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Michael Jenne. Foto: privat
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Konzertpädagogik live weltweit

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Musiker, Manager und Wissenschaftler: Michael Jenne zum Siebzigsten
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Schon sein erstes Austauschjahr als 16-jähriger Schüler in den USA, damals noch zu Schiff erreicht, hat ihn geprägt, ihn, den Berliner Schüler im Grauen Kloster von Schmargendorf, der mit seiner Mitgliedskarte der Musikalischen Jugend Deutschlands in der Tasche deren Konzertangebote nutzte: Wie wichtig Offenheit, Begegnung und Austausch für ihn, für Michael Jenne und seine Nachkriegsgeneration, waren. Welch belebende Rolle Musik und erst recht musikalische Aktivitäten dabei einnehmen konnten.

Solche Eindrücke vermittelten ihm vor allem seine deutsch-amerikanischen Erfahrungen bei etlichen Reisen, darunter die aktive Teilnahme am National Music Camp Interlochen und bei weiteren Amerika-typischen College- und Universitäts-Projekten. Das macht verständlich, warum interkulturelle und internationale Arbeit sein berufliches wie privates Leben wie ein goldener Faden durchzieht und ihm keine Ruhe lässt, selbst konstruktive Beiträge zu leisten: Warum nicht für die heranwachsende Nachkiegs- und Musik-engagierte Jugend eine musikalische Sommerakademie in Berlin? Im Sommer 1964 realisierte er sie im Jagdschloss Glienicke, ein erstes internationales Jugendorchester Berlin, unmittelbar vor der Mauer, nur ein Steinwurf weg von der Zonengrenze.

Wegen der Erst- und Einmaligkeit erinnern sich noch heute manche der inzwischen auf viele Orchester verteilten Berufsmusiker gerne daran.
Musik und Kommunikation, kritische Auseinandersetzung mit der Musikpädagogik vor und nach dem Nulljahr prägten hinfort seine weiteres Tun. So etwa lautet auch das Thema seiner bemerkenswerten Promotionsarbeit an der Hamburger Uni bei Hermann Rauhe – entstanden während seiner wissenschaftlichen Mitarbeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 1977 (bei Klett) in deutscher und 1984 in Princeton in englischer Ausgabe erschienen. Seit 1966 betreute er im Ehrenamt die JM-Arbeit in Berlin mit Konzertaktivitäten unterschiedlichster Art und Form, wirkte als MJD-Vertreter bei der Ausrichtung der Wettbewerbe „Jugend musiziert“ mit und ward bald ins Präsidium des Landesmusikrates Berlin berufen, der schon vor zehn Jahren Jennes Verdienste um das Berliner Musikleben mit der Goldenen Ehrennadel würdigte. Denn über ein Vierteljahrhundert, ausgelöst von einer Denkschrift, betrieb Michael Jenne beispielhaft Konzertpädagogik für und mit Kindern oder die „Konzerte für die ganze Familie“, entwickelt unter dem Schirm der Akademie der Künste aus einem vom Jugend- und Schulsenat geförderten Modellversuch.

Ebenfalls um interkulturelle Kommunikation und Vermittlung von Musik, hier verschiedenster kultureller (außereuropäischer) Traditionen ging es im Internationalen Institut für Vergleichende Musikstudien und Dokumentation. Fünfzehn Jahre bis 1991 hatte Michael Jenne dort sein berufliches Wirkungsfeld als dessen Generalsekretär und zeitweilig kommissarischer Direktor. Von da aus arrangierte er unter anderem moderierte Schulveranstaltungen mit Musikern außereuropäischer Kulturen. Dazu gehört auch „Music of the Globe“ (Bosse, Regensburg 1985), die Herausgabe von Klangbeispielen auf Tonträgern wiederum für den pädagogischen Einsatz. Derartig inspirierende und praxiserfahrene Persönlichkeiten in seine Gremien einzubinden, war für die Musikalische Jugend Deutschlands (MJD) eine Selbstverständlichkeit. Sie holte ihn, den Mittzwanziger, in den Bundesvorstand, wählten ihn 1983 zum Bundesvorsitzenden, ein Amt, das er zehn Jahre führte. Anlässlich des Weltkongresses der JM in Augsburg 1972 betreute er die im Vorfeld in Weikersheim stattfindende Arbeitsphase des JM-Weltorchesters. Daraus erwuchs seine Idee, dieses Weltorchester 1987 zur 750 Jahr-Feier Berlins einzuladen. Das gelang, und Brittens „War Requiem“ in West- und Ostberlin geriet zu einem musikalisch-demonstrativen Politikum.

Michael Jenne erinnerte sich: „Infolge der Resonanz und dank einer politisch günstigen Konstellation gelingt es, meine drei Wünsche zur Konsolidierung des JM-Weltorchesters beim Senat von Berlin und der Bundesregierung durchzusetzen: Berlin wird Sitz des (bis dahin in Brüssel unzureichend betreuten) Weltorchesters, es erhält eine ständige Geschäftsstelle und jährlich eine zweite, über dem Jahreswechsel immer in Berlin durchgeführte Arbeitsphase mit Abschlusskonzerten in der Philharmonie.“ Erst neben-, dann hauptamtlich als Präsident, als Intendant, in anderer Lesart als Nur-Geschäftsführer des JM-Weltorchesters konnte er über zehn Jahre mit angesehenen Dirigenten und Programmen dieses weltweit zusammengesetzte Jugendorchester in und außerhalb Europas, auch in den neuen Bundesländern, von Erfolg zu Erfolg führen. Ein Höhepunkt zum Beispiel das denkwürdiges Festkonzert zum 50. Staatsjubiläum in Israel. Dennoch wollte sich das JM-Office in Brüssel das Management für dieses Vorzeigeprojekt der JM nicht ganz entgleiten lassen und fand Kritik und Gründe für die Beendigung des Auftrages – von Albrecht Dümling in der nmz 10/99 kommentiert: „Ein kühner Lotse verlässt das Schiff“, vielleicht weil der Lotse Jenne zu erfolgreich, zu kühn waltete. Ihn ficht das heute nicht mehr an, aber er ist traurig über den Schatten, der sich über dieses nicht nur für ihn erfolgreiche Projekt legte.

Jenne war und ist ebenso Musiker wie Manager, Wissenschaftler und Analytiker kultureller, musikalischer und soziologischer Verknüpfungen. All sein Tun flankierte er zugleich publizistisch: Die nmz erinnert sich seines ersten Beitrages 1964: Spannend erzählte er von den musikalischen Sommercamps „drüben“ und lässt uns Amerikas „unbegrenzten Möglichkeiten“ für den musikalische Nachwuchs neidvoll erfahren. Gewichtig sind in der Folgezeit seine zahlreichen Beiträge in Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Kritisch kommentiert er die kulturpolitische, und musikpädagogische Szene, so kürzlich den KMK-Beschluss zur ästhetischen Bildung im Blickfeld („Zurück in die musische Steinzeit?“ in nmz 2/09). Die nmz grüßt und beglückwünscht den jetzt rührigen und rüstigen Siebzigjährigen, dessen weitere bildungspolitischen Reflektionen wir gerne erwarten.

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