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Christian Gerhaher im Gespräch mit FAZ-Redakteurin Eleonore Büning bei der Verleihung des Musikpreises des Heidelberger Frühling am Ende der Music Conference. Foto: „studio visuell“
Christian Gerhaher im Gespräch mit FAZ-Redakteurin Eleonore Büning bei der Verleihung des Musikpreises des Heidelberger Frühling am Ende der Music Conference. Foto: „studio visuell“
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Ist Raum nicht der wahre Luxus?

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Ein Konferenzbericht zum Heidelberger Frühling 2016
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Die vierte Auflage der Musikkonferenz im Rahmen des Klassikfestivals Heidelberger Frühling fand Ende April statt und beschäftigte sich unter dem Konferenztitel „Programm braucht Raum – Inhalte und Rahmung künstlerischen Arbeitens“ mit den Eckpfeilern beziehungsweise dem Grundgerüst für gutes künstlerisches Schaffen. An zwei Tagen wurde ein Ist-Soll-Vergleich gezogen, Wünsche geäußert und Appelle an und in die Zukunftsfähigkeit der klassischen Musik gerichtet.

Gleich zu Beginn gab es eine angenehme Überraschung, nämlich Raum für Ideen aus dem Fachpublikum. Knappe fünf Minuten pro Vorab-Statement gab es, um eigene Anregungen und Sichtweisen zu positionieren – und das wurde intensiv genutzt und sorgte direkt am Anfang für erste fruchtbare Diskussionen; auch wenn bei der einen oder anderen Wortmeldung ein gewisser Eigenwerbungsfaktor Grundtenor war. Alles in allem tat die neue prominent am Anfang platzierte Stimmenvielfalt der Veranstaltung aber gut; schade nur, dass der bewusst (über)provokant formulierte Aufruf, endlich einmal „die Hosen runter zu lassen“ und die Angst abzulegen, das „kultursubventionierte Spielzeug weggenommen zu bekommen“, im weiteren Verlauf der Konferenz zusehends verpuffte. Ein Zeichen dafür, dass es dem Großteil der Branche doch (noch) zu gut geht für solche aufgekratzten, gar hitzigen Diskussionen?

Raum für Diskussionen

Die fünf Diskussionspanels und die zugehörigen Impulsvorträge waren wie üblich glänzend besetzt und boten „best practice“-Inspiration zuhauf – vielleicht ist aber genau diese Strahlkraft auch ein Manko für die Teilnehmenden, die eher aus der Breite der Kulturlandschaft kommen und sich mit anderen Problemen in ihrem Berufsalltag „in der Provinz“ konfrontiert sehen.

Im ersten Panel wurde neben dem eigentlichen Thema „Programmatische Freiräume“ sehr schnell die Frage verhandelt, inwieweit öffentliche Kulturförderung den kreativen Output ausbremse und der – auch weiterhin – wachsenden freien Klassikszene durch Dumpingpreise schade. Die Tendenz, durch amerikanische Kulturförderverhältnisse mehr Beinfreiheit zu erlangen beziehungsweise die Forderung, über eine komplett neue öffentliche Fördergelderstruktur zu sprechen, lag leider nur unausgesprochen in der Luft und hätte weitere Würze versprochen.

In den weiteren Panels ging es etwa darum, wie ein Konzertort generell beziehungsweise die vielen zur Zeit in der Republik entstehenden Konzertsäle in wechselseitige Beeinflussung tritt mit einem im Entstehungsprozess befindllichen Konzertprogramm, wie weit Transparenz (in der Bauweise) einen teuren Neubau rechtfertigt und einen Mehrwert für die Stadtgesellschaft bietet, oder etwa, warum sich (immer noch sehr wenige) Unternehmen in der Region ihrer Standorte einsetzen für Kulturvielfalt und dadurch für die Attraktivität einer Region.

Der Begriff Glokalisierung fiel zwar nicht, aber es scheint schwieriger zu werden, ein Konzertprogramm 1:1 in anderen Städten beziehungsweise Ländern dem Publikum schmackhaft zu machen; der Wunsch nach regionaler Verhaftung oder besser: Begründbarkeit der gehörten Musik am Aufführungsort rückt weiter in den Fokus. Hochinteressant waren die Ausführungen zum daueraktuellen Thema „Virtueller Raum“, unter dem von (Live)streaming bis Social Media sehr vieles angeschnitten wurde: Eine wirkliche, progressive Auseinandersetzung mit diesem Thema scheint immer noch nicht absehbar, nicht gewünscht zu sein in der Klassikszene.

Statt proaktiv die eigenen Inhalte, Ideen und Produkte zu platzieren, herrscht eine zurückhaltende Zufriedenheit mit dem Status quo und die Hoffnung, dadurch die turbulenten Entwicklungen auszubremsen – einzelne Pioniere ausgenommen.

Die Abschlussdiskussion konnte leider nicht das Niveau der vorangegangenen, Impulse zum Nach- und Weiterdenken en masse gebenden Diskussionen halten. Ein wenig fehlte der rote Faden, das die Konferenz zusammenfassende Fazit.

Das Gespräch, an dem unter Anderem der später mit dem Musikpreis des Heidelberger Frühling ausgezeichnete Bariton Christian Gerhaher teilnahm, verfranste sich stellenweise in einem Plausch über verschiedene „Knödel“-Techniken beim Singen: unterhaltsam, aber nicht zielführend.

Klassik(markt) von morgen

Abwechslung ins Programm brachten zwei zeitliche Einschübe, sogenannte Showcases, in denen exemplarisch und in kleinerer Runde der Fokus auf unterschiedlichen Teilaspekten des Kulturbetriebs lag:

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen steht mit ihrem genossenschaftlichen Finanzierungs- und Organisationsmodell sowie den beachtlichen Education-Projekten im eigenen „Brennpunkt“-Stadtteil konzeptionell inzwischen Pate für DAX-Unternehmen; der (Online)Musikkritikmarkt wird durch den RONDO-Ableger www.niusic.de, der sich junge Spritzigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, weiter fragmentiert oder zumindest belebter und nischiger. Außerdem präsentierte die Wigmore Hall ihre Ideen für einen belebten Konzertsaal von morgen; möglich waren auch Einblicke in die kulturfördernde Körber-Stiftung.

Alles in allem war diese Fachtagung erneut eine Gedanken anregende, kontroverse Fragen aufwerfende Gelegenheit, um eine Momentaufnahme der Musikbranche zu erhalten. Die versammelte Fachkompetenz wird bereitwillig geteilt, die Einladung als Plattform zum brancheninternen Austausch gerne genutzt.

Bleibt die Frage, warum die Diskussionen oft friedvoll und einhellig endeten, konträre Positionen kaum aufeinander prallten, um dadurch Reibungsenergie freizusetzen: Ist der Klassiksektor eine große, höfliche, verständnisvolle Familie oder lohnt es sich tatsächlich kaum, Gegensätzliches zu verhandeln, sind alle glücklich und in einer saturierten Zufriedenheitsstarre verhaftet?

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