Am Ende geht es ganz schnell, die lauten Proteste bleiben ohne Folgen: Am Dienstag hat das bayerische Kabinett die Pläne für einen Komplettumbau der Philharmonie im Kulturzentrum Gasteig in München gebilligt. Damit ist der Traum der Musikwelt von einem neuen, dritten Konzertsaal in der bayerischen Landeshauptstadt ausgeträumt - vorerst zumindest. Fragen und Antworten:
Warum fordern Musiker und Befürworter seit Jahren einen neuen Saal?
Zum einen wird die - als Mehrzwecksaal geplante - Philharmonie im Gasteig seit der Eröffnung 1985 wegen ihrer angeblich unbefriedigenden Akustik heftig kritisiert. Zum anderen wird argumentiert, dass das weltbekannte BR-Symphonieorchester, das seit Jahren zwischen der Philharmonie und dem Herkulessaal in der Residenz hin und her pendelt, endlich eine eigene Heimat brauche. Und nur mit einem dritten Saal - größenmäßig zwischen Herkulessaal und Philharmonie angesiedelt - gebe es auch dauerhaft adäquate Räume für die freie Musikszene und private Konzertveranstalter.
Das bayerische Kabinett hat entschieden. Ist die Sache damit endgültig klar?
Erst einmal ja. Die Philharmonie soll entkernt werden, in der alten Hülle soll ein neuer Saal mit Akustik «auf Weltniveau» entstehen, wie Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) es formulierte. Darauf hatte er sich vor kurzem mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verständigt. Es bleibt aber offenbar noch ein Notausgang: Bei einem Scheitern der Pläne an Details oder extrem hohen Kosten könne doch eine «alternative Option» infrage kommen, zitierten «Süddeutsche Zeitung» und «Münchner Merkur» aus einer Kabinettsvorlage: ein Neubau in der Nähe des Odeonsplatzes. Bayerns Staatskanzleichef Marcel Huber betonte aber, in der letzten Fassung des Papiers sei dies nicht enthalten gewesen.
Warum soll es zunächst keinen neuen, dritten Konzertsaal geben?
Seehofer und Reiter argumentieren, in den vergangenen Jahren seien zahlreiche Standorte geprüft worden - und wieder verworfen worden. Der Marstall? Offenbar zu klein für ein großes Orchester. Der alte Kongresssaal im Deutschen Museum? Dagegen hätten sich die Verantwortlichen des Museums gewehrt. Ein Neubau im Westen des sogenannten Finanzgartens in der Nähe des Odeonsplatzes? Eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe plädierte für dieses Areal. Doch dagegen legten Bürger und Naturschützer scharfen Protest ein.
Wie reagiert die Kulturszene auf die Absage an einen dritten Saal?
Mit lauter und scharfer Kritik. Die Weltklasse-Geigerin Anne-Sophie Mutter sprach von einer «katastrophalen Fehlentscheidung» und warf Seehofer ganz direkt Wortbruch vor - weil er lange einen neuen, dritten Saal versprochen habe. Der Bayerische Rundfunk und sein BR-Symphonieorchester reagierten «mit Entsetzen». Der Deutsche Musikrat nannte Seehofers und Reiters Pläne «die schlechteste aller denkbaren Lösungen». Befürchtet wird ein Gerangel zwischen BR-Orchester und Münchner Philharmonikern um die Belegungsrechte im Gasteig - und dass andere Künstler das Nachsehen haben. Befürchtet werden auch massive Einschränkungen während einer langen Umbauphase.
Wie rechtfertigen sich Seehofer und Reiter? Und was sagt die Politik?
Seehofer argumentiert, er habe nach jahrelang erfolgloser Debatte nun endlich eine Lösung präsentieren wollen. Die CSU hat er auf seiner Seite, Grüne und Freie Wähler in Bayern dafür frontal gegen sich. Die SPD ist gespalten.
Ist die Akustik im Gasteig wirklich so schlimm, wie stets behauptet wird? Und kann der geplante Komplettumbau da wirklich helfen?
