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Gernot Rehrl. Foto: Matthias Heyde
Gernot Rehrl. Foto: Matthias Heyde
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„Kunst funktioniert ohne Geld nicht“

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Ein Gespräch mit Gernot Rehrl, dem künftigen Intendanten der Stuttgarter Bachakademie
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Es ist wohl eher selten, dass ein Orchestermanager selbst aus der Musikerpraxis kommt. Gerade diese Erfahrung macht einen beachtlichen Teil des Erfolgs von Gernot Rehrl (geb. 1955) aus. Der Bamberger hatte ursprünglich in Würzburg Violine und Dirigieren studiert. Nach Anfängen im Orchester wechselte er nach Wien ins Management, war dann bei den Münchner Philharmonikern tätig, beim Windsbacher Knabenchor und anschließend verantwortlich für Chor und Rundfunkorchester des BR. 2006 stemmte Rehrl noch im Auftrag des Bayerischen Minis­terpräsidenten den Auftritt der drei Münchner Spitzenorchester im Olympiastadion zur Eröffnung der Fußball-WM 2006 und wechselte nach Berlin. Als Intendant der ROC (Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin) war er zuständig für vier international renommierte Klangkörper: Deutsches Symphonieorchester Berlin, Rundfunksinfonieorchester Berlin, Berliner Rundfunkchor und Rias Kammerchor. Ab 1. März 2013 tritt Gernot Rehrl den Posten des Intendanten der Internationalen Bachakademie Stuttgart an. Dieser stete Karriereaufstieg wurde zunehmend von kulturpolitischen Turbulenzen und gesellschaftlichen Wandlungen beeinflusst. Für die nmz sprach Reinhard Palmer mit Gernot Rehrl über die erschwerten Bedingungen der letzten Jahre und über neue Aufgaben in seinem Metier.

neue musikzeitung: Kreative Ideen, neue Formate, positive Bilanzen und schließlich der Rotstift von oben: Wie oft haben Sie das schon erlebt?

Gernot Rehrl: Zwei Mal. 2004 der Versuch der Auflösung des Rundfunkorchesters in München. Dann 2009 in Berlin, als die Gesellschafter diskutierten, eine Fusion meiner beiden Orchester vorzunehmen. Diese Überlegungen kamen aber nicht zur Umsetzung. Es sind allerdings keine Einzelfälle mehr. Da gibt es Beispiele von Bonn und Köln über Düsseldorf und Duisburg bis nach Stuttgart beim SWR – auch wenn ich dort davon nicht direkt betroffen bin. Überall werden Fusionen diskutiert beziehungsweise zur Entscheidung gebracht. Was mich daran ärgert, ist, dass die möglichen Einsparungsszenarien in den jeweiligen Gesamthaushalten Summen ergeben, die überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Ich habe kein Problem damit, wenn man sich objektiv mit unserem dichten Netz an Kulturinstitutionen auseinandersetzt, um das wir im Übrigen aus internationaler Sicht sehr beneidet werden. Braucht man so viele Einrichtungen? Haben wir noch das Publikum in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft? Diesen Diskussionen muss man sich ernsthaft stellen. Aber sie werden häufig voreilig geführt, vor allem nicht zu Ende gedacht. 

nmz: Der Chor des Bayerischen Rundfunks gehört selbst im internationalen Vergleich zu den besten, das Rundfunkorchester konnte trotz Sparmaßnahmen seine Position in München behaupten. Haben Sie es bereut, dort 2005 gegangen zu sein?

Rehrl: Nein, überhaupt nicht. Auch wenn ich mir den Abgang anders gewünscht hätte. Aber was da passiert ist, will ich als Verletzung verstanden wissen: Das Orchester ist in seiner Psyche und seinem Organismus erschüttert, nachdem das Auflösungs­szenario wochenlang durch die Medien ging, in der Öffentlichkeit für gehörig Diskussionen sorgte und schließlich doch zu einer Reduzierung von Personalstellen und Etat führte. Danach war dieses Orchester nicht mehr dasselbe. Insofern war da für mich kein Platz mehr.

nmz: Ähnlich wie in München haben Sie auch als Intendant der ROC in Berlin neue Konzertformate und Aktivitäten eingeführt. Welche Bilanz ziehen Sie?

