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Ist der Gesellschaft guter Musik-Rat zu teuer?

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Protokoll der taktlos-Sendung zum Thema „Musik und Politik“ vom 2. November 2001 auf Bayern2Radio
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Ist guter Musik-Rat zu teuer? Was ist die Musik der Politik wert? Und was müssen die Betreiber unseres Musiklebens leisten, um von Politikerinnen und Politikern ernst genommen, wahrgenommen zu werden? „taktlos“ stellte Moderator Theo Geißler diese Fragen am 2. November an Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Eckart Lange, Vizepräsident des Deutschen Musikrates, Stefan Piendl, Geschäftsführer bei BMG Classics und Thomas Rietschel, Geschäftsführer der Jeunesses Musicales. Die neue musikzeitung protokolliert die Gesprächsrunde im Studio in Auszügen.

Ist guter Musik-Rat zu teuer? Was ist die Musik der Politik wert? Und was müssen die Betreiber unseres Musiklebens leisten, um von Politikerinnen und Politikern ernst genommen, wahrgenommen zu werden? „taktlos“ stellte Moderator Theo Geißler diese Fragen am 2. November an Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Eckart Lange, Vizepräsident des Deutschen Musikrates, Stefan Piendl, Geschäftsführer bei BMG Classics und Thomas Rietschel, Geschäftsführer der Jeunesses Musicales. Die neue musikzeitung protokolliert die Gesprächsrunde im Studio in Auszügen.[Die komplette Diskussion liegt zum Abhören als Real-Audio-Datei unter http://www.nmz.de/taktlos/2001/takt47.shtml

Theo Geißler: Wir behaupten: Der Musikrat steckt in einer Krise. Aber: Nimmt die Bundespolitik den Musikrat überhaupt wahr, Frau Griefahn?

Monika Griefahn: Ja. Immerhin fließen fast zwölf Millionen Mark aus den unterschiedlichsten Ministerien in die unterschiedlichen Projekte des Musikrates und man interessiert sich natürlich auch dafür, was der Musikrat so macht und ob er Perspektiven hat. Die Arbeit für die Musik ist ein Riesenprob-lem, denn im Moment werden viele Jugendliche von den Klaviertasten weg an die Keyboards der Computer gesetzt. In den Schulen reduziert sich der Musikunterricht, inzwischen kommen nur noch 60 Prozent der Schüler in den Genuss von Musikunterricht, wohingegen „Schulen ans Netz“ ein großes Thema ist. Wir brauchen für die Musik eine andere Kampagne.

Eckart Lange ist Professor an der Musikhochschule in Weimar und Vizepräsident des Deutschen Musikrates. Wie beurteilt man an der Spitze des Spitzenverbandes die Situation?

Eckart Lange: Mich verblüfft ein bisschen, dass Sie sagen „in der Krise“. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen. Auch unsere Projekte funktionieren professionell wirklich gut. Ob der Dachverband, der Deutsche Musikrat, in jedem Fall nun bekannt sein muss, das müsste man überlegen. Wir denken jedenfalls derzeit darüber nach, wie man die Aktivitäten besser bündeln könnte und auch besser an die Politik herankommen könnte.

Stefan Piendl ist hier in einer Doppelfunktion, als Geschäftsführer von BMG Classics und als jüngstes Präsidiumsmitglied im Musikrat. Ein paar Worte aus der Sicht des Newcomers?

Stefan Piendl: Zunächst mal möchte ich mich dem anschließen, was Professor Lange eben gesagt hat.

Ist das nicht ein bisschen autoritätshörig?

: Das ist richtigkeitshörig, wenn jemand etwas Richtiges sagt, dann kann man dem zustimmen. Ich denke auch, dass es wünschenswert ist, den Bekanntheitsgrad des Musikrates zu erhöhen, aber ich warne davor, das als das erste und dringlichste Ziel des Musikrates auszurufen. Von der Reihenfolge finde ich es richtig, dass die Projekte mit diesem sehr positiven Image bekannt sind – zumindest bei den Leuten, die sich damit beschäftigen. In zweiter Linie ist jetzt dafür zu sorgen, dass das auch für den Musikrat selbst als Institution gilt.

