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Enjott Schneider. Foto: Martin Hufner
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Ins Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion

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Den Deutschen Komponistenverband gibt es seit 60 Jahren: Präsident Enjott Schneider über die heutigen Aufgaben
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Enjott Schneider ist seit 2012 Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA, seit Juni 2013 Präsident des Deutschen Komponistenverbandes (DKV). Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Verbandes sprach Andreas Kolb mit dem Komponisten, Musikwissenschaftler und Professor.

neue musikzeitung: Nicht nur die Kunst, auch Ehrenämter bringen viel Arbeit mit sich. Kommen Sie noch zum Komponieren, zum Unterrichten?

Enjott Schneider: Ohne permanentes Komponieren und Aufführen meiner Werke würde ich das trockene Funktionärsleben gar nicht aushalten! Allein im Sommer schrieb ich wieder ein Violinkonzert für Ingolf Turban, ein Oratorium, meine 14. Orgelsinfonie. Eben war die Uraufführung von „Jubilissimo“ Philharmonie Essen, nächste Woche Stuttgart „Sulamith“, mein neues Werk für Cello und Orchester mit László Fenyö, übernächste Woche am 6. November hier in München „Kunst des Verteilens“ für Sopran und Klavierquartett – ein musikalischer Kommentar zum GEMA-Verteilungsplan! Tja – und Filme laufen immer parallel: Eben machte ich den Orchesterscore zu „Wege nach Auschwitz“ (ZDF am 70. Jahrestag kommenden Januar) und sitze am arte/hr-Fünfteiler „Fährstraßen der Welt“ …

nmz: Welche Motivation steckt hinter Ihrem Engagement?

Schneider: Motivation für diese Ämter, wofür ich ja neben dem mentalen Stress schon physisch ein Drittel des Monats in Hotels in Berlin, Brüssel und anderen Städten verbringe, ist die katastrophale Situation der Urheber. Der Dumpingpreis-Ausverkauf im Netz hat die Produktion überall gelähmt, Etats für Komponisten schrumpfen …Alle meinen, dass man heute nur noch mit dem billigen Computer mal schnell gratis Musik macht. Deswegen: Ran an die Politiker und faire Rahmenbedingungen für Künstler schaffen!

nmz: Mitte Oktober beging der DKV sein 60. Jubiläum. Was unterscheidet den DKV von heute von dem von 1954?

Schneider: Die 50er-Jahre sehen wir heute als „golden age“: da wurden noch richtige Budgets investiert und Honorare bezahlt, die dem Komponistenberuf, der ja eigentlich der schönste Beruf der Welt ist, wirtschaftlich konsolidierte Existenzgründungen erlaubten. Auch war – statt dem heutigen Retro-Trend und globalen Mainstream – überall ästhetischer Aufbruch und Lust auf Neuland. Übrigens ist auffälliger Unterschied, dass durch die digitalen Hilfsmittel (Notationsprogramme, Soundsampling, Kleinststudio im Rechner) Komponieren ein Massenphänomen geworden ist, wo man Profis und Amateure kaum auseinanderhalten kann. Markante Namen werden in dieser Musikflut immer weniger erkennbar. Das alles, verbunden mit dem derzeitigen Trend zur Spezialisierung, wo meist jeder in seinem Marktsegment bleibt: die avantgardistische Musik, die Kirchenmusik, Musiktheater-Autor, Rapper, Schlagerkomponist, Werbekomponist, Komponist für Dailies, für Serien, für Kinofilme, Esoterik-Musik … Alles bleibt getrennt. Es fehlt zunehmend der universale Blick und die Solidarität untereinander.

nmz: Und die Rolle der Verlage?

Schneider: Ein gravierender Unterschied zu den 50er-Jahren ist das zur Bedeutungslosigkeit geschrumpfte Papiergeschäft im Musikverlagswesen. Gab es früher Tanzorchester- und Band-Ausgaben, prosperierende Editionen Neuer Musik, so – wiederum forciert von der Digitalisierung, die Kopieren und kostenloses Herumsenden von Noten-PDFs zur Norm machte – ist diese ökonomische Basis der Verlage weggebrochen. Ergebnis ist dummerweise, dass Druck und Verbreitung von neu komponierter Musik absolut unrentabel geworden sind: Kolleginnen und Kollegen stehen Schlange bei Verlagslektoren, die nahezu systemisch mit einem freundlichen „leider nein!“ antworten. Die VG Musikedition, die neben der GEMA für Komponisten ebenfalls eine kollektiv regulierende Verwertungsgesellschaft ist, hat hochgerechnet, dass alleine im Chor- und Kirchenbereich sieben Millionen jährlich an Verlusten durch unerlaubtes Kopieren von Noten entstehen – das sind Gelder, die früher einmal Verlagshonorare für Urheber waren. Sehr schade!

nmz: Wie sehen Sie die Stellung des Komponisten damals und heute?

