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Interessenverband im Spagat zwischen Kunst und Kommerz

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Die Verwertungsgesellschaft GEMA ist längst auch Teil der Musikindustrie
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Wenn Mozart Klavierkonzerte für den eigenen Gebrauch schrieb, dann notierte er die Solostimme nicht oder nur andeutungsweise, jedenfalls gab er sie nicht aus der Hand, denn nur so konnte er sicher sein, dass ihm allein Aufführungen vorbehalten waren und er auch als Komponist identifiziert und honoriert wurde. Diese frühe Form des Schutzes vor urheberrechtlichem Missbrauch, das heißt vor Raubkopien unter fremden Namen, schränkte allerdings die Aufführungsmöglichkeiten dieser Werke wesentlich ein, nämlich auf die zeitliche und örtliche Verfügbarkeit des Komponisten als Solisten. Noch 100 Jahre später war es keinesfalls üblich, dass ein Musikschöpfer am andauernden oder sich gar steigernden Erfolg seiner Werke finanziell angemessen beteiligt wurde; einmal vom Verlag abgefunden, so sich überhaupt ein Verleger von der Qualität und überdies von der Publikumswirksamkeit der Manuskripte überzeugen ließ, konnte der Kompositeur sein Einkommen am ehesten dadurch aufbessern, dass er auch als Interpret seiner Werke in Erscheinung trat. Von Beethoven, Schubert, Brahms und Liszt beispielsweise ist das vielfach dokumentiert; andere wie Mendelssohn, Schumann oder Weber, später auch Mahler, wurden auf Kapellmeisterpositionen berufen, wo sie nicht nur Eigenes zur Aufführung brachten, sondern bisweilen auch Zeitgenossen zum Durchbruch oder längst verstorbenen Kollegen zum Nachruhm verhalfen. Um gesetzlich geschützte Urheberrechte, gar bei längst verblichenen Komponisten, brauchten freilich auch sie sich dabei noch kaum zu kümmern.

Noch 100 Jahre später war es keinesfalls üblich, dass ein Musikschöpfer am andauernden oder sich gar steigernden Erfolg seiner Werke finanziell angemessen beteiligt wurde; einmal vom Verlag abgefunden, so sich überhaupt ein Verleger von der Qualität und überdies von der Publikumswirksamkeit der Manuskripte überzeugen ließ, konnte der Kompositeur sein Einkommen am ehesten dadurch aufbessern, dass er auch als Interpret seiner Werke in Erscheinung trat. Von Beethoven, Schubert, Brahms und Liszt beispielsweise ist das vielfach dokumentiert; andere wie Mendelssohn, Schumann oder Weber, später auch Mahler, wurden auf Kapellmeisterpositionen berufen, wo sie nicht nur Eigenes zur Aufführung brachten, sondern bisweilen auch Zeitgenossen zum Durchbruch oder längst verstorbenen Kollegen zum Nachruhm verhalfen. Um gesetzlich geschützte Urheberrechte, gar bei längst verblichenen Komponisten, brauchten freilich auch sie sich dabei noch kaum zu kümmern. Erst seit dieser Zustand sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Gründung der „Genossenschaft Deutscher Tonsetzer“ als Vorläufer der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ kurz GEMA, (näher dargestellt im Dossier „Geist und Eigentum“, nmz 7-8/00) änderte, können Komponisten in Deutschland damit rechnen, als Urheber ihrer Werke für deren öffentliche Aufführungen honoriert zu werden, wann, wo und durch wen auch immer sie erfolgen. Anfangs war die Lage allerdings noch sehr übersichtlich: Zu schützen und zu honorieren gab es ja nur Aufführungen der einmal registrierten Solo- und Ensemble-Stücke, inklusive Musiktheaterwerke, vor anwesendem Publikum – zu deutsch Live-Produktionen.

Seither ist der Musikmarkt um ein vielfaches umfangreicher, komplexer, auch einträglicher geworden, zugleich freilich immer unübersichtlicher. Auch hier gilt zudem die Formel von der ständigen Beschleunigung des Wandels, bedingt durch die Entwicklung der Medien. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erfolgte die technische Konservierung und Verbreitung von Musik durch den Rundfunk, etwa zur gleichen Zeit gelangten Aufnahmen durch Schallplatten-Vervielfältigung erstmals in den Privatbesitz einer schnell anwachsenden Zahl von „Kunden“, die damit über die Wiedergabe zu jeder Zeit und beliebig oft verfügen konnten. Die GEMA sorgte dafür, dass diese Wiedergabe- und Vervielfältigungsmöglichkeiten in das Uhrheberrecht einbezogen wurden, die Komponisten also vom technischen Fortschritt angemessen profitierten.

Die Produktion von Musik avancierte nunmehr rasch zum Industriezweig, aber mit Gewinnbeteiligung für die Erfinder, die Schöpfer, die geistigen Urheber dessen, was nun als Handelsware angeboten wurde. Das „Auseinanderdriften von Musik als Kultur und Musik als Wirtschaftsfaktor“, von Reinhold Kreile, dem Vorstandsvorsitzenden der GEMA, in seinem jüngsten Geschäftsbericht als Kennzeichen des Übergangs in das 21. Jahrhundert benannt, hat tatsächlich bereits damals, vor mehr als einem halben Jahrhundert begonnen.