Quasi als Kunde des Musikrates sitzt hier Thomas Rietschel. Er führt die Geschäfte des weltgrößten Jugendverbandes für musikalische Nachwuchspflege, Jeunesses Musicales. Wie sehen seine Wünsche an den Musikrat aus?

Thomas Rietschel: Ich kann meinen Vorrednern nicht ganz zustimmen. Es geht sicher nicht in erster Linie darum, den Musikrat bekannt zu machen. Der Musikrat befindet sich zusammen mit dem gesamten Musikleben in der Krise. Monika Griefahn hat es gerade angedeutet. Es findet wirklich ein dramatischer Einbruch statt beim Interesse an ernsthafter Auseinandersetzung mit Musik. Wer, wenn nicht der Musikrat muss dagegen steuern?

Frau Griefahn, Sie haben die 12 Millionen genannt, die der Musikrat für seine Projekte bekommt. Mir kommt das wenig vor. Wenn zum Beispiel in Berlin die Häuser für die Bundesregierung eine halbe Milliarde teurer werden, ist das Geld plötzlich doch da. Ist das nicht ein Missverhältnis?

: Ein Problem ist, dass die Kultur- und Schulpolitik Ländersache sind. Wir machen nicht primär Projektförderung, sondern wir sind diejenigen, die zum Beispiel Themen wie Künstlersozialkasse, Stiftungsgesetz, Bundesförderung auf Berlinebene und die auswärtige Kulturpolitik aufgreifen. Aber was zum Beispiel in punkto Bildung in den Schulen läuft, können wir nur über Einzelprojekte angehen. Insofern ist das, was dem Musikrat an Zuschüssen gegeben wird, ganz konkret an Pilotprojekten ausgerichtet und kann nicht die ständige Förderung sein. Da würden uns die Länder auch ganz schnell auf den Kopf schlagen.

Wie kann man bewirken, dass diese Projekte im Musikrat eine professionelle Struktur?

: Es gibt von der Politik immerhin 470.000 Mark für die Geschäftsstelle des Musikrates. Das teilt sich der Bund mit den Ländern. Ferner gibt es Zuschüsse für Projekte, die neu angestoßen werden. Aber das Problem ist in Wirklichkeit ein gesellschaftliches. Welchen Stellenwert hat die Musik? Derzeit können wir in der Gesellschaft eine hektische Aktivität beobachten: Alle Schulen sollen ans Netz, Kinder sollen mit einem Keyboard umgehen können. Plötzlich hat die individuelle Betätigung mit einem Musikinstrument keinen gesellschaftlichen Stellenwert mehr. Das ist die eigentliche Krise.

: Zunächst mal gefällt mir das Wort Krise in dem Zusammenhang überhaupt nicht, weil der Begriff Krise immer suggeriert, dass es ein vorübergehender Zustand ist. Heute herrschen ganz andere Rahmenbedingungen als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Das ist eigentlich ein normaler Vorgang. Außerdem sind die Wartelisten bei den Musikschulen länger denn je.
Lange: Wobei die Musikschulen aber immer weniger werden.

Und die Unterrichtsgebühren immer höher.

: Ja, aber ich glaube nicht, dass das Interesse junger Menschen nachlässt. Das höre ich so belegt heute Abend zum ersten Mal. Das hört man immer wieder mal als Klischee, aber wenn sie mit Instrumentenherstellern reden, mit Verlagen, mit Musikschulen, dann kriegt man ein anderes Bild. Die Frage ist nicht, wie können wir die Krise bewältigen, was das Interesse junger Menschen an Musik betrifft, sondern wie können wir sicherstellen, dass der Bedarf, der da ist, befriedigt wird. : Zurzeit kann in Deutschland das Interesse von Jugendlichen einfach nicht befriedigt werden, wenn Musikunterricht bereits im Grundschulalter zu 80 Prozent ausfällt. Das sind Zahlen aus Nordrhein-Westfalen, in Hessen gibt es ähnliche Tendenzen.

: Ich möchte auf den Deutschen Musikrat zurückkommen. Der Deutsche Musikrat muss die kritischen Themen formulieren. Wenn jetzt in der Diskussion ist, Computer an alle Schulen: Wo ist der Aufschrei von unserer Seite, den man auch in der Zeitung lesen kann?
Lange: Ich gebe gern zu, wir sind da noch viel zu leise. Kommen nicht an die richtigen Adressen, bewegen uns zu sehr im Insiderbereich. Aber grundsätzlich bewegen wir uns in diese Richtung.

