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Kultur auf Sendung im Dreiländereck

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Ein Bericht aus der Musikabteilung des Saarländischen Rundfunks
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Der Saarländische Rundfunk gehört zu den kleinsten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland. Dennoch leistet er sich seit einigen Jahren eine eigene Kulturwelle. Das SR 2 KulturRadio. Sein noch geringes Alter und die besonderen sozialen wie geographischen Voraussetzungen des Saarlandes geben ihm ein ganz eigenes Gepräge. In einem Gespräch mit Friedrich Spangemacher, Leiter der Abteilung E-Musik, informierte sich die nmz über Geschichte, Struktur und Ziele des Saarbrücker Senders. Die Zeiten, da die StudiowelleSR 2 einen großen Teil ihres Programms von anderenRundfunkanstalten der ARD übernahm, liegen noch nicht lange zurück. Erst Anfang 1995 entschloß sich der Saarländische Rundfunk mit SR 2 KulturRadio zu einem komplett eigengestalteten Kultursender. In der spannenden Entstehungsphase des benötigten neuen Konzepts orientierte man sich nicht unwesentlich am Publikum: Mehrere Untersuchungen hatten ergeben, daß auch Kultursender in der Regel nicht gezielt und nur für jeweils kurze Zeiten gehört werden. Erschwerend kommt für das Saarland als traditionellem Arbeitergebiet hinzu, daß die kulturinteressierte Schicht im Vergleich zum Bundesdurchschnitt noch etwas kleiner ist. Außerdem führt die extreme Grenzlage des Landes zu einer verschärften Konkurrenzsituation mit deutschen, französischen und luxemburgischen Kultursendern, denen gegenüber SR 2 ein eigenes Profil bewahren sollte. „Daher schauten wir“, erzählt Friedrich Spangemacher, „mit welchen Programmen die Welle bisher eine feste, große Stammhörerschaft erreicht hatte.“ Aus diesen Erfahrungen ergab sich als neue Senderstruktur das sogenannte Trichterprinzip: „Wir sprechen eine sehr breite Bevölkerung am Morgen an und werden spezieller, je tiefer wir in den Abend steigen. Im Tagesverlauf wollen wir also sehr viele Leute erreichen mit klassischer Musik und einem offenen Programm, das sich am Abend verdichtet mit speziellen Angeboten für ein Publikum, das Minoritäten bildet.“ Zu hören sind abends etwa Neue Musik, Experimenteller Jazz, Literatursendungen, Features oder Hörspiele. Die Orientierung am Einschaltverhalten des Publikums bringt es mit sich, daß Wort-Musik-Sendungen auf SR 2 so gut wie ausgestorben sind. Die Philosophie in Saarbrücken ist anders: „Wir versuchen, eine viel größere Form zu schaffen. Hier ist nicht so sehr die einzelne Sendung von Belang als vielmehr die Tagesfläche, die nach ganz bestimmten Gesichtspunkten gestaltet ist und wo Wort und Musik sich abwechseln und miteinander in Beziehung gebracht werden. Die Moderatoren reichen sozusagen die Stafette weiter und verabschieden sich nicht an einem Punkt.“ Trotzdem bringt das KulturRadio auch thematische Sendungen wie „AprèsMidi“, die jeden Tag von 15.30 bis 17.30 Uhr bestimmte Komponisten, Interpreten, Regionen, Epochen oder andere Motive porträtiert. „Im Unterschied zu früher sitzen die jeweiligen Redakteure aber live am Mikrofon und partizipieren an einem bestimmten Programmumfeld“, betont der Abteilungsleiter. Sehr wichtig ist ihm das Resultat dieser Neuerung: Die Sprache wirkt weniger intellektuell, denn die Moderatoren stehen sozusagen in einem imaginären Dialog mit den Hörern. Oratur statt Geschriebenem, lautet das Motto. Das neue Konzept ist natürlich nicht ohne Gegenstimmen geblieben. Kritiker auf allen Ebenen werfen ihm vor, daß es nunmehr Klassik in Häppchen statt