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Geißler:„Laut gedacht" heißt unser Ausgangspunkt. Es geht um den Deutschen Musikrat, es geht um den Zustand des Deutschen Musikrats, und der ist zur Zeit ja ein wenig bedenklich. Das fängt schon im personellen Bereich an, wie ist denn da der aktuelle Stand?
Bernbacher:
Nicht erst durch den Weggang von Frau Dr. Wartenberg gibt es eine Menge von Problemen zu lösen. Zunächst wird die Nachfolge zu regeln sein, weswegen auch eine Ausschreibung stattfindet. Mein Petitum wäre, dass man dem Präsidium bei der Suche eine unabhängige Kommission zur Seite stellt.
Geißler:
Ist das eine Misstrauenserklärung an das Präsidium?
Bernbacher:
Nicht unbedingt Misstrauen... Aber es muss schon gewährleistet sein, dass da eine sehr klare Vorprüfung der Persönlichkeit, die in Frage kommt, vonstatten geht. Es geht nicht, dass da irgendwelche Beziehungen oder Klüngeleien im Vorrang stehen; dafür ist die Sache zu ernst. Ich meine, was wollen wir: Wir wollen den Deutschen Musikrat jetzt stützen und die Reform zu einem modernen Dachverband in Gang bringen. Das ist doch das Ziel.
Geißler:
Richtig, aber wie könnte so eine Auswahlkommission aussehen? Wer soll da drin sitzen?
Bernbacher:
Man müsste versuchen, Leute zu finden, die Erfahrungen haben, auch im Bezug auf Menschenkenntnis. Ich bin der Auffassung, dass vielleicht unter dem Vorsitz des Ehrenpräsidenten Professor Jakoby eine kleine Kommission sich aufgrund der Bewerbungslage und von Gesprächen sachkundig macht und dem Präsidium einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten könnte.
Geißler:
Da wird aber, wenn man an den Musikbereich denkt, die Auswahl gleich ziemlich knapp und sehr viele von den Menschen, die da in Frage kommen, sitzen ja wahrscheinlich schon in angenehmen Ämtern. Was kann man tun, um auf die Szene ein bisschen animierend zu wirken?
Bernbacher:
Die Kommission sollte so eine Art Findungscharakter haben. Man muss natürlich erst einmal sehen, wie die Bewerbungslage bis zum 1. November aussieht. Darüber hinaus müsste man auch verschiedene Gespräche führen, um die geeignete Person zu finden. Beim letzten Mal ist es so gewesen, dass es hieß, es gäbe keine anderen Bewerbungen – und das stimmte ja nicht.
Geißler:
Was wären denn die Killerkriterien für so einen Generalsekretär, was müsste er unbedingt drauf haben, ganz konkret und praktisch?
Bernbacher:
Selbstverständlich ist, dass ein Generalsekretär im 21. Jahrhundert die modernen Formen des Managements beherrschen muss. Es ist Voraussetzung, dass er in der Kultur- und Verwaltungsarbeit Erfahrungen hat. Er muss eine hohe fachliche Qualität haben, das heißt er muss schon aus irgendeinem Ressort von Musikkultur kommen. Wenn er eine juristische Ausbildung hat, wär’s auch nicht schlecht. Es gibt ja solche Leute, die diese Kombinationen studiert haben und im modernen Kulturmanagement ausgebildet sind.
So ein Generalsekretär oder Generalsekretärin sollte in einem Zeitvertrag verpflichtet werden. Wichtig ist auch eine Einarbeitungszeit, er muss also eine Zeitlang – mindestens ein halbes Jahr – in alles eingeführt werden, bis man ihn an die Dinge heranlässt. Ein Zeitvertrag von fünf Jahren ist eigentlich für solche Leitungsfunktionen angemessen, Wiederwahl ist ja dann auch möglich.
Geißler:
Aber ist es da nicht erforderlich, dass man deutlich besser honoriert als es BAT 1 eben zulässt?
Bernbacher:
Absolut, da hast du vollkommen recht. Es ist selbstverständlich, dass man ein entsprechendes Angebot machen muss. Die Crux ist, dass der Musikrat selber eigentlich arm ist, er lebt ja nur durch die Kombination und die Anteile seiner vielen Projekte. Nun, das ist nicht zu ändern, weil die staatliche Subventionspolitik so funktioniert. Aber an sich muss ein angemessenes Angebot gemacht werden, als Anreiz für Leute, die dafür in Frage kommen.
Geißler:
Ist das dann aber nicht gleich eine Größenordnung, die einen gewissen Neid im Haus erzeugen wird und von der ich gar nicht weiß, ob ein Verein, der ja feste politische Zuwendungsgeber hat, so etwas ausloben darf.
Bernbacher:
Ja, man muss das natürlich mit den Zuschussgebern besprechen. Ich meine, die müssten auch Interesse haben, dass das, was sie geben, möglichst professionell verwaltet wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Musikrat nun mittlerweile 50 Jahre alt ist und gegenwärtig ein neues Kapitel aufschlagen muss. Die große Verbreiterung seiner Arbeit, die ja für’s Musikleben sehr viel gebracht hat, muss irgendwie kanalisiert werden. Denn wir haben die Defizite in der Gesamtführung des Apparates, die wir heute beklagen, nicht erst seit heute, sondern das geht noch weitgehend zurück auf die Verantwortlichkeit des ja sehr geschätzten Generalsekretärs Eckardt – zumindest im letzten Drittel seiner 18-jährigen Tätigkeit, wo die Dinge sich immer mehr verbreitert und vergrößert haben und wo es schwer wurde, alles zu überblicken. Daher ist es sehr wesentlich, dass man genügend „Manpower" hat, um die Arbeiten zu erledigen. Wenn das alles nur mit Menschen gemacht werden muss, die überlastet sind – das war ja der Fall – ist es ohnehin schwierig. Ich würde meinen – wenn man noch einen Schritt weitergeht –, dass man auch die Präsidentennachfolge jetzt aufgreift. Voraussetzung ist aber natürlich für meine Begriffe erst mal ein exzellenter Generalsekretär.