Vielleicht ist der Deutsche Musikrat einfach zu vornehm?

: Ich bin der Meinung, dass der Musikrat in Zukunft sehr viel aggressiver in die Öffentlichkeit treten muss. Dennoch kann man nicht sagen, dass in der Vergangenheit nichts passiert ist, und dass Lobbyarbeit nicht stattfand. Es gibt zwei verschiedene Formen: Man kann das mit einem Transparent in der Fußgängerzone machen oder man kann es hinter verschlossenen Türen machen. Davon kriegt die Öffentlichkeit zwar nichts mit, das kann aber sehr effektiv sein. Insofern muss ich meine Vorgänger in Schutz nehmen.

: Die Ergebnisse dieser Öffentlichkeitsarbeit sind nicht so, dass man sagen kann, es wäre ein gesellschaftliches Bewusstsein da, Musik sei eine lebensnotwendige Qualifikation. Die Jeunesses Musicales ist sehr aktiv in der Kooperation mit dem venezolanischen Kinderorchester. Dort wird ein sozial kompetentes Miteinander durch Musik sehr deutlich. Ich kenne das aus eigener Erfahrung: Meine Kinder sind an der Waldorfschule – dort lernen alle Kinder ein Instrument spielen, und dort wird niemanden eingeredet, er sei nicht musikalisch. Insgesamt freilich gibt es nicht genug Lehrer.
Musiker werden nicht zwangsläufig auch eine pädagogische Ausbildung machen, um später an einer Schule Musik zu unterrichten. Denen ist das zu lästig oder zu nervig oder vielleicht zu anstrengend, weil die Kinder es nicht als gesellschaftliches Bild haben, dass Musik etwas ist, das man für das Abitur braucht.

: Natürlich ist es nicht besonders spektakulär, wenn wir zum Beispiel versuchen, in Deutschland eine Rahmenrichtlinie zur Ausbildung von Musiklehrern zu erwirken. Es ist bezeichnend für unsere Situation, dass es diese Rahmenrichtlinien nach so vielen Jahren der Anstrengungen nicht gibt.

Erwirken beinhaltet das Wort wirken und eine unserer groben Unterstellungen lautet ja immer, dass der Musikrat zu wenig wirkt.

: Er wirkt schon, aber das ist eben nicht spektakulär.

: Vielleicht kann ich Ihnen da mal einen Hinweis geben. Ich erwähnte bereits diese Erfolgsgeschichte „Schulen ans Netz“. Wenn man betrachtet, wie das in der Öffentlichkeit rübergekommen ist – da haben sich die großen Industriebosse gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder hingestellt und haben die Initiative D21 und N21 in den einzelnen Ländern vorgestellt. So etwas würde ich mir im Musikbereich auch wünschen. Da muss man dann eben prominente Musiker an die Seite holen und dann ein paar Ministerpräsidenten suchen, die sich mit einem zusammen auf die Bühne stellen und so der Aktion eine gesellschaftliche Kraft geben.

Warum, Stefan Piendl, hat sich die Industrie nicht massiv in die Nachwuchsförderung, die Förderung ihres eigenen Marktes eingeklinkt?

: Die Industrie tut immer dann etwas, wenn sie ein Geschäft sieht. Frau Griefahn hat völlig recht, wie dieses schöne Beispiel „Schulen ans Netz“ zeigt. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass das nicht das plötzlich erkeimende soziale Gewissen der deutschen Manager bewirkt hat, sondern dahinter stehen ganz handfeste wirtschaftliche Interessen. Wenn die Schallplattenindustrie diesen Zusammenhang mit der musikalischen Bildung unmittelbar sähe, würde sie das sicherlich auch tun. Man kann sich darüber streiten, ob das nun eine richtige oder falsche Einschätzung ist, aber im Moment wird es eben von uns nicht unbedingt so gesehen.