Betrachtet man die Folgen und die weiteren Stadien der Entwicklung bis heute, so vollzog sich in den 30er- und 40er-Jahren, gleichsam im Schatten des Zweiten Weltkrieges und deshalb nicht als solche wahrgenommen, eine Kulturrevolution mit damals und selbst heute unabsehbaren Auswirkungen – eine Revolution übrigens, die noch ihrer kultursoziologischen Aufarbeitung harrt. Die Industrialisierung von Musik bedeutete nämlich keineswegs nur die Vervielfältigung des bis dahin akkumulierten Repertoires und seine Verbreitung an die wesentlich größere wie sozial breitere Hörerschaft. Die technische Entwicklung löste auch eine qualitative Veränderung und Differenzierung von Musik und mit ihr eine völlig neue Wechselbeziehung von Angebot und Nachfrage aus.

Nach 1945 dehnte sich der Musikmarkt aufgrund neuer Produktionstechniken rasend schnell aus. Die Einführung der Single- und Langspielplatten sowie des Tonbandgeräts für den Amateur in den 50er-Jahren, dann vor allem die massenhafte Verbreitung der handlicheren Kassetten und CDs haben ebenso wie neue, private Rundfunk- und Fernsehstationen eine gigantische Erweiterung der Musikindustrie und des Marktes bewirkt. Die sich geradezu überstürzende Entwicklung der Informations-Technologie fügt dem eine weitere, noch längst nicht ausgelotete Dimension hinzu.

Obwohl mit der technischen Verfügbarkeit durch die Medien auch die Nachfrage im Bereich der so genannten E-Musik oder „Klassik“ anstieg, wurde sie doch von Schlager-, dann Pop- und Rockproduktionen immer neuer Stilmoden wie mit Silberstiefeln überholt. Zusätzlich wurde der Markt von Musikklängen überschwemmt, die kein bewusstes Zuhören mehr fordern, sondern vor allem außermusikalische Mitteilungen transportieren oder als Klangtapeten in vielerlei Alltagssituationen sogar eher nicht wahrgenommen werden sollen.

GEMA-Gebühren sind allerdings auch bei solcher Klangdistribution fällig. Spätestens an diesem Punkt der Entwicklung – und auch er liegt bereits mehrere Jahrzehnte zurück – ist der Musik-Begriff selbst diffuser geworden; was mit ihm gemeint ist, bedarf einer differenzierten Definition im konkreten Zusammenhang.

Die GEMA hat sich als „Verwaltungsgesellschaft“ gegenüber der hier nur knapp skizzierten Entwicklung neutral verhalten und sieht sich selbst, so Kreile, „heute mehr denn je“ als „genuiner Vertreter der Komponisten und Autoren“, unabhängig von Musik-Genres und der Marktbezogenheit musikalischer Klangproduktion. Und so hat sie ihre Funktion nicht darin sehen können, Positionen zu beziehen für „Musik als Kultur“ und gegen „Musik als Wirtschaftsfaktor“, sondern als Interessenvertretung der Erfinder jedweder Musik sowie der Textdichter und Musikverleger zu wirken gegenüber jenen Sparten der Musikindustrie, die für die Umsetzung der Kompositionen in Klang sowie für dessen Verbreitung und Vermarktung zuständig sind. In dem Maße, in dem die Kommerzialisierung von Musik fortgeschritten ist, sind freilich die Urheber auch selbst Teil des „Wirtschaftsfaktors“, also der Musikindustrie geworden. Denn längst schon ist der hehre Typus des freien, nur seiner künstlerischen Intuition folgenden Tonschöpfers, auf die Masse der Musikproduktion bezogen eher eine Ausnahmeerscheinung. Ein weitaus größerer Anteil dessen, womit wir als Konsumenten, gewünscht oder ungefragt, zu jeder Tageszeit und in allen Lebenslagen musikalisch beschallt werden, besteht aus markt-, zielgruppen- und situationsgerecht komponierter, häufig quasi in Plattenbauweise erstellter Klangkonfektion.

Das alles stellt die Legitimität der GEMA als Verwaltungsgesellschaft keineswegs in Frage. Es mag allerdings als ein Aspekt gelten in der Erklärung ihrer Ertragsmenge, die sich allein in den letzten Jahren mehr als verdoppelt und 1999 die 1,5-Milliarden-Mark-Linie überschritten hat. Die GEMA ist eben auch längst Teil der Musikindustrie, sogar ein gewichtiger Teil. Darauf weist ebenso die seit 1989 von zirka 22.300 auf über 54.000, also um fast 150 Prozent gewachsene Mitgliederzahl hin, die sich nur teilweise aus dem deutschen Vereinigungsprozess erklärt.

Aber mit ihrem ausgeklügelten System von Aufführungsgebühren und der Verteilung der Erträge an ihre Mitglieder sichert sie gewissermaßen die „Arbeitsplätze“ von Musikautoren vielerlei Spielarten. Und damit gewährleistet sie schließlich auch jenen ein Einkommen, die Musik hartnäckig noch immer als künstlerische Ausdruckform verstehen. Für „Musik als Kultur“ ist die GEMA insofern doch noch zuständig.

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