Wenn man in einem gedrängten Tagesplan nur eine Stunde hat für den großen Wettbewerb von “Jugend musiziert“, dann überlegt man natürlich, wie man dahin geraten ist. Ich selber habe früher im Schulorchester Geige gespielt. Ich habe mich auch am Cello versucht, aber bis zu diesem Wettbewerb wäre ich nie gekommen. Da musste ich schon Bundespräsident werden, um hier Einlass zu finden.
In den 37 Jahren seines Bestehens entfaltete der Wettbewerb “Jugend musiziert“ eine ungeheure Breitenwirkung. Den Teilnehmern und Preisträgern gratulierte Bundespräsident Johannes Rau am 15. Juni beim Ab- schlusskonzert des 37. Bundeswettbewerbs “Jugend musiziert“ in Berlin. Die neue musikzeitung druckt seine Rede, in der Rau die kulturpolitische Bedeutung der musikalischen Bildung für die bundesdeutsche Gesellschaft in den Mittelpunkt stellte. Wenn man in einem gedrängten Tagesplan nur eine Stunde hat für den großen Wettbewerb von “Jugend musiziert“, dann überlegt man natürlich, wie man dahin geraten ist. Ich selber habe früher im Schulorchester Geige gespielt. Ich habe mich auch am Cello versucht, aber bis zu diesem Wettbewerb wäre ich nie gekommen. Da musste ich schon Bundespräsident werden, um hier Einlass zu finden. Das ist ja auch kein Wunder, wenn man das hört und wahrnimmt, was wir soeben gehört und wahrgenommen haben. Die Gitarre habe ich nur noch von draußen mitbekommen, aber dann das virtuose Trompetenspiel und die Ensembleleistung der Schlagzeuger, das war beeindruckend.Da ist man dann näher bei Nietzsche als bei Kant. Friedrich Nietzsche hat ja einmal gesagt: „Ein Leben ohne Musik ist ein Irrtum.“ Immanuel Kant soll gesagt haben, Musik sei ein unnützes Geräusch. Wir sind hier als Menschen, die spüren und erleben, dass Musik unser Leben reicher macht.
Wir reden seit Jahren – ich auch – über die Verstärkung des naturwissenschaftlichen und technischen Unterrichts; über die Tatsache, dass wir mehr Ingenieure brauchen, mehr Computerfachleute. Das ist alles richtig. Nur: Wer das auf Kosten der musischen Fächer macht, der begeht einen ganz großen Irrtum. Darum liegt mir daran, deutlich zu machen und das auch nach außen zu sagen: Kunst und Kultur sind nicht wie Sahne auf dem Kuchen, die man dazunimmt, wenn es einem gut geht, sondern sie sind die Hefe im Teig. Wer diese Hefe nicht in den Teig tut, der bekommt Steine statt Brot. Das führte zu einem Leben, das stromlinienförmig wäre, schleiflackpoliert, wunderschön. Aber es wäre ein Leben ohne Gefühl, ohne den Reichtum des Gefühls, auch ohne die Erprobung der eigenen Leistung. Das ist ja immer wieder das Erlebnis, jedenfalls des Konzertbesuchers, dass er da Menschen sieht, bei denen er den Eindruck hat, dass alles, was sie tun, leicht von der Hand gehe, gleichsam spielerisch sei.
In Wirklichkeit weiß er und wissen die 1.400 Teilnehmer dieses Jugendwettbewerbs: Es ist harte Arbeit. Es ist ein Sich-immer-wieder-auf-die-Probe- Stellen, nicht nur, was die Energie und die Geduld angeht, nicht nur, was die gelegentlichen Rückschläge angeht, sondern auch, was diese Auseinandersetzung mit dem Werk, mit dem musikalischen, mit dem künstlerischen Werk angeht.
Wir sind reich durch eine Musikgeschichte, die längst nicht nur deutsche Musik, die längst europäische und weltweite Musikgeschichte ist. Auch das erfahren wir aus der Liste der Komponisten, die wir hier bei diesem Wettbewerb hören. Vieles ist fremd, fremd jedenfalls für Ältere, da braucht man einige Zeit, bis man sich hineinfindet, hineinhört.
Dann kehrt man gelegentlich zurück zu den Quellen, die man selber für die entscheidenden hält. Da muss man in diesem Jahr und in diesem Haus Johann Sebastian Bach nennen, an dessen 250. Todestag wir in diesem Jahr am 28. Juli denken. Er war 27 Jahre lang Kantor in der Thomaskirche in Leipzig. Das hieß, dass es 27 Jahre lang jeden Sonntag eine Uraufführung gab. Wer das Werk Bachs in diesem Jahr auf sich wirken lässt, das geistliche wie das weltliche, der weiß, dass man dieses Werk auch in einem langen Leben nicht völlig erfassen kann.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die nicht nur nach der Karriere greift, die nicht nur fragt, mit wem kann ich fusionieren, wo ist die nächste Globalisierungschance, sondern: „Was gibt meinem persönlichen Leben Wert und Gehalt?“, und die dabei entdeckt, dass Musik kein unnützes Geräusch ist, sondern die einzige Sprache, die ohne Übersetzung international ist, die darum die einzige Sprache der Völkerverständigung ist und die nur dann eine Chance hat, wenn wir sie nicht nur mit den technischen Mitteln wahrnehmen, die uns heute zu Gebote stehen wie CDs und Internet – die es zum Glück auch gibt.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es Menschen gibt, die sich selber in einer Begegnung mit dem musikalischen Werk prüfen, im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit, aber auch im Hinblick auf ihre Wahrnehmungsmöglichkeit. Martin Luther hat gesagt, wer sich Musik erschließe, habe ein himmlisches Werk vollbracht, und er meinte, die Musik komme von den Engeln.
Das mag ein wenig übertrieben sein, aber es stimmt wohl, dass unsere Welt sich ausweitet, wenn wir Musik und Kunst wahrnehmen und die Begegnung mit ihnen tief ist. Ich wünsche mir noch mehr junge Menschen, die zu diesem Risiko bereit sind, die sich selber auf die Probe stellen, die sich selber messen am Werk großer Meister und die dadurch unsere Gesellschaft menschlicher machen.
Das ist mein Wunsch, und weil das mein Wunsch ist, darum muss ich denen danken, die da mittun: den Sparkassen, der Stiftung Musik, den vielen, die diese große Bewegung von “Jugend musiziert“ überhaupt erst ermöglichen. Denn was da an ehrenamtlicher Kraft und an zusätzlicher Leistung anfällt, das kann man kaum ermessen. Darum möchte ich allen danken, die dabei mittun.
Ich wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieses Wettbewerbs, dass es nach diesem Abschlusskonzert weitergeht mit der Erprobung der eigenen Stärke und der eigenen Ausdruckskraft, mit der Erprobung an den Werken großer Meister.