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Ulrich Nicolai.
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Künstler mit Verwaltungserfahrung

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Der neue Vorsitzende des Tonkünstlerverbands Bayern e.V., Ulrich Nicolai, im nmz-Gespräch
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Ulrich Nicolai erhielt seine musikalische Ausbildung in Frankfurt/Main (Dirigieren bei Carl Maria Zwissler und Jiri Starek) sowie in Salzburg bei Carl Melles und Herbert von Karajan. Nach einem einjährigen Volontariat bei Michael Gielen an der Oper Frankfurt ging er 1978 für mehrere Jahre als Kapellmeister an das Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Weitere Stationen seiner Opernlaufbahn waren unter anderem Hannover, Wien (Volksoper), Wiesbaden und St. Gallen. Ulrich Nicolai ist der Ururgroßneffe des Komponisten und Dirigenten Otto Nicolai. 1994 folgte er einem Ruf der Hochschule für Musik und Theater München als künstlerischer Leiter des Hochschulsymphonieorchesters, das er bis zu seiner Emeritierung im September 2017 leitete. Von 1996 bis 2001 war Ulrich Nicolai Vizepräsident der Hochschule, von 2005 bis 2017 Studiendekan. Seit April 2017 ist er Vorsitzender des Tonkünstlerverband Bayern e.V. und unterhielt sich aus diesem Anlass mit nmz-Chefredakteur Andreas Kolb.

neue musikzeitung: Tempo angeben, Tempo halten, die Balance austarieren zwischen den Interessenslagen. Gibt es in Ihrem neuen „Job“ als Vorsitzender des DTKV Bayern eine Analogie zum Dirigieren?

Ulrich Nicolai: Eine Analogie eher zu meiner sonstigen Tätigkeit an der Hochschule. Ich war viele Jahre Vizepräsident und auch Studiendekan an der Münchner Musikhochschule. Da gab es manches zu schlichten zwischen Studierenden und Kollegen oder auch zwischen Kollegen untereinander.

nmz: Hat sich nach einem Jahr als Vorsitzender schon so etwas wie Routine eingestellt?

Nicolai: Gewisse Dinge brauchen Zeit. Dazu muss ich kurz ausholen: Als mich mein Vorgänger, Dr. Franzpeter Messmer, im Sommer 2016 ansprach, ob ich mir vorstellen könne, seine Nachfolge zu übernehmen, ging ich davon aus, dass ich 2017 emeritiert werde. Und hätte deshalb die erforderliche Zeit für das neue Ehrenamt. Es kam dann anders: Ich wurde zwar emeritiert, aber gleichzeitig gefragt, ob ich nicht doch noch ein Jahr verlängern könne, um bei einem Engpass auszuhelfen. So habe ich zum Beispiel kurzfristig das Schulmusiker-Orchester übernommen – zuerst mit einer gewissen Skepsis, dann aber mit Freude. Denn die Studierenden sind sehr engagiert und dankbar. Das Hochschulsymphonieorchester, das ich 23 Jahre betreut habe, leitet jetzt mein Nachfolger Marcus Bosch.

nmz: Sie konnten nicht so durchstarten, wie Sie wollten?

Nicolai: Andrea Fink als Leiterin der Geschäftsstelle hat mich großartig unterstützt und so ging es. Manche Versprechen, etwa Antrittsbesuche bei den Regionalverbänden, konnte ich allerdings noch nicht umsetzen. Aber vom 1. Oktober an ist die Hochschulstelle wieder besetzt und ich werde dann mehr Zeit für den DTKV Bayern haben. Ab dann möchte ich sukzessive Regionalverbände besuchen, wobei es nicht meine Absicht ist, diesen bei ihrer hervorragenden Arbeit dazwischen zu funken.

nmz: Schaut man in das DTKV-Buch der nmz, dann tauchen neben Ihnen als Autor neue auf, die sich mit Kolumnen vorstellen.