Was die Frage der Akustik angeht, scheiden sich die Geister. Der legendäre US-Dirigent Leonard Bernstein wollte den Bau angeblich wegen dessen akustischer Mängel gleich abfackeln. Andere sagen, Probleme gebe es nur auf einigen Plätzen und bei Solistenkonzerten. Der renommierte Akustikexperte Karlheinz Müller dagegen nannte die Akustik in einem dpa-Interview «tolerant» - und die Kritik übertrieben. Über die aktuellen Pläne sagte er: «Akustisch würde man nicht viel gewinnen, wenn in die bestehende Außenhaut der Philharmonie nur ein neuer, kleinerer Saal implantiert würde.»
Wie viel kostet der Komplettumbau der Philharmonie im Gasteig?
Da ist dem Vernehmen nach von mehreren 100 Millionen Euro die Rede. Kritiker argumentieren, das Ganze könnte noch teurer werden, und dann könne man gleich einen dritten Saal bauen. Seehofer entgegnete daraufhin kürzlich, wohl auch mit dem Debakel beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie im Hinterkopf: Niemand wisse, wie teuer ein komplett neuer Saal würde. Außerdem stellt sich noch die Frage, ob der Saal auch ausgelastet wäre und wer für den Unterhalt aufkäme.
Christoph Trost
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Jansons sauer wegen Konzertsaal: «Wir wurden zum Narren gehalten»
München (dpa/lby) - Der Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters, Mariss Jansons, fühlt sich bei der Konzertsaal-Entscheidung von der Politik an der Nase herumgeführt. «Wir wurden zum Narren gehalten», sagte Jansons am Dienstagnachmittag in München. Die Politik habe zehn Jahre lang mit immer wieder neuen Ideen und Vorschlägen auf Zeit gespielt. Von der Entscheidung gegen einen eigenständigen dritten Konzertsaal sei er dann absolut überrascht gewesen. «Schockiert» habe ihn, dass die Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) nicht an dem entscheidenden Gespräch im München Rathaus teilnehmen konnten, sagte Jansons. Er kündigte an, zusammen mit dem Orchester weiter für einen neuen Saal zu kämpfen.
Ungeachtet der Kabinettsentscheidung gegen einen dritten Münchner Konzertsaal hält auch Jansons Chef, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, das Thema noch nicht für erledigt. In kaum einem anderen Bereich stehe München so unangefochten an der Weltspitze wie bei der Musik. «Jeder Generation politisch Handelnder muss daran liegen, dieses Erbe weiter zu pflegen», sagte Wilhelm am Dienstag in München. «Man sollte jetzt nicht viel Geld für eine bloße Stagnation oder allenfalls eine milde Verbesserung der bestehenden Verhältnisse ausgeben.»
Wilhelm appellierte an die Staatsregierung und die Stadt München, im öffentlichen wie privatkommerziellen Musikleben der Landeshauptstadt auf Wachstum zu setzen. Seit 60 Jahren stagniere die Sitzplatzkapazität, während die Einwohnerzahl stark angewachsen sei. Wilhelm warnte überdies davor, einen neuen Konzertsaal nur als Angelegenheit für eine kleine, betuchte Minderheit zu sehen. «Ein neuer Saal wird Strahlkraft für ganz Bayern entwickeln.»
Der private Konzertveranstalter Andreas Schessl sagte voraus, dass bei einer gleichberechtigten Doppelbelegung der umgebauten Philharmonie und des «ertüchtigten» Herkulessaales durch die beiden großen Münchner Konzertorchester andere große Orchester und namhafte Solisten aufgrund mangelnder Flexibilität bei der Terminplanung womöglich nicht mehr nach München kämen. «Da würde viel kaputt gehen», sagte Schessl. Der frühere Chef des Wiener Konzerthauses, Karsten Witt, nannte die derzeitige Raumsituation in München untragbar. «Es scheint zu klappen, ist aber tatsächlich ein unhaltbarer Zustand.» Witt hatte bereits ein Gutachten zu den Möglichkeiten einer Doppelbelegung vorgelegt.