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Jenseits des Schleswig-Holstein-Festivals

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Mutproben und Selbstläufer: Musik in der Landeshauptstadt Kiel
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Die Dinge sind nicht mehr, was sie einmal waren. Zwar kann man, wenn man die Treppen abwärts steigt, sehr wohl noch von den rasenden Läufen eines zornigen Saxophons empfangen werden; im Keller angelangt stellt sich jedoch die Frage, ob die Wut des Bläsers nicht vor allem in der Zuhörerquote begründet liegt, die an diesem Abend lange Zeit beschämend niedrig bleibt. „Ich weiß es nicht“, antwortet Ute Pioch, Veranstalterin des „Jazz Clubs“ im Kommunikationszentrum „Pumpe“, dezidiert resigniert auf die Frage nach den Gründen für diesen mittlerweile chronischen Publikumsmangel. Solche Stoßseufzer sind in der Stadt derzeit oft zu vernehmen – nicht nur bei Kiels dienstältester Konzertreihe zum Thema Jazz.

Sicher ist nur, dass Ute Pioch das Beste macht aus ihrem kleinen Jahresetat von 4.600 Mark, dessen Bestand wiederum keineswegs gesichert ist, denn im Kulturamt herrscht akute Katastrophenstimmung: Nachdem die Stadt der regsamen Behörde mit treffsicherem Gespür für exzellente Jazz-, Chanson- und sonstige Konzerte mit dem „KulturForum“ soeben neue Räumlichkeiten für eigene Veranstaltungen eingerichtet hat, soll nun der Ausgabenetat von 120.000 Mark dergestalt umgeschichtet werden, dass man dort eben diese Veranstaltungen kaum mehr wagen kann. Ein Paradox, über das von den Betroffenen niemand reden will und darf: „Sie denken logisch“, attestiert ein Mitarbeiter, auf die Widersinnigkeit der Entwicklung angesprochen.

Solche kulturpolitischen Entscheidungen fallen allerorten, in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins zurzeit jedoch so gehäuft, dass ein paar trübe Moll-Akkorde bei einer Bestandsaufnahme zum Thema „Musikleben“ nicht ausbleiben können. Doch es gibt auch Wege, sie zu vermeiden: „Die Frage, die uns im Moment wirklich bewegt, ist die, wie man den ‚Kieler Ring‘ noch toppen kann“, konstatiert Ulrich Windfuhr, der Generalmusikdirektor der knapp 234.000-Einwohner-Stadt im Land zwischen den Meeren. Der fordernde Maestro, der hier seine dritte Spielzeit als Herr über ein durchaus herausragendes B-Orchester erlebt, will nicht über die kontrovers diskutierten Sanierungspläne für das extrem renovierungsbedürftige Drei-Sparten-Haus sprechen, noch weniger über den Vorschlag des Kulturdezernenten Heinz Rethage, das Theater zu privatisieren, um auf diese Weise spürbare Einsparungen in einem mit 44,1 Millionen Mark nicht eben üppig bemessenen Gesamtetat zu erreichen. Vielmehr spielt er mit Nachdruck auf jene künstlerische Qualität an, die die Kieler Oper mit ihrer bundesweit und zum Teil sogar ein wenig weiter gelobten Inszenierung der Wagner’schen Tetralogie erreichen konnte. Diese beachtliche Visitenkarte aus der Feder der Regie führenden Operndirektorin Kirsten Harms stellt keineswegs die Ausnahme dar. Auch im Opernalltag versteht man es, mit den vorhandenen Mitteln Überdurchschnittliches zu leisten, musikalische Selbstläufer und Mutproben geschickt und ausgewogen miteinander zu kombinieren.

Die gleiche Linie wird bei den in der Saison monatlich stattfindenden „Philharmonischen Konzerten“ vertreten: Hier kombiniert der GMD, der sich an so namhaften Vorgängern wie Klaus Tennstedt zu messen hat, Schostakowitsch mit Beethoven oder Berg mit Bruckner, um auf diese Weise herauszustellen, „welche Werke des 20. Jahrhunderts bereits repertoirefähig sind.“ Veranstaltet werden die gut frequentierten Aufführungen indes vom „Verein der Musikfreunde“, der das Kieler Konzertleben seit mittlerweile hundert Jahren prägt. Die enge Zusammenarbeit mit dem Orchester der Stadt ist Tradition, ebenso das Engagement einzelner Orchestermitglieder, die das Kieler Musikgeschehen auch als Solisten oder Ensembleleiter formen. Konzertmeister und Violinist Rüdiger Debus beispielsweise feilt mit seiner „Camerata Kiel“ an einer historischen Aufführungspraxis, sein Kollege Robert König widmet sich mit dem „Sinfonieorchester des Ernst-Barlach- Gymnasiums“ der großen romantischen Sinfonik; nicht zu vergessen das neu gegründete „Philharmonische Kammerorchester Kiel“, das sich unter wechselnden Dirigenten auch und besonders dem Rand- und Nischenrepertoire verpflichtet fühlt. Die Zahl der außerdem aktiven Laienorchester und semiprofessionellen Ensembles ist groß, wesentliche Impulse kommen aus den Bereichen der Kirchen- und Universitätsmusik. Überdies ist eine ausgesprochen ambitionierte Chormusikszene zu verzeichnen: Der seit zehn Jahren bestehende „Madrigalchor Kiel“ unter der Leitung von Friederike Woebcken etwa wurde 1994 beim 4. Deutschen Chorwettbewerb in Fulda erster Preisträger in der Kategorie „gemischte Chöre“.

So schmeckt das klassische Schwarzbrot außerhalb der drei Sommermonate, in denen das „Schleswig-Holstein Musik Festival“ Land und Hauptstadt mit einer Fülle von großen Events und Konzerten versorgt. Ein vergleichbares, wenn auch auf drei kurze Tage begrenztes Festival in Sachen Jazz stellt die „JazzBaltica“ dar, im Kieler Kultusministerium vor gut zehn Jahren als kleine, feine Idee geboren, heute renommierte Großveranstaltung im nahen Salzau mit Sonderstatus in der europäischen Festivalszene.

Hier trifft man im Übrigen als Zuhörer auch viele derjenigen, die an der achtbar ausbildenden „vhs-Musikschule“ ein Instrument erlernen und ihren Vorbildern vor Ort über die Schulter schauen. Nachwuchsbands gibt es zahlreich quer durch die Genres, und im Herzen der Hörn, dort wo der letzte Ostseezipfel das Stadtzentrum zum Bruderkuss trifft, bot man mit dem „Musico“-Gebäude vielen dieser Formationen lange Zeit bezahlbare Übungsräume. „Things ain’t what they used to be“: Heute steht dort kein Stein mehr auf dem anderen.

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