Schneider: Was sich für uns Autoren der Musik als fatale Bedrohung zeigt, ist das Wegdrängen von Kultur in einer komplett auf Business, Börse, Sport, Werbedesign und oberflächliches Entertainment ausgerichteten Leistungsgesellschaft. Die Politik macht es ja vor: Das wirtschaftlich-ökonomische Denken (Quotenpopulismus in Kultur und Politik) dominiert alles. Kulturelles Denken, das auf (Lebens-)Qualität statt auf Quantität beruht, ist verlorengegangen. Übrigens auch in den Schulen: Bildung hin zu BWL und Technik – Musik-unterricht und musische Fächer sind ausgefallen. Ich wünschte mir eine Bundeskanzlerin und Regierung, die als Traumziel nicht den Export von „Dünnblechfelgen nach China“ haben, sondern für eine Gesellschaft arbeiten, in der soziale, kulturelle und menschenbezogene Werte (und die Sicherheit, von einem Beruf auch leben zu können) ganz vorne stehen. Wirtschaftswachstum als quantitatives Abstraktum ist nicht das Gelbe vom Ei!

nmz: Viele Urheberrechtsfragen sind vor allem im Zusammenhang mit dem World Wide Web ungeklärt. Jetzt stehen Freihandelsabkommen wie TTIP, TISA und CETA vor der Tür. Müssen wir uns vom Urheberrecht in seiner gewohnten (europäischen) Form verabschieden?

Schneider: Urheberrecht und die Totschlagkeulen wie TTIP oder TISA sind zwei paar Stiefel. Im September war zum Beispiel ein großes Treffen der europäischen Urheberorganisation GESAC, wo auch über 30 der neuen Europaabgeordneten mit Schwerpunkt Kultur/Neue Medien anwesend waren. Da war deutlicher Konsens, dass Urheberrecht als Schutz des geistigen Eigentums natürlich bleiben muss, aber einer europäischen Harmonisierung bedarf. Wir brauchen gleiche Schutzstandards in allen Ländern und komplikationslose Einräumung über alle nationalen Territorialgrenzen. Es wurde auch sehr klar, dass der „Feind“ von uns Komponisten als Rechteinhaber nicht die sogenannten „User“ sind. Wir wollen natürlich, dass diese einfach und fair Zugang zu ihrer Musik bekommen.

Unser „Feind“ sind die Konzerne und Datenplattformen, die mit unserem geistigen Eigentum via Werbeeinblendungen Millionen oder Milliarden generieren und nichts davon abgeben. Das Bodenlose ist, dass diese Konzerne wie Google, Amazon, YouTube und andere ihre monströsen auf deutschem Boden gemachten Gewinne nicht einmal hier versteuern! Würde unsere Politik diesen hier gemachten Profit endlich einmal besteuern, dann würde es der Musikförderung, Kultur, Bildung (übrigens auch Sport und Straßenbau!) bei weitem besser gehen. – Über TTIP & Co. wird ja soviel gesagt, dass ich hier nicht ins Detail gehen will: Es ist horrend, wie hier künftig nicht nur wirtschaftliche Standards abseits unserer parlamentarischen Rechtssprechung internationalisiert werden. Grauenhaft: Bildung, Musik und Kultur, die ja per se „Dienstleistungen “ sind (z.B. kommunaler Musikunterricht oder staatlich geförderte Schulen) müssen beispielsweise dem amerikanischen Kulturangebot gleichgestellt werden – es gibt also wettbewerbsrechtlich keine Subvention mehr von Ensembles, Bibliotheken, Theatern und Kulturprojekten.

nmz: In Ihrer Jubiläumsrede haben Sie ARD und ZDF vorgeworfen, diese fühlten sich in ihrem Kulturauftrag nicht mehr in der Verantwortung …

