. Als Verwaltungsfachmann sage ich Ihnen: Verwaltung wird mitunter überbewertet, an oberster Stelle steht der Spaß an der Sache, auch für mich.