Im kleinen Städtchen Kronberg vor den Toren Frankfurts ist nach fünf Jahren Bauzeit ein neuer High-end Konzertsaal entstanden. Mehr noch: Dem Casals Forum angegliedert ist ein Studien- und Verwaltungszentrum und auch das gegenüberliegende Hotel sowie ein öffentlich zugänglicher Vorplatz wurden in die Planung miteinbezogen. Die Kronberg Academy hat sich nach knapp 30 Jahren ihr eigenes Zuhause gebaut.
Der Weg von der wenige hundert Meter entfernten S-Bahn Haltestelle zur Pressekonferenz im Casals Forum gleicht am 23. September noch einem kleinen Hindernislauf. An Zäunen vorbei, über Säcke, Eimer und allerlei Baugerät: Es ist noch nicht alles fertigstellt im Musikquartier der Kronberg Academy, doch das spielt an diesem Tag keine nennenswerte Rolle. Denn das Herzstück des neuen Gebäudekomplexes der Kronberg Academy ist rechtzeitig fertig geworden: der Kammermusiksaal. So mischen sich bereits Probenklänge des Chamber Orchestra of Europe und Vadim Gluzman in den Soundtrack der Baugeräusche. Große Fensterfronten geben nach außen den Blick auf den in unmittelbarer Nähe gelegenen Victoria-Park frei. In die andere Richtung kann man bei geöffneten Vorhängen aus dem Foyer direkt in das hell ausgekleidete Innere des Saals schauen, das so auch vom Tageslicht erreicht wird.
Amöbe statt Schuhkarton
Der Anspruch war von Anfang an kein geringerer, als mit dem Casals Forum einen der weltweit besten Säle seiner Art zu bauen. Um dem gerecht zu werden, setzte Raimund Trenkler, Vorstandsvorsitzender der Kronberg Academy Stiftung, auf eine intensive und gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Architekten Volker Staab und dem Akustiker Martijn Vercammen, der 2017 bereits mit der Aufgabe der Klang-Korrektur in der Berliner Staatsoper betraut worden war. Ein Architekt sei es normalerweise kaum gewöhnt, dass ihm von Anfang an jemand in die Arbeit hineinrede, sagt Trenkler lachend. So kippte Vercammen noch in der Planungsphase die Grundidee eines Saals in klassischer Rechteckform, auch Schuhkarton genannt, und brachte stattdessen eine freie Form ins Spiel. Das heutige Casals Forum ist weder ein Schuhkarton, noch ein Weinbergsaal nach Vorbild der Berliner Philharmonie, sondern ähnelt in der Kontur seines Grundrisses einer Amöbe. Mag das für den einen oder anderen zunächst befremdlich klingen, überzeugt es doch ästhetisch und verleiht dem Raum eine besondere Dynamik. Ein wellenförmiges Zusammenspiel aus konvexen und konkaven Linien streut den Schall und bietet ihm Reflexionsfläche. Damit sind ideale, akustische Bedingungen für Kammermusik und Solisten geschaffen. Der Schlüssel, um bei aller Intimität dennoch Klangvolumen zu garantieren und auch den Bedürfnissen größerer Besetzungen gerecht zu werden, ist laut Vercammen eine große Raumhöhe, die in Wechselwirkung mit der Reflexionsfläche tritt. Denn nicht nur kleine Besetzungen sollen im Saal optimale Bedingungen vorfinden, sondern dank einer in ihrer Größe flexiblen Bühne auch Kammerphilharmonien mit bis zu 65 Musizierenden. Das akribisch ausgearbeitete Klangwunder, welches diese Flexibilität zulässt, können im Saal rund 550 Zuhörerinnen und Zuhörer auf etwa gleichvielen Plätzen im Rang- und Parkettbereich erleben. Im hinteren Bereich ansteigende Stuhlreihen sollen für gute Sicht aus jeder Perspektive sorgen.
Im Jahr 2022 muss ein neuer Konzertsaal neben allen künstlerischen und ästhetischen Ansprüchen auch unter Nachhaltigkeits-Aspekten auf der Höhe der Zeit sein. Mit seinem Energiekonzept kommt das Casals Forum vollkommen ohne (russisches) Gas und ausschließlich mit Ökostrom aus. Wärmepumpen und ein Eisspeicher, der zur Klimatisierung eingesetzt werden kann, machen den Saal laut Bauherren zu einem der ersten CO2-neutralen Konzertsäle der Welt und auch für potenzielle Diskussionen um neue Corona-Schutzmaßnahmen ist man gerüstet: Ein Lüftungssystem erlaubt vier Luftwechsel in der Stunde, sodass die Luft sowohl im Saal, als auch im Foyer des Casals-Forum alle 15 Minuten vollständig ausgetauscht werden kann. Angela Dorn, hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst spricht von einem architektonischen Meisterwerk mit viel Weitblick. An den Baukosten von etwa 60 Millionen Euro hat sich das Land Hessen mit knapp 9 Millionen, der Bund mit 26 Millionen Euro beteiligt. Der Rest der Kosten konnte durch das Engagement privater Förderer aus der ganzen Welt gedeckt werden.
Ein Traum für alle
Das Casals Forum ist unterirdisch mit dem ebenfalls vom Architekten Staab entworfenen Studien- und Verwaltungszentrum verbunden, wo den bis zu 35 Studierenden der Kronberg Academy fünf Unterrichts- und vier Übungsräume zur Verfügung stehen. Es beherbergt mit dem Carl Bechstein Saal außerdem einen Prüfungs- und Vortragssaal mit Studiocharakter und 146 Plätzen, der ebenfalls durch Modifizierungen, wie ausklappbare Lamellen in den Wänden, unterschiedlichen akustischen Anforderungen gerecht werden soll.
„Wir haben einen Traum gebaut“, sagt Trenkler und meint damit nicht nur einen Traum für die Künstler selbst, sondern, im Sinne Pablo Casals', für alle: „Die Kunst in den Dienst des Menschen zu stellen, das ist es, worum es hier geht“. Kronberg, seit 30 Jahren bekannt als Elite-Ausbildungszentrum in den Fächern Violine, Viola, Violoncello und Klavier-Kammermusik, möchte mehr sein als eine Kaderschmiede für die nächsten großen Stars der Klassik-Szene. Man wolle junge Künstlerpersönlichkeiten begleiten und unterstützen und gleichzeitig als Zuhause für Residenz-Ensembles wie beispielsweise das Chamber Orchestra of Europe ein „Werkraum“ der Musik sein. Für ihre Arbeit wurde die Kronberg Academy kürzlich von der Japan Art Association mit dem Nachwuchspreis des Praemium Imperiale „Grant for Young Artists“ ausgezeichnet.
Vom 24. September bis zum 3. Oktober feierte Kronberg die Einweihung des neuen Musikquartiers mit einem Festival, das nicht anders bezeichnet werden kann als ein Spitzentreffen der weltweiten Klassikstars. Im Casals Forum, im Bechstein Saal, aber auch in der Johanniskirche und der Burg Kronberg konzertierten viele der international renommiertesten Künstlerinnen und Künstler der Klassikszene.
Für die Zukunft ist ein permanent durchlaufender Konzertbetrieb im Casals Forum zwar nicht geplant, man sei aber im Gespräch mit unterschiedlichen Kulturakteuren, so Trenkler. In etwa einem Jahr soll sich ein Regelbetrieb eingestellt haben. Man darf erwartungsvoll und gespannt auf die weitere Entwicklung des Casals Forum blicken, dessen Absicht es ist, sich in die Riege der weltweit besten Kammermusiksäle einzureihen.