Aktuell zum Deutschen Stiftungstag im Mai in Nürnberg legt die nmz eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt Stiftungen und kulturelle Bildung vor. Neben einem Überblick über Stiftungen, die im Bereich der musikalischen Bildung tätig sind und einem Leitartikel „Edel und gut sind Stifter, aber sind ihre Stiftungen auch hilfreich?“ zum Thema „Wettbewerbssituation zwischen Kulturstiftungen und zivilgesellschaftlichen Strukturen“ von Olaf Zimmermann auf Seite 1 fragten wir Protagonisten musikalischer Bildung um Statements an.
Unsere Leitfragen sind:
1. Übernehmen „Private“ die Aufgabe der öffentlichen Hand?
2. Übernehmen „Private“ die Aufgabe der Verbände und Vereine/der Zivilgesellschaft?
3. Worin sehen Sie die Bedeutung und die Aufgabe von privaten Stiftungen bei der Gestaltung von Gesellschaft?
4. Wie programmiert eine ökonomistische Denk- und Empfindungsweise heute Geist und Kultur, möglicherweise sogar da, wo es gar nicht konkret um Geld und Gewinn geht?
Lesen Sie die Statements von Ute Welscher (Bertelsmann Stiftung), Lydia Grün (netzwerk junge ohren), Ulrich Wüster (Jeunesses Musicales) sowie dem Kulturjournalisten Sven Scherz-Schade.
Partizipation
Stiften ist großartig. Ein Mensch mit Vermögen gibt etwas davon weg, damit es „auf ewig“ Gutes bewirke. Motivationen dafür sind komplex: Hoffte man früher auf ein Anrecht aufs ewige Leben, ist es heute der säkulare Wunsch, ein „guter Mensch“ zu sein. Wer mit Fleiß und Glück auf dem Nährboden einer ihn begünstigenden Ordnung Vermögen erworben hat, gibt etwas zurück, zeigt Verantwortung. Mancher stiftet früh, will selbst Gutes wirken und Gesellschaft mitgestalten. Die Intention, etwas zu „bewirken“, was Anderen nützt und sie fördert, einen Missstand behebt, Not lindert, das Leben etwas besser macht, drückt sich im Stiftungszweck aus. Den bestimmt der Stifter selbst. Es gehört also zum Profil von Stiftern, dass die Entscheidung darüber, was „gut und richtig“ sei, eine einsame ist. Stiftungen sind qua Natur autokratisch – und vielleicht auch deshalb attraktiv: ein bisschen „Macht“ im Sinne von „machen, was man selbst für richtig hält“.
Haben Stiftungen freilich eine sig-nifikante Finanzkraft, wie es etwa in sehr großen Unternehmensstiftungen oder Stiftungen superreicher Unternehmer der Fall ist, kooperieren sie sogar miteinander, konturiert sich ihr autokratisches Potenzial. Es „wirkt“ sich halt im Alleingang viel effizienter – ein gutes Argument zudem: unternehmerische Prinzipien angewandt, Marktforschung betrieben, Referenten und Projektleiter eingestellt, Kommunikation gestylt, Legitimation erzeugt mit „berufenen“ professoralen Beraterteams mit staatstragendem Namen – und die Sache läuft. Projekte werden aufgelegt, es wird geforscht, Prominente werden zitiert, glänzende Kinderaugen abgebildet. Zu vermitteln „Wir verbessern die Welt“, wirkt auch positiv in der Unternehmenskommunikation des Mutterkonzerns. Wenn es nur das wäre, könnten wir uns einfach über mehr Buntheit freuen (wenn es auch manchmal schade ums Geld ist). Wer aber weiß, ob hinter den Aktivitäten von operativen Mega-Stiftungen, die erklärtermaßen gesellschaftsverändernd und politikberatend auftreten, mehr steckt an gesellschaftlichem „Input“?
Wo die Politik darauf ein- oder sogar zugeht, muss man doch nochmal genauer hinschauen: Was passiert, wo und wenn autokratische sich mit bürokratischen Millionen paaren? Wie teilt sich definitorische und konzeptionelle Macht? Wer behält die Oberhand, wenn rasche, sichtbare und professionell gemanagte Vorzeige-Erfolge das Ziel sind? Und wer bleibt eigentlich außen vor? Politik war bisher immer dann gut beraten, wenn sie sich mit den Organisationen verständigte, in welchen sich unsere „aktive Bürgergesellschaft“ formiert. Vereine und Verbände mögen als uncool gelten und die Auseinandersetzung mit ihnen mag mühsam sein.