Nicolai: Ich fand es reizvoll, wenn sich Persönlichkeiten aus dem Kreis des Vorstands und der Geschäftsstelle zu ihren jeweiligen Themen äußern. Etwa Tizian Jost zu Jazzthemen, Eckhart Hermann als Fachmann für Lehrbeauftragte, Andrea Fink zum Thema Qualifizierung und zu Kursangeboten im DTKV Bayern oder Peter Näder als Popularmusikbeauftragter. Die Kolumnen möchte ich später teilweise durch Interviews ersetzen, in denen Hochschulleiter, Kulturpolitiker und Künstler, aber auch Fachleute aus Kulturmanagement oder Musikermedizin, zu Wort kommen. Ich denke dabei zum Beispiel an die Präsidenten der bayerischen Musikhochschulen oder Künstlerinnen und Künstler wie Julia Fischer, Arabella Steinbacher oder Daniel Müller-Schott, die übrigens während ihres Studiums alle bei mir im Orchester gespielt haben. Jemand aus dem Ministerium darf selbstverständlich auch nicht fehlen.

nmz: Für den DTKV Bayern ist es ein Gewinn, dass mit Ihnen ein Künstler an der Spitze steht…

Nicolai: Hoffentlich zumindest kein Nachteil ... Aus meinen Jahren in der Hochschulleitung habe ich zudem einige Verwaltungserfahrung, die mir zugute kommt. Und die Zusammenarbeit mit den zum Teil ebenfalls neuen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand klappt hervorragend. Ich muss allerdings klar sagen, dass die ganze ehrenamtliche Arbeit ohne Frau Fink und ihr Team in der Geschäftsstelle unmöglich wäre.

nmz: Wie sehr ringen denn im DTKV Bayern Tradition und Fortschritt miteinander?

Nicolai: Das ist eine zentrale Frage. Vor allem seit meiner Gastprofessur in Cincinnati/USA habe ich besonders zu schätzen gelernt, in unserem Land mit seiner gewachsenen Kultur zu leben und zu arbeiten – ein unglaublicher Schatz, den es zu bewahren gilt. Hier sehe ich eine zentrale Aufgabe unseres Verbandes, die Kultur in ihrer ganzen Breite zu vermitteln. Dabei ist mir die zeitgenössische Musik ein wichtiges Anliegen. Ich habe im Laufe meiner Berufsjahre etliche Uraufführungen, oft auch von Studierenden, dirigiert und  immer wieder gute Musik entdeckt. Meine Offenheit, Neues auszuprobieren, ist relativ hoch. Gut fände ich es auch, wenn mehr bayerische Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts gespielt würden, wie Franz Lachner oder Joseph Rheinberger.

nmz: Was steckt hinter der Idee eines bayerischen DTKV-Orchesters?

Nicolai: Für 2019 habe ich mir vorgenommen, gemeinsam mit den Regionalverbänden ein Kammerorchester zu bilden. Mit Konzerten wollen wir nicht nur das aktive Musizieren stärken, sondern vor allem auch den persönlichen Kontakt zu und zwischen den Regionalverbänden. Das könnte identitätsstiftend nach innen wirken und eine Botschaft nach außen sein.

nmz: Kennen Sie schon das erste Programm?

Nicolai: Ich würde gerne zumindest ein Werk eines bayerischen Komponisten planen, weiß aber noch nicht konkret, welche Orchesterbesetzung überhaupt möglich ist. Da sind wir gerade in der Planungsphase. Die Resonanz der Regionalverbände auf meine Orchesteridee war jedenfalls sehr positiv.

nmz: Was für weitere Pläne haben Sie im Sinne der Außenwirkung des DTKV?

Nicolai: Unser Beitrag zu „100 Jahre Freistaat Bayern“ wird je eine Veranstaltung in München und Würzburg sein – eine Verbindung von Musik und Gesprächen zum Thema „1918/2018“.  Ich freue mich sehr, dass Ingolf Turban, Markus Bellheim und  Franzpeter Messmer – mein Vorgänger im DTKV Bayern-Vorstand – ihre Teilnahme bereits zugesagt haben; das gleiche gilt für die Hochschulpräsidenten Bernd Redmann in München und Christoph Wünsch in Würzburg.

nmz: Der bayerische Tonkünstlerverband ist der mitgliederstärkste Landesverband des DTKV. Ein Selbstläufer?