: Im Grundsatz geht es doch nur um die Frage: Was ist unserer Gesellschaft musikalische Bildung wert? Uns ist es nicht gelungen, zu vermitteln, dass Musik ein wertvolles Gut ist. Es wird heutzutage ganz viel von dem Wort Schlüsselkompetenz geprochen und ich frage mal: Welche Form der Betätigung bildet diese Schlüsselkompetenzen mehr aus, als die musikalische Bildung? Da hätte man einen sehr guten Ansatz, bei dem man sich auch mit den Großen der Industrie treffen könnte. Ein Beispiel aus England: Simon Rattle hat im Fernsehen mit dem Industrieminister diskutiert. Und zwar so lange, bis dieser einen Beschluss zurückgenommen hat, der die musikalische Bildung empfindlich getroffen hätte in Bezug auf Unterricht und Geld. Es geht darum Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen. Das ist ein dickes Brett, das ist eine stille Arbeit, die interessiert auch niemanden. Aber die muss vom Deutschen Musikrat geleistet werden.

Wann tritt der Deutsche Musikrat endlich fest auf, Herr Lange, wenn er es bis jetzt ja nicht geschafft hat?

: Es gibt jetzt seit einem Jahr ein neu gewähltes Präsidium, das mit sehr viel Elan an die Arbeit gegangen ist und das ja auch von der Generalversammlung im letzten Jahr ganz schön Zunder bekommen hat. Wir würden auch sehr gerne Promis einsetzen, um unsere Belange nach vorne zu bringen, weil die natürlich das Gehör finden in der heutigen Medienlandschaft. Um das zu tun, werden wir aber erst die Voraussetzungen dafür schaffen müssen. Dann kann es Ihnen passieren, dass Sie sich als neu gewähltes Präsidiumsmitglied erst mal mit einer Satzungsänderung befassen müssen. Das ist nicht furchtbar sexy. Vielleicht müssen Sie erst mal die gesamte Buchhaltung reformieren, um die Voraussetzungen zu schaffen. Ich verstehe jeden, der ungeduldig wird und sagt: Hey, wann passiert das endlich. Aber ich weiß aus einjähriger Erfahrung, dass davor erst mal einige dicke Bretter zu bohren sind, bevor man das tun kann. Es ist aber auch symptomatisch, dass wir eben als Musikrat in der Vergangenheit zum Beispiel eine Projektfinanzierung erwirken konnten, wenn Projektideen da waren. Aber für Lobbyarbeit oder, wie das der Deutsche Kulturrat formuliert, für Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit, gibt es eben kein Geld.

Wie soll es werden? Was kann man sich wünschen? Soll der Deutsche Musikrat so eine Art ADAC, ein Serviceunternehmen für Musiker werden?

: Das kann es nicht sein. Man kann die Tendenz nicht aufgeben, einerseits hervorragende Projekte zu machen für alle Bereiche und andererseits weiterhin Förderprogramme zu machen und Wettbewerbe zu organisieren für den musikalischen Nachwuchs, also inhaltlich zu arbeiten.

: Dann sollten wir noch mal einige inhaltliche Punkte ansprechen. Der Musikrat ist auch in sich gelähmt. Es reden einfach viel zu viele mit. Man muss versuchen die Musikwirtschaft, die Musik treibenden Verbände, die Musikpädagogischen Verbände und die Vertreter der musizierenden Jugendlichen auf einen Nenner zu bringen. Wenn wir dieses Problem nicht in den Griff kriegen, wird der Musikrat nicht weiter kommen, weil er überhaupt nicht in der Lage ist, klare, griffige Thesen und Standpunkte zu formulieren. Denn mit komplizierten Aussagen werden wir nie in die Zeitung kommen, nie ins Fernsehen kommen, wird uns kein Mensch wahrnehmen.

: Wir werden dafür sorgen, dass wir viel Gehör in der Öffentlichkeit finden, dass wir nicht mehr als Bedenkenträger gelten. Dann wird es spannend sein zu sehen, ob alle Politiker den ausgeprägteren Stellenwert, den wir in der Öffentlichkeit haben werden, auch noch gut finden.

Wie soll der Deutsche Musikrat 2005 denn aussehen?

: Wie der Musikrat aussieht, ist mir eigentlich egal. Ich möchte, dass im Jahr 2005, wenn in einem Gemeinderat diskutiert wird, ob das Klavier in der Musikschule gestimmt werden kann oder ob das Geld jetzt für den Fußballplatz ausgegeben wird, um die Rasenschäden auszubessern, ein einstimmiges Votum fürs Klavierstimmen fällt.

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