Rehrl: Die Intendanz der ROC beschränkte sich zunehmend auf zwei Felder: Budgetmanagement und Politik. Das künstlerische, gestalterische Element trat zunehmend in den Hintergrund. Am Anfang habe ich noch Richtlinienkompetenz für mich in Anspruch genommen. Das ist insofern gelungen, als dass wir im Bereich Migration einiges erreichen konnten. Das Thema steht im Allgemeinen noch zu wenig im Fokus der Kulturmacher, auch bei den Orchestern. Schließlich wissen wir ja längst in welchen Relationen die Mitbürger mit Migrationshintergrund in den unterschiedlichsten Städten unserer Republik zur Gesamtbevölkerung stehen. Nehmen wir als Beispiel Stuttgart: Dort leben alleine über 400.000 Türken in Stadt und Umland – durch die dort ansässige Wirtschaft und deren Arbeitsplätze. Da sollte von unserer Seite her mehr passieren.

Berliner Bilanz

nmz: Ist das entsprechende Angebot in Berlin angenommen worden?

Rehrl: Mehr von den ausländischen Mitbürgern als von den deutschen. Aber das sind alles langwierige Prozesse. Da muss man Zeit und Geld investieren, zudem einen langen Atem haben. Es sind auch die richtigen Formate zu finden, die beide Kreise ansprechen. Ich bin diesbezüglich unter anderem im Austausch mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Frau Staatsministerin Maria Böhmer. Auch sie stellt fest, dass das Thema in der deutschen Gesellschaft angekommen ist. Es gilt jetzt, die entstandenen Ghettos in den Städten aufzulösen. Und was für ein besseres Instrument kann es dafür geben als die Musik?

nmz: Der neue Intendant des Hauptgesellschafters in Berlin, Deutschlandradio, Dr. Willi Steul, führte zur Rechtfertigung der Einsparungspläne existentielle Gründe an. Können Sie diese Einschätzung nachvollziehen?

Rehrl: Ich kann sie nur bedingt teilen. Es war 1993 letztendlich der politische Wille der damaligen Zeit, diese vier Ensembles, zwei aus dem Osten und zwei aus dem Westen, in eine GmbH zu überführen. Das hat sich jetzt 18 Jahre gehalten. Den einheitlichen politischen Willen, diese Orchester aufzulösen, habe ich so nicht vernommen. Es ging um langfristige personelle Reduzierungen ohne betriebsbedingte Kündigungen.

nmz: Die Fusionspläne sind auch etwas unglücklich publik gemacht worden.

Rehrl: Das war ein PR-Desaster erster Ordnung. Ein Vorgang, der an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten war, als aus Anlass des 15-jährigen Bestehens der ROC eine kammermusikalische Auswahl der Orchester und Chöre im Dezember 2009 beim damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zu einer Matinee eingeladen war. Einen Tag zuvor erfolgte die Bekanntmachung der Orchesterfusion in Medien und Öffentlichkeit. Obwohl ich im Vorfeld gewarnt hatte und mich dagegenstellte, war ich dann derjenige, der dem Bundespräsidenten alleine Rede und Antwort stehen musste. Die Verantwortlichen, die das entschieden haben wollten, waren nicht zugegen! So, wie man das anging, musste es schiefgehen. 

nmz: Ist es dem Management gelungen, nachhaltig die Auflösung der ROC abzuwehren? Was passiert, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind?

Rehrl: Das liegt nicht mehr in meiner Verantwortung. Ich habe dafür Sorge getragen, dass die finanziellen Mittel auch bei einer Reduzierung, die ab der neuen Gebührenperiode durch das Deutschlandradio wohl vorgenommen werden wird, in die nächsten Jahre hinein reichen. Aber es gibt einen Zeitpunkt X, zu dem die Gelder durch die allgemein bekannten Kosten- und Tarifsteigerungen aufgebraucht sein werden. Da ist die ROC aber noch einiges davon entfernt.

nmz: Sie verließen Berlin in einer angespannten Situation und starten in Stuttgart bei der Internationalen Bachakademie in ähnlich stürmischer Atmosphäre. Ist dies symptomatisch für den heutigen Musikbetrieb?