ganzer Konzerte präsentiere und die Moderation oft nicht ernst genug sei. Doch der Abteilungsleiter ist überzeugt, daß die Hemmschwelle für klassische Musik herabgesetzt werden muß, um eine neue Hörerschicht zu gewinnen. Immer wieder betont er die guten Kontakte zum Publikum. Rege Aktivität geht auch sonst vom Saarbrücker Halberg aus. Seit 28 Jahren richtet der Saarländische Rundfunk zu Christi Himmelfahrt das Festival „Musik im 20. Jahrhundert“ aus; darüber hinaus wird auf regionale Musikberichterstattung und die Kontakte zur Musikhochschule des Saarlandes großen Wert gelegt. Eine enge Kooperation gibt es nicht nur mit den anderen Rundfunkanstalten der ARD, sondern vor allem mit France Musique, dem lothringischen Sender Radio France Lorraine sowie dem Luxemburger soziokulturellen Radio 100,7. „Die Nähe zu Frankreich ist ungeheuer wichtig.“ Nicht zufällig ist der SR federführend in der Zusammenarbeit von ARD und Radio France. Die Verknüpfüng von SR 2 und Rundfunk-Sinfonie-Orchester Saarbrücken, das in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, bezeichnet der Abteilungsleiter als schlichtweg unauflösbar. Mit seinem umfangreichen Archiv historischer Aufnahmen, den ständigen aktuellen Einspielungen sowie live-Konzerten liefert das Orchester quasi die Basis der Programmarbeit. In dem langen, schmalen Flur der Abteilung E-Musik finden sich zahlreiche Ressortschilder an den Türen. Doch das veränderte Programmkonzept ist auch an der personellen Struktur des Senders nicht spurlos vorübergegangen. Die sechs Musikredakteure und eine Reihe „fester“ freier Mitarbeiter müssen auf verschiedenen Bereichen gleichzeitig arbeiten, um die Programme flexibel zu halten. „Natürlich lassen sich in bestimmten Bereichen Ressorts nicht vermeiden, da eine gewisse Erfahrung und Repertoirekenntnis nötig ist“, sagt der Abteilungsleiter, „aber bei uns machen alle alles.“ Auffälligste Folge der Umgestaltung 1995 ist wohl die sogenannte „Computerunterstützte Individuelle Musikgestaltung“. Weil die Finanzen eines kleinen Senders ohnehin limitiert sind, mußte SR 2 KulturRadio mit den gleichen Mitteln auskommen wie die vorher kooperierte Studiowelle. Wegen des beträchtlich erweiterten Arbeitsumfangs sah man da nur einen Ausweg: die Hilfe des Computers. „Was wir hier im Hause entwickelt haben, ist im Grunde ein automatisiertes Karteikartensystem. Wir haben im Augenblick 5000 Titel für drei Sendungen als Basis, und der Computer schlägt für jede Position einer Sendung 20 Titel vor. Aus diesen sucht der Programmgestalter einen aus, oder er recherchiert, wenn ihm die Vorschläge überhaupt nicht passen, im übrigen Computerbereich.“ Der Computer, dessen Repertoire laufend erweitert wird, macht außerdem Doublettenkontrollen und sorgt für passende Tonartenanschlüsse, wo Musikstücke direkt aufeinander folgen. Diese Lösung, gibt Spangemacher zu, rief zunächst Ängste hervor; doch hat sich gezeigt, daß die Individualität der betroffenen Sendungen nicht verloren geht. Allerdings wird ein in Ansätzen formatiertes Programm vorausgesetzt, da der Computer wissen muß, welche Art von Musik auf den einzelnen Sendepositionen gewünscht wird. Nicht zuletzt das verhalf dem Sender aber gerade in der Anfangszeit zu einem charakteristischen, von den Hörern zu identifizierenden Profil. Umfangreiche Jinglearbeit unterstützte zusätzlich das Image von SR 2 KulturRadio – denn die Kultur, so Spangemacher, tritt im Radio viel zu oft auf leisen Sohlen auf. „In Zeiten, wo über Programme und Existenzen von Kultursendern diskutiert wird, muß man sich eine Stimme verschaffen.“

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