Nicolai: Was neue Mitgliederakquise angeht, setzt der Verband natürlich auch auf die Tatsache, dass ich aus dem Hochschulbereich komme. Das Echo aus der Hochschule, von Studierenden, Ehemaligen und Kollegen, ist jedenfalls messbar und positiv. Derzeit bin ich noch Mitglied im Vorstand des Regionalverbandes der Tonkünstler München, wo ich aber zurücktreten werde, um eventuelle Interessenskonflikte zu vermeiden. Ich fühle mich jetzt zuständig für alle Tonkünstler in Bayern.

nmz: Welche Themen wollen Sie in welcher Reihenfolge angehen? Wo sehen Sie vorrangige Aufgaben für den Landesverband?

Nicolai: Das Thema Lehrbeauftragte ist mir sehr wichtig – gerade aufgrund meiner Hochschulerfahrung. Dann das Thema der privaten Musiklehrer. Hier komme ich allerdings von außen und bin noch dabei, mich in die Thematik einzuarbeiten. Derzeit machen wir eine Honorarumfrage bei freiberuflichen Musikpädagogen in Bayern. Gerade die Fragen aus dem sozialen Bereich sind ein wesentlicher Grund für mich gewesen, diese Position zu übernehmen. Die soziale Situation freiberuflicher Künstler ist teilweise prekär, sich da zu engagieren, ist eine Kernaufgabe des DTKV.

Nicht zuletzt in Anbetracht meiner langjährigen Tätigkeit als Hochschullehrer beschäftigt mich auch die Frage, inwieweit an den Musikhochschulen berufsorientiert ausgebildet wird. Es ist ein heikles Thema, aber ich glaube, dass die Ausbildung in Teilen an der Wirklichkeit vorbeigeht. Deutschland ist einerseits immer noch das Paradies für Musiker, was die Zahl der Orchester und Theater angeht. Die Konkurrenz auf dem Markt ist aber längst eine weltweite. Gerade in künstlerischen Berufen ist es einerseits wichtig, dass die Jugend ihre Träume hat, auch wenn sie zum Teil unrealistisch sein mögen. Andererseits ist eine möglichst umfassende Information über den Berufsweg vonnöten. Hier bietet der Verband viele Angebote und konkrete Beratung, die für die  Musikerlaufbahn hilfreich sein können, zum Beispiel auch aus den Bereichen Vertragsrecht oder Musikermedizin.

nmz: Damit sind wir bei den kulturpolitischen Rahmenbedingungen. Wie wird der DTKV Bayern von der Politik und den Ministerien wahrgenommen?

Nicolai: Die Kontakte ins Ministerium sind ausgesprochen positiv. Als Vizepräsident der Münchner Musikhochschule hatte ich ja bereits mit dem Ministerium zu tun, damals vor allem mit Dr. Dirk Hewig.  Jetzt ist Ministerialrat Herbert Hillig unser Ansprechpartner; über seine Aufgeschlossenheit gegenüber unseren Themen kann ich nur das Beste sagen. Ansonsten arbeiten wir auch mit Dr. Thomas Goppel, dem Präsidenten des Bayerischen Musikrats, eng zusammen.

nmz: In diesem Unruhestand, der Ihnen da bevorsteht, bleibt nicht mehr viel Zeit fürs Dirigieren oder gar für Hobbies?

Nicolai: Was das Dirigieren angeht, genieße ich meine neugewonnene Freiheit. Ich kann mir aussuchen, was ich machen möchte; das ist ein sehr angenehmer Zustand. Ansonsten konzentriere ich mich auch wieder mehr aufs Klavierspielen, das in den letzten Jahren etwas zu kurz kam. Da ich zunächst Naturwissenschaften studiert habe, lebe ich jetzt auch diese Seite wieder etwas stärker aus, unter anderem mit diversen Elektronik-Basteleien. In der Rückschau empfinde ich mein Mathematik- und Physikstudium als lehrreiche Zeit, weniger fachlich als für meine persönliche Entwicklung. Aber selbst wenn ich in Physik den Nobelpreis bekommen hätte (lacht), hätte ich mich sicher mein Leben lang gefragt: „Warum hast du nicht Musik gemacht?“ In diesem Sinne habe ich die Entscheidung zum Wechsel nie bereut. 

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