Rehrl: Es ist durchaus nicht so ungewöhnlich, dass in Institutionen Übergangsszenarien von der einen Leitung in die andere Sturm hervorrufen. Jede Situation muss man aber gesondert betrachten. So auch in Stuttgart. Hier geht es um ein Lebenswerk, das von Helmuth Rilling, unterstützt von weiteren am Erfolg beteiligten Persönlichkeiten, vollbracht wurde. Helmuth Rilling ist der Spiritus Rector. Von daher gesehen ist hier im Umgang mit dieser Situation eine naturgemäß hohe Sensibilität – auch im zwischenmenschlichen Bereich – erforderlich. Aber ich bin letztendlich für die Zukunft einbestellt, will und kann daher die vergangenen Prozesse nicht bewerten.

Stuttgarter Perspektiven

nmz: Nachdem Helmuth Rilling angekündigt hatte, seine Führungsposition zum 80. Geburtstag zu verlassen, sind Sie und Hans-Christoph Rademann ohne Abstimmung mit dem Akademiegründer auf die Spitze des Unternehmens berufen worden. Aus Verärgerung über die Vorgehensweise ist Rilling vorzeitig zurückgetreten. Es soll und kann aber nicht ohne ihn weiter gehen. Wie wollen Sie aus diesem Dilemma herauskommen?

Rehrl: Aus so einem Dilemma kommen Sie nur, wenn Sie möglichst intensiv eine hohe und gute Form der Kommunikation pflegen. Ich bin seit April mit einem Beratervertrag dort schon tätig, um die Planungen für die nächsten Spielzeiten anzugehen. Die Dinge haben sich mittlerweile sortiert. Wir versuchen, aus dieser Situation das Beste zu machen. Helmuth Rilling betont stets, dass es in allererste Linie um die möglichst hochqualifizierte, effiziente Weiterführung dieser Institution geht. Und Sie muss weitergeführt werden nach den Maßgaben der heutigen Zeit. Der Anspruch einer Akademie ist heute ein anderer als bei der Gründung. Damals war Deutschland noch ein geteiltes Land. Da gab es den Bach-Hort Leipzig und das westliche Pendant Stuttgart. Diese Polarisierung fällt heute weg. Wir müssen uns unter diesem Blickpunkt entsprechend Gedanken machen, wie wir das Thema Akademie weiterführen wollen. Wir wollen uns mit der Marke Bach, die weltweit einzigartig ist, kreativ auseinandersetzen. Mit den kreativen Gestaltungsmöglichkeiten und den künstlerischen Vorgaben bin ich auch dort wieder angekommen, wo ich ursprünglich herkam: Kultur zu gestalten, Profile zu schaffen und Angebote zu machen, die zeitgemäß sind, die vor allen Dingen auch an eine neue Generation zu richten sind. Nebenbei sei auch das Missverständnis aufgeklärt, dass Helmut Rilling die Leitung der Akademie niedergelegt hat, nicht aber die künstlerische. Das soll wie geplant im Mai 2013 aus Anlass seines 80. Geburtstags erfolgen.

nmz: Bisher waren die Inhalte der Bachakademie im Wesentlichen und auf kongeniale Weise von Helmut Rilling geprägt worden. Als künstlerischer Leiter ist an die Seite Ihrer Intendanz Hans-Christoph Rademann berufen worden. Sie haben bereits mit ihm zusammengearbeitet, seitdem er Chefdirigent des RIAS Kammerchores geworden war. Haben Sie die Rollenteilung bereits ausdiskutiert?

