Während es der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten ist, die Grundversorgung an Information und Kultur aus den entsprechenden Bundesländern zu garantieren, ist es die Aufgabe von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Berlin, dies bundesweit zu tun. Die Öffentlich-Rechtlichen tun sich seit der letzten missratenen Gebührenerhöhung sichtlich schwerer, ihren Kulturauftrag zu erfüllen. Die nmz berichtet über diesen Verfallsvorgang regelmäßig, siehe auch in dieser Ausgabe auf den Seiten 1, 8 , 9 und 45. Doch wir legen nicht nur den Finger in die Wunde der kulturellen Dekonstruktion. Auch das Positive findet in der nmz seinen Platz. Zum Beispiel die Arbeit im Deutschlandfunk-Sendesaal am Kölner Raderberggürtel, wo alljährlich im März mit geringem Budget und großem Engagement zeitgenössisches Schaffen gepflegt wird. Die Rede ist vom „Forum Neuer Musik“. Die nunmehr sechste Ausgabe dieses Miniaturfestivals steht vor der Tür (4. bis. 6. März) – ein Anlass für ein Gespräch mit dem zuständigen Redakteur Frank Kämpfer.
neue musikzeitung: Was tut ein bundesweit ausstrahlender Neue-Musik-Redakteur, was kann er leisten und wie wichtig ist das?
Frank Kämpfer: Er verschafft sich zuerst einen Überblick, welche Initiativen Neuer Musik es deutschlandweit gibt und welche davon für sein Programm interessant, sinnvoll und finanzierbar sind. Interessant sind für mich nicht zwingend allein die Namhaften und Institutionalisierten wie Donaueschingen, Darmstadt oder Witten. Über die berichten wir ohnehin, klar. Aber auf den kleinen, finanziell nicht abgefederten Podien in den Regionen geschieht inzwischen auch viel, was avanciert, aktuell und heutig ist. Man muss also sehr genau schauen, denn Geld und Scheinwerferlicht sind noch keine Garantie für Qualität und Innovation. Mich interessiert es am meisten, jüngere Leute zu fördern, Starthilfen zu geben, Entwicklungsschübe zu initiieren – und zwar in möglichst allen Bundesländern. Das ist übrigens gute DLF-Tradition und schließlich Programmauftrag.
Landesweite Berichterstattung über Aktivitäten neuer Musik ist heute kulturpolitisch sehr wichtig, damit diese nicht plötzlich sang- und klanglos aus dem allgemeinen Bewusstsein verschwinden. Noch besser ist es, wenn man Konzerte aufzeichnen und gelegentlich kleine Kompositionsaufträge unterstützen kann – was übrigens am ökonomischsten ist, wenn mehrere Rundfunkpartner dabei kooperieren. Im besten Fall entsteht dabei ein
Kontakt, der schließlich zu einem Konzert beim „Forum Neuer Musik“ im Deutschlandfunk führt.
Kämpfer: Wenn es um die Zuhörer geht, hoffe ich das in der Tat. Unser
Publikum ist dabei, sich stark zu verjüngen. Wir sprechen gezielt Schüler und Studierende an, wollen das traditionelle Avantgarde-Fachpublikum noch mehr um allgemeinkulturell interessierte Leute ergänzen. Inhaltlich steht das „Forum 2005“ unter dem Motto „Identitäten“. : „Identitäten“ – das klingt bei der heutigen Lage der Dinge auf dem Markt der Neuen Musik fast wie eine Provokation.
Kämpfer: Es klingt zunächst nach Substanz und – was heute ja kaum mehr en vogue ist – nach einem Konzept. Ich habe Künstler eingeladen, die starke Persönlichkeiten verkörpern, die für gesellschaftlich relevante Botschaften stehen und künstlerisch nicht abgenutzt sind, weil sie von einem Festival zum anderen hetzen. Das sind die Komponisten Sidney Corbett und Iris ter Schiphorst und der junge Pianist Ralph van Raat – ein echter Geheimtipp aus Hilversum. Von Konzert zu Konzert vertieft sich dabei eine Spurensuche nach dem, was denn künstlerische Eigenständigkeit nun wirklich ausmachen kann.
Deshalb kommen wir am Ende auf „Freud“ und zu einem medienkünst-lerischen Blick auf musikalische Vergangenheit – das ist dann das „Electronic Music Theater“ von und mit Oliver Augst, Marcel Daemgen, Thomas Dézsy und Christoph Korn aus Frankfurt am Main.
: Welche Uraufführungen gibt es beim „Forum Neuer Musik“?
Kämpfer: Das eben erwähnte „Freud“-Projekt“ ist eine Uraufführung, die in Zusammenarbeit mit ZOON Wien und MOUSON in Frankfurt zustande kommt. Mathias Kadar aus Amsterdam schenkt uns ein neues Klavierstück und schließlich werden zwei Kompositionsaufträge des Deutschlandfunk uraufgeführt: Iris ter Schiphorsts Oktett „Aus Kindertagen: verloren“ und das „Electric Guitar Concerto“ von Sidney Corbett, welches Seth F. Josel und die musikFabrik aus der Taufe heben werden.
: Stichwort musikFabrik, Stichwort Musikproduktion. Erst kürzlich habe ich erlebt, wie die musikFabrik eine CD mit Werken des Bayerischen Komponisten Tobias P.M. Schneid bei Ihnen eingespielt hat. Da drängt sich die Frage auf, was denn sonst im Kölner Sendesaal so passiert?Kämpfer: In unserem Sendesaal ist immer Betrieb. Da laufen Veranstaltungen, Konzertreihen wie zum Beispiel die „Raderbergkonzerte“ oder „Forum Alte Musik“. Und es wird Musik produziert für unser Programm. Der Deutschlandfunk co-produziert dabei sehr viel mit CD-Firmen, ähnlich wie andere öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten auch: alte Musik, Klavier- und Kammermusik, Oratorien, kleiner besetzte Orchestermusik, Und eben Neues, Experimentelles. Der Sendesaal ist sehr beliebt, und ein Jahr im Voraus gut ausgebucht. Mich selbst reizt es natürlich, die Grenzen des technisch Möglichen auszutesten. Zum Beispiel haben wir vor ein paar Jahren Luigi Nono’s „Quando stanno morendo“ in einer neuen Live-Elektronik-Version der Stuttgarter Digital Masters hier als SACD produziert. Oder vor Kurzem experimentelle Solo-CDs mit Matthias Kaul und mit Marco Blaauw.