Aber sie sind die Projektion einer überall vorhandenen Basis hoch engagierter Menschen, die ein großes „Wirksamkeitspotenzial“ haben, weil sie mit der tatsächlichen Lebenswirk-lichkeit vertraut sind. Ihre Kompetenzen und ihr Wissen werden in den selbst geschaffenen und demokratisch organisierten Strukturen der Bürgergesellschaft aggregiert, nach „oben“ gefiltert, um politische Entscheidungen und fachliche Lösungen mitzugestalten, die dann wieder mit hoher Durchsetzungsrate nach „unten“ disseminiert werden können. Solche Prozesse brauchen ihre Zeit, sorgen aber für einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens, der so etwas wie „Wirkung“ von guten Konzepten erst erlaubt. Denn es geht um die Menschen, um Millionen von ihnen, und jeder muss individuell erreicht werden, wenn Nachhaltigkeit entstehen soll.
Insofern ist die aktive Bürgergesellschaft auch für das Stiftungswesen – groß oder klein – zu dessen Wirksamkeit, in seiner Orientierung, Aktivitätenentfaltung und fachlicher Professionalität der optimale Partner. Solche Partnerschaft wurde bisher mit der Richtlinien-setzenden Bürokratie als „Steuer-“ungsform der Politik ganz gut eingeübt und vergleichbar auch mit den Rahmen-setzenden Programmen von Förderstiftungen. Mit der privaten oder unternehmerischen Autokratie großer operativer Stiftungen müssen solche Symbiosen erst gestaltet, Prozesse ausgehandelt, muss „Macht“ neu kalibriert werden. Nur dann wird wirklich effizient sozial investiert, wenn es nicht nur um die Befriedigung des Innovations-Hypes geht, sondern auch um Implementierung und Nachhaltigkeit. Die aktive Bürgergesellschaft ist dabei eine Ressource, ein Humankapital, das nur durch partizipative Prozesse erschlossen werden kann.
Ulrich Wüster, Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland
Zielführend
Wir alle haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen, dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem kulturellen und sozialen Hintergrund die Möglichkeit haben, Musik zu machen und Kultur hautnah zu erleben. Wer zu diesem „Wir alle“ gehört und wie wichtig die Zusammenarbeit der öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure ist, hat die Bundesregierung jüngst in ihrem Koalitionsvertrag niedergeschrieben. Beschlossen worden ist: Es soll ein „gesamtstaatliches Bündnis für kulturelle Bildung“ geben. Als Teil der Zivilgesellschaft freuen wir uns sehr darüber! Und dem Deutschen Kulturrat, der daraufhin gefordert hat, die organisierte Zivilgesellschaft einzubeziehen, können wir nur beipflichten.
Wenn Entscheider, Förderer und Interessensvertreter zusammenarbeiten, entfalten sie ihr gemeinsames Potenzial für die Weiterentwicklung der kulturellen Bildung. Dass diese Allianzen funktionieren und Erfolge verbuchen können, zeigen unsere Kooperationsprojekte im Bereich Musikalische Bildung: Seit mehr als 13 Jahren führen wir zusammen mit nunmehr sechs Kultusministerien und weiteren Partnern das Schulentwicklungsprojekt „Musikalische Grundschule“ durch. Es wurde von Beginn an so angelegt, dass es nach einer Anschubphase ohne Stiftungsmittel in den Strukturen der Länder verankert werden kann. Damit ist es ein Beispiel dafür, wie Stiftungen in Kooperation mit staatlichen Entscheidungsträgern innovative Vorhaben im Bildungsbereich anstoßen und über lange Jahre hinweg begleiten können. Als Stiftung haben wir die Möglichkeit, Problemen auch mal tiefschürfend auf den Grund zu gehen und so verborgene Potenziale und Entwicklungsaufgaben in der kulturellen Bildung zu identifizieren. Aktuell tun wir dies beispielsweise in einer Zusammenarbeit mit der Konferenz der Landesmusikräte und dem Deutschen Musikrat. Wir unterstützen die Initiative der Verbände, die Datenlage zur Unterrichtsversorgung im Fach Musik in der Grundschule auszuwerten. Durchführen wird diese Studie die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Damit schaffen wir gemeinsam eine zusätzliche Fakten-Basis für die aktuelle Debatte über die schulische musikalische Bildung in Deutschland.