Rehrl: In meiner Berliner Zeit habe ich viel hinzugelernt. Das eine auch: Verträge sind dann gut, wenn man sie später nie braucht. Verträge müssen so abgeschlossen sein, dass sie für die entsprechenden Rahmenbedingungen passgerecht formuliert und unterschrieben sind. Und in diesen Verträgen steht klar zu lesen, was jeder zu tun hat: Bei mir liegt die Budget-Verantwortung sowie die künstlerische Mitsprache und bei Hans-Christoph Rademann die künstlerische Leitung, die im Vertrag mit der Formulierung „Akademieleiter“ benannt ist. Er ist derjenige, der die Geschicke der Internationalen Bachakademie bestimmt. Ich habe die Sorge zu tragen, dass wir budgetär, von der Vermarktung, von allen äußeren Rahmenbedingungen her die Richtung einhalten. Kunst funktioniert ohne Geld nicht, so dass diese Brücke ständig von beiden Seiten begangen werden muss. Insofern ergibt sich ein gewisser Automatismus der Mitgestaltung auf beiden Seiten. Wir kooperieren sehr eng miteinander, jeder bringt seine Erfahrungen und sein Netzwerk ein. Ich schätze Rademann als einen Chorspezialisten, der international einer der Besten ist. Er ist der ideale Nachfolger von Helmuth Rilling.

nmz: Sie verstehen Ihre Rolle als Intendant im Sinne eines kreativen Ideengebers und Motivators. Gibt es schon Wunschvorstellungen, die Sie gerne in Stuttgart umsetzen möchten?

Rehrl: Die Vorstellungen sind immer in Einklang zu bringen. Ich kenne Stuttgart und auch die dortige Kulturlandschaft wenig. Hier muss ich mich erst einmal darauf einlassen, beobachten und zuhören. Letzteres auch gegenüber den hochmotivierten Mitarbeitern. Sie stehen für ihre Einrichtung, was ich als ein hohes Gut empfinde. Davon ausgehend sind wir im Moment mitten in den Planungen für 2013/14 und 2014/15. Das Musikfest, was ja auch zu den sehr reizvollen Aufgaben gehört, steht für 2013 weitestgehend. Da wird es Änderungen geben. Wir haben konkrete Vorstellungen, wie wir das angehen wollen. Auch beim Thema der internationalen Darstellung, also der Tournee- und Gastspieltätigkeit der beiden Ensembles, der Gächinger Kantorei und des Bachkollegiums. Der dritte Punkt ist das bereits erwähnte Thema Migration. Darüber hinaus gibt es das weite Feld der historischen Aufführungspraxis, gekoppelt an Bach. Auf der anderen Seite die zeitgenössische geistliche Musik mit einem intensiven theologischen Bezug, inklusive der geistlichen Musik des 20. Jahrhunderts. Wir sind in diesem Zusammenhang intensiv im Gespräch mit dem SWR und seinem Symphonieorchester in Stuttgart.

nmz: Bleiben wir noch bei der zeitgenössischen Musik.

Rehrl: Uraufführungen, Auftragswerke: Das ist ein ganz wichtiges Feld, das wir mit einbauen wollen. Dazu die A-cappella-Kultur im Allgemeinen. Wir wollen sie im Musikfest 2013 als einen der Schwerpunkte setzen. Es gibt phantastische Formationen und A-cappella-Gruppierungen, besonders in England, Frankreich und Skandinavien. Daran wollen und müssen wir uns auch mit dem eigenen Ensemble messen lassen.

nmz: Die budgetäre Problematik stellt sich mit den vielen Sponsoren und Mäzenen der Bachakademie ganz anders dar, als Sie in Ihrer Laufbahn bisher erlebt haben.

Rehrl: Das war mit ein Grund, warum ich mir das Angebot aus Stuttgart besonders gut überlegt habe. In Berlin ist es ganz schwierig, Sponsorengelder zu akquirieren. Weil sich in der Peripherie und in der Stadt selbst kaum Industrie angesiedelt hat. Das sieht in Stuttgart anders aus. Es gibt viele, die dieser Institution zugeneigt sind – mit Wort und Tat. Das muss man pflegen. Helmut Rilling war selbst ein gro­ßer Akquisiteur. Es werden auf Hans Christoph Rademann und mich auch hier große Herausforderungen zukommen. Aber ich finde das Feld an sich, mit der Wirtschaft zu kooperieren, passgenaue Angebote zu machen, höchst spannend. Es gibt zudem eine öffentliche Förderung vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart: Auch hier muss es gelingen, für höhere Zuschüsse zu werben. Des Weiteren gibt es die Eigeneinnahmen, die wir halten und wenn möglich steigern wollen. Zusammen mit dem Faktor der Spenden und Sponsoren sind es somit drei Komponenten, mit denen umzugehen, mich sehr, sehr motiviert. 

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