Schneider: Die Unterstützung von Kultur durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich zunehmend nur noch an Quote und Mainstream orientiert, ist in den 60 Jahren extrem zurückgegangen. Trauriges Symptom ist der im Juli gefasste Beschluss des Rundfunkrates des Bayerischen Rundfunks, BR-Klassik demnächst auf UKW abzuschalten und dem Nirwana eines technologisch unausgereiften Digitalempfangs zu überlassen – unter Missachtung des Willens einer von 65.000 Menschen unterzeichneten Petition. ARD und ZDF fühlen sich ihrem Kulturauftrag gegenüber nicht mehr in der Verantwortung. Der Rundfunk war 60 Jahre derjenige Ort, wo Musik archiviert, produziert und via Sendung öffentlich zugänglich gemacht wurde. Literatur hat zum Beispiel die Staatsbibliotheken und Nationalbibliothek zur Wahrung der Bücher und Schriften. Bildende Kunst hat zum Beispiel die Fülle der subventionierten Museen, wo die Jahrhundertschätze visueller Produktionen konserviert und kuratiert werden. In der Musik geht eben ein 1.000-jähriges Erbe auditiver Vergangenheit verloren, denn wir haben kein „Museum für Musik“ – das waren bislang unsere Rundfunkanstalten und ihre kulturbewussten Redakteure. Deren Stellen werden momentan systematisch gestrichen … bringt ja keine Quote!

nmz: Sieht man sich das personelle Gefüge im Präsidium an, so spielen die Filmmusikkomponisten, die Jingle- und U-Komponisten wieder eine größere Rolle. Ist das Zufall oder Strategie?

Schneider: In 1.000 Jahren Musikgeschichte waren Musiker immer dort zu finden, wo es Geld und Aufträge gab: Es gab die franko-flämische Epoche, weil damals die Herrschaftsachse Niederlande-Spanien dominierend war, es gab die venezianische Schule, weil Venedig für kurze Zeit eine Großmacht war, Beethoven und Brahms gingen nicht deshalb nach Wien, weil dort die Leute besonders musikalisch waren, sondern weil die habsburgischen Kaiser dort saßen. Und so ist es heute in unserer Mediengesellschaft mit dem Stellenwert von Rundfunk und Fernsehen: Da sitzt das Kapital, da gibt es Aufträge … Also nimmt die Zahl der Film-, Jingle- und Werbekomponisten zu. Was übrigens schon wieder oldschool ist: Längst ist die Musik für Computer und Games ein eminenter Wirtschaftsfaktor geworden, der sich im modernen Berufsbild „Komponist/-in“ widerspiegelt.

nmz: Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner sprach bei der 60-Jahr-Feier in diesem Zusammenhang von U wie Underground und E wie Exzellenz. Ist die Trennung der Genres obsolet?

Schneider: Tim Renners durchaus sympathische, weil urheberfreundliche Rede brachte diese Abkürzungsprovokation eher als Spaß. Im Kern hat er aber Recht: Die eingeschliffenen Begriffe U (Tanz und Unterhaltung) und E (Ernste Musik) sind bei der Individualisierung von Stilen schablonenhaft geworden, so wie beispielsweise „katholisch-evangelisch“ auch schon lange nicht mehr die möglichen Dimensionen spirituellen Lebens erfassen kann. Für mich persönlich gibt es zwei Unterscheidungspolaritäten: die Schiene „Mainstream contra Nische“ und die Schiene „große/aufwendige Besetzung contra kleine Besetzung“. Leider sind alle Versuche, die „Wertigkeit“ von Musik außerhalb des Klischees U/E zu definieren, nicht wirklich zielführend gewesen.

nmz: Der DKV hat neue Räumlichkeiten im Zentrum von Berlin bezogen. Was ist Politikberatung für den DKV?

Schneider: Dass der DKV an den Wittenbergplatz gezogen ist, soll unser neues Programm sein: nicht am Rande vegetieren, sondern die gesellschaftliche Diskussion mit allen Widersprüchlichkeiten suchen. Mit Politik und Kulturverbänden in Kontakt zu treten (was in meiner Doppelfunktion als Präsident wie als Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA hervorragend geht), ist unser Credo. Im Vorstand des DKV sind mit Dr. Ralf Weigand, Prof. Manfred Schoof und Prof. Lothar Voigtländer ja noch drei weitere GEMA-Aufsichtsräte tätig, die alle mit neuesten Zahlen und Fakten aus dem Kulturleben munitioniert sind und gemeinsam mit mir im Berliner Büro für Politische Kommunikation der GEMA oder bei Kulturgipfeln in Brüssel oder bisweilen auch London, Dublin, Washington, Zagreb und Wien sich artikulieren können.

Für Politiker, die sich in ihren Wahlkreisen vornehmlich mit Straßenbau oder Landschafts- und Verbraucherschutz auseinandersetzen müssen, ist es – sichtlich – ein großer Gewinn, wenn sie mit richtigen „Urhebern“ einmal über Urheberrechte und digitale Agenda sprechen können. Da entdecken sie hinter Zahlen und Prozenten arbeitende Menschen, die verzweifelt von ihrem Job eine Familie zu ernähren versuchen … Nach wie vor leben 60 Prozent der Urheber unter der Armutsgrenze … Und die Enteignung schreitet munter voran!

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