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„Ich empfehle Ihnen, wenn Sie politisch etwas erreichen wollen, dann müssen Sie Streit anfangen und Krach schlagen, Sie müssen Druck machen. Und Druck macht man dadurch, daß man das Problem transparent macht, in die Öffentlichkeit geht.“ Der Tip eines Profis. Was dem Politiker Heiner Geißler selbstverständlich erscheint, ist für die Klassik-Branche bisher unerreichtes Lernziel – Krach ist ihre Sache nicht. Und gerade darum erschien die Klassik Komm. als ein ideales Forum fürs Training – der öffentliche Rahmen war gegeben, da fehlte nur noch eines: Transparenz.
Hochrangige Vertreter aus allen Branchenbereichen sollten demStreit ihre Stimme leihen: Peter Hanser-Strecker (Verleger, Schott) und Hans Sikorski als Vertreter der Musikverleger, Karsten Witt (Deutsche Grammophon) für die Plattenbranche und Irene Schulte-Hillen von der Deutschen Stiftung Musikleben. Da allerdings der moderierende „Zeit“-Redakteur Thomas Mießgang offensichtlich das zur Disposition stehende „Problem“ der musikalischen Bildung als solches noch nicht erkannt hatte, kam ein „Streit“-Gespräch nur schleppend in Gang. Dabei gaben sich Andreas Eckhard, der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, und Gerd Eicker, der Vorsitzende des Musikschulverbandes, in der Rolle der Streit-Hähne alle Mühe. Ihre Diagnose: Das Musikleben in Deutschland gerät durch schleichende Kürzungen der öffentlichen Mittel für die musikalische Bildung langfristig in Gefahr.
„Wir haben eine Infrastruktur in Deutschland“, so Andreas Eckhard, „die dieses Musikleben überhaupt erst ermöglicht hat. An den allgemeinbildenden Schulen war bisher der Musikunterricht einigermaßen abgedeckt, die Musikschulen sind aufgeblüht, das Laienmusizieren hat stetig zugenommen, auch im Popularmusikbereich.“ Doch wenn die Basis erodiert, werden auf lange Sicht auch die Spitzenleistungen ausbleiben. Den Erdrutsch dokumentierte Eckhardt durch alarmierende Zahlen: Der Musikunterricht an den allgemeinen Schulen findet immer weniger statt, gerade an den Hauptschulen liegt die Ausfallquote bei bis zu 80 Prozent. Bei den Musikschulen geht die öffentliche Finanzierung zurück, die Tendenz zur Privatisierung bringt es mit sich, daß durch steigende Gebühren der praktische Musikunterricht wieder zum Privileg der Begüterten zu werden droht. Die musikalische Basis steht auf dem Spiel: In Deutschland gibt es heute etwa 1000 Musikschulen mit einer Million Schülern, fast ein Drittel aller Schulkinder ist musikalisch aktiv. „All das ist gegeben“, so Gerd Eicker, „und wir wissen auch um die Bedeutsamkeit der Musikpraxis für Kinder, sie ist wissenschaftlich nachgewiesen. Wir wissen, daß nicht der IQ allein entscheidet, sondern daß die emotionale Intelligenz noch viel wesentlicher ist für den Menschen. All das ist bekannt. Und dann frage ich: Warum formieren sich nicht nun all diese Kräfte, um denen, die das Geld verteilen, das wirklich – Sie mögen mir verzeihen – in die Köpfe einzuhämmern: So geht’s nicht! Wir brauchen die musikalische Bildung, wenn das nächste Jahrhundert nicht den Menschen kaputtmachen soll!“
Doch genau an der Entschlossenheit mangelt es bislang. Die klassische Musik kommt aus ihrem Elfenbeinturm einfach nicht heraus. Und mehr noch: In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit erscheint das Problem der musikalischen Bildung vielen Menschen eher nebensächlich, wie Peter Hanser-Strecker resignierend resümierte: „Und dann veranstalten wir eine Klassik Komm., die sich mehr als eine Klassik-Geh-Veranstaltung darstellt. Das Publikum nimmt stetig ab, es ist letztlich der Exodus des Interesses, und es ist damit eigentlich ein ideales Spiegelbild, in welcher Verfassung wir uns befinden. Wir alle wissen, was wir wollen, wir zeigen, was wir können, aber wir können es nicht vermitteln.“ Eine Art panische Lähmung scheint die Klassikbranche befallen zu haben, wie ein gejagtes Wild, kurz bevor es gefressen wird. Dabei hat sie die Kapitulation gar nicht nötig, denn so elitär, wie die kulturellen Miesmacher es gerne schildern, ist die Branche gar nicht: Unter dem Dach des Deutschen Musikrates sind 90 Fachverbände organisiert, sie vertreten acht Millionen Bürger, also zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Selbstbewußtsein statt hilflosen Jammerns ist angesagt.
Auch wenn ein vorliegendes Konzept angekündigt wurde – auf der Diskussionsrunde bei der Klassik Komm. war wenig Konkretes zu erfahren: „Aktion Musik“ soll es heißen, eine Medienkampagne, eine Aktionswoche aller Musikverbände, ein offensiver Gang in die Politik. Wie bei der „Trimm-dich“-Kampagne der Sportvereine soll die Bedeutung der Musikpraxis für die Gesellschaft omnipräsent gemacht werden, durch eine Plakataktion, griffige Slogans und stärkere Fernsehpäsenz auf quotenträchtigen Sendeplätzen.
Doch die Selbstdarstellung will gelernt sein: Nicht einmal ein konkretes Datum war auf der Klassik Komm. zu erfahren, vielleicht findet die „Aktion Musik“ schon im nächsten Jahr statt., aber keiner weiß nichts Genaues. Immerhin: Mit Heiner Geißler ist schon mal ein politisches Sprachrohr gefunden worden.
Er hat verstanden, worum es geht: In einer drohenden Gesellschaft von Fachidioten steht ein Menschenbild auf dem Spiel, dessen historische Wurzeln in unserer Kultur weit zurückweichen und gleichzeitig voraus: „Als Zukunftsressource für den Standort Deutschland“, so Geißler, „brauchen wir kreative schöpferische Menschen: Leute, die in der Lage sind, selbständig, aus sich heraus kreative Ideen zu entwickeln. Und um dieses kreative Potential für eine menschliche Gesellschaft im technologisierten Zeitalter zu erhalten, müßte der Musikunterricht in unseren Schulen erweitert werden - und nicht abgebaut!“