Darüber hinaus unterstützen wir den Aufbau von Netzwerken und tragen so dazu bei, dass Informationen ausgetauscht, Kräfte gebündelt und Synergieeffekte genutzt werden. So sind wir beispielsweise Teil des „Netzwerks Musik im Kita-Alltag NRW“, Partner für Fachtagungen von Verbänden und Hochschulen und Mitglied des Stiftungsverbunds „Rat für Kulturelle Bildung e.V.“, der unter anderem einen unabhängigen Expertenrat und einen „Forschungsfonds Kulturelle Bildung“ ins Leben gerufen hat. Unsere praktische Arbeit macht deutlich, dass wir nicht die Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen wollen. Unser Ziel ist es vielmehr, gemeinsam mit den öffentlichen Vertretern und auf Grundlage fundierter Forschungsergebnisse Innovationen und Strukturveränderungen im Bildungsbereich zu befördern. Ob sich aus diesem Bestreben politische Konsequenzen ergeben, liegt nicht in unserer Macht. Wir möchten jedoch die Verantwortlichen der Verbände und der öffentlichen Hand auch an dieser Stelle ermutigen: Kommen Sie auf uns zu, lassen Sie uns zusammenarbeiten und gemeinsam unser aller Ziel verfolgen – mehr kulturelle und musikalische Bildung für Kinder und Jugendliche! Am liebsten in einem gesamtstaatlichen Bündnis.
Ute Welscher, Senior Expert, Programm Musikalische Förderung der Bertelsmann Stiftung
Missverhältnis
Gemeinnützigkeit ist klasse. Wenn Leute ihr Vermögen in eine Stiftung geben, wenn sie damit etwa den musikalischen Nachwuchs fördern, Stipendien oder Preise für Dirigentinnen oder Komponisten ausloben, wenn sie dies „auf Ewigkeit angelegt“ gesellschaftlich verankern, dann ist das gutzuheißen. Und dennoch: Privatwirtschaftliches Engagement der Stiftungen und staatliche Kulturversorgung der öffentlichen Hand sind in den letzten Jahren zunehmend ins Missverhältnis geraten. Einerseits stellen manche Kommunen ihre freiwillige Leistung für die Kultur in Frage, kürzen die Etats städtischer Spielstätten, Musikschulen, Theater und Orchester oder drohen ihnen gar mit Fusion oder Schließung. Andererseits verkündet der Bundesverband Deutscher Stiftungen froh jedes Jahr zahlreiche Stiftungsneugründungen. Laut Finanzbehörden haben rund 15 Prozent der deutschen Stiftungen den satzungsmäßigen Hauptzweck Kunst und Kultur. Das sind in etwa 3.200. Doch obwohl immer mehr Kapital in solche privaten gemeinnützigen Stiftungen wandert, spielen sie insgesamt in der Mischfinanzierung öffentlicher Kulturbelange eine untergeordnete Rolle. Diejenigen Stiftungen, die Eigenprojekte durchführen oder fördern, unterstützen zumeist, indem sie auf bestehenden Strukturen der kulturellen Grundversorgung – etwa den Spielstätten, Musikschulen et cetera – aufbauen.
Eine flächendeckende Erfolgsgeschichte wie etwa das seit 1964 bundesweite „Jugend musiziert“ ist mit der gegenwärtigen, sehr heterogenen Stiftungslandschaft undenkbar. Stattdessen strahlen uns viele „Highlights“ an. Zuweilen blenden sie. Agitatorische Public Relations hochprofessioneller Öffentlichkeitsarbeit sind bei Stiftungen, die einen Markennamen und das dazugehörige Image transportieren wollen, häufig anzutreffen. Gemeinnützigkeit relativiert sich, wenn eine Stiftung zielgerichtet Stipendien und Preise ausschließlich an die erlesenen „Besten der Besten“ vergibt, um damit zu glänzen. Mitunter werden die Nachwuchssolisten auf – kommerziellen – Festivals als neueste Entdeckungen präsentiert, manchmal im Programmheft umgeben von Logo und Markennamen der Stiftung. Generell füllen Stiftungen keine Lücken, wo die öffentliche Hand nicht mehr geben kann. Aber oft konstruieren sie trickreiche Konstellationen, um eben doch zu helfen. Dann wird vielleicht, angedockt an die Stadtverwaltung, ein Förderpreis ins Leben gerufen, den dann das Kulturamt zu vergeben hat, jährlich oder nur alle zwei oder drei Jahre, wenn ehrenamtliches Engagement mau ist oder die Rendite aus dem Stiftungsvermögen nicht so hoch wie erhofft ausfällt … Vorsicht: Niedrigzinsphasen! Auch das ist Stiftungsrealität. Es gibt sie, diese schmerzhaften Auszeichnungen im unteren dreistelligen Euro-Betrag, wo das abendliche Preisträgerkonzert mit den jungen Talenten dummdreist ohne Honorar stattfindet, während wohlhabende weißhaarige Senioren im Publikum sitzen. Dem geschenkten Gaul sollten Bürgermeister und Kulturdezernenten hier besonders gut ins Maul schauen und kritisch den Stiftungsrat stellen. Das ist aufwändig und raubt Zeit. Muss aber sein, auch wenn’s keine Pflichtaufgabe ist.
Sven Scherz-Schade, Kulturpublizist
Fürsorgepflicht
Spätestens seit die aktivierende Kulturpolitik unter anderem mit der Form der Projektförderung in Deutschland Einzug gehalten hat, können wir zugleich ein interessantes Tête-à-Tête in der Förderszene beobachten: die (Wechsel-)Beziehung zwischen Öffentlicher Hand und Stiftungen. Während erstere gefühlt versucht, wenigstens einen finanziellen Status Quo ihrer Kulturfinanzierung aufrecht zu erhalten, spülen Stiftungen gerade in der kulturellen Bildung immer mehr Mittel in das Feld. Rein finanziell betrachtet scheinen sich hier also die Rollen gefunden zu haben. Der eine bringt den Sockel mit (oder versucht es), die andere das Spielgeld. Ein möglicherweise fruchtbares Miteinander, das dasselbe Ziel verfolgt: Kulturleben, insbesondere kulturelle Bildung und damit auch musikalische Bildung in ganz Deutschland möglich zu machen. Doch so einfach ist das bekanntlich nicht. Die häufige Rolle und das Selbstverständnis von Stiftungen als ein Impuls- und Taktgeber, der Innovation, Veränderung, Modernität, Dynamik, Esprit entzünden will – das möchte Verwaltung auch. Incentives setzen, die Agenda mitbestimmen, als Ermöglicher gesehen werden, neue Akteure entdecken und aufbauen scheint attraktiver, als sich mit der Bereitstellung der Rahmenbedingungen mühevoll auseinanderzusetzen. Ein Wettbewerb der Förderer untereinander in der medialen und gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeitsökonomie beginnt. Keiner will der kleine Kofinanzierer der guten Idee eines anderen sein. In diesem Augenblick wird aus der stabilen Ehe von Stiftungen und öffentlicher Verwaltung eine liaison dangereuse.
Dabei liegt in dem Wettbewerb um die besten Konzepte erfolgreicher Kulturförderung, in der Partnerschaft von staatlichen, wirtschaftsnahen und zivilgesellschaftlichen Akteuren viel Potenzial. Wer setzt welches Thema – wie kann ich im gemeinsamen Dialog darauf antworten? Welche pragmatischen, auf das Ergebnis des Möglichmachens zielenden neuen Formen der Zuwendung und deren Abrechnung gibt es – was kann ich kopieren? Wie können die oben genannten Attribute (Modernität, Dynamik, Innovation etc.pp.) nicht nur beim Zuwendungsempfänger, sondern auch in der Administration wirken – wer ist hier der Taktgeber? Wie gestaltet sich der Umgang mit den sich in finanzieller Abhängigkeit befindlichen Kulturschaffenden – wie kann ich Vertrauen und eine stabile Geschäftsbeziehung schaffen?
Beide – Stiftungen und Öffentliche Hand – brauchen einen gegenseitigen Echoraum, der auf die Aktivität des anderen antwortet. Schon der Begriff der Anschubfinanzierung, der – wie wir alle aus unserem Tagesgeschäft wissen – in fast allen Fällen nicht mit nachfolgender Struktur beantwortet wird, zeigt den Bedarf an Resonanz. Die Öffentliche Hand wird ohne die Stiftungen in Zukunft nicht können, und umgekehrt. Beim neuen Austarieren dieses spannungsgeladenen Verhältnisses darf eines nicht vergessen werden: Egal, ob temporäres Invest oder langfristiges Engagement, ob operative Stiftung oder Kommunalverwaltung, beiden ist eines gemeinsam – die Fürsorgepflicht für diejenigen, die von ihnen unmittelbar in ihrer Existenz abhängen – für die Akteur/-innen in der Kulturellen Bildung und ihr Publikum.
Lydia Grün, Geschäftsführung netzwerk junge ohren