Geißler:
Ja, der sehr vertrauensvoll mit dem neuen Präsidenten/der Präsidentin zusammenarbeiten müsste und der sich auch auf das Präsidium verlassen muss. Wenn man an eine Präsidentenneuwahl denkt – man muss ja auf der einen Seite bedenken, dass nicht nur der Generalsekretär die Verantwortung für den aktuellen Zustand trägt, sondern sicherlich auch das Präsidium und insbesondere der Präsident –, dann wäre doch eventuell auch an der Stelle eine Neubesinnung wünschenswert. An was für Persönlichkeiten könnte man denn da von der Konfiguration her denken?
Bernbacher:
Ich bin sozusagen ein Oldtimer im Musikrat. Ich habe Ähnliches schon in meinen ersten vier Jahren im Präsidium miterlebt: Als der Musikrat 1969 in einer Krise war, haben wir jemand von draußen geholt – das war der Komponist Werner Egk. Das ist leider dann nach zwei Jahren ausgelaufen, weil bei ihm ein gewisses Themeninteresse nicht mehr vorhanden war. Der Musikrat ist ohne den ganzen pädagogischen Bereich, Jugendbereich und Nachwuchsförderungsbereich gar nicht zu denken. Das und die neue Musik waren immer die wesentlichen Aktivitäten des Bundes-Musikrates, und da gab es damals Schwierigkeiten. Aber jetzt wäre es – um deinen Gedanken aufzugreifen – notwendig, als Präsidenten eine Persönlichkeit aus dem Bereich der Kulturpolitik, möglicherweise mit Schwerpunkt auf der Politik, zu finden, der natürlich auch enge Beziehungen zu Musik hat. Es gibt solche Leute, die sich außerordentlich gut in der Musik-Szene unserer Republik und auch international zurechtfinden – Leute, die möglicherweise auch mal Musik studiert haben, dann aber in der Politik, bei den Parteien gelandet sind und vielleicht sogar Staatsfunktionen übernommen haben. Und wie du ganz richtig sagst, zusammen mit einem erstklassigen Generalsekretär und dem Präsidium, das aus der Generalversammlung gebildet wird, müsste es eigentlich möglich sein.
Geißler:
Wäre nicht vielleicht sogar an eine Doppelspitze zu denken? Dass man sagt, man hat eine kulturpolitisch versierte, eine kulturpolitisch und politisch integre Persönlichkeit als Präsident/Präsidentin an der Spitze und man hat aus dem Präsidium heraus so eine Art Arbeitspräsidenten?
Bernbacher:
Gut, man hat in jedem Falle auch zwei Vizepräsidenten. Wenn man die Zuständigkeiten im Geschäftsbereich richtig aufteilt, dann kann sich der eine um Internationalität und Kontakte und der andere mehr um den Innenbereich kümmern und so weiter. Das kann man alles absprechen. Die Leute müssen nur was tun, die müssen was machen. Die letzten Präsidien waren eigentlich mehr Repräsentanten und haben das, was ihnen vorgetragen worden ist, lediglich abgesegnet. Ob sie immer auf der Höhe der Information waren, das wage ich zu bezweifeln. Als der Musikrat noch kleiner war – also sagen wir mal so vor 25-30 Jahren, waren die Präsidiumsmitglieder aufgefordert, auch selbst Aufgaben zu übernehmen. Und das war nicht das Schlechteste.
Geißler:
Da landen wir eigentlich aktuell in der Problematik, vor der ja sehr viele Verbände, die in den Nachkriegsjahren mit viel Verve, Energie und viel Engagement gegründet wurden, stehen, nämlich bei dieser Konfliktsituation zwischen Ehrenamtlichkeit und der geforderten Professionalität der Hauptamtlichen. Da scheint mir ein großes Konfliktfeld zu liegen, das wahrscheinlich nur ein sehr souveräner Präsident oder ein sehr vertrauensvoll auch mit den Hauptamtlichen zusammenarbeitendes Präsidium lösen kann.
Bernbacher:
Richtig. Da sind natürlich auch Führungsqualitäten, auch menschliche Qualitäten gefordert, das ist ganz selbstverständlich. Man muss mit den Mitarbeitern, die einem anvertraut sind und die teilweise über langjährige Erfahrung verfügen, schon in einen sehr produktiven Dialog hineinkommen. Andererseits ist man sich natürlich bewusst – das wird ja auch vom Bundespräsidenten immer wieder gesagt –, wie viel man den ehrenamtlichen Mitarbeitern verdankt. Ich meine, das gesamte gesellschaftliche Gefüge, der Aufbau nach 1945, wäre gar nicht möglich gewesen ohne den ehrenamtlichen Gedanken. Viele Menschen, die in unabhängigen Positionen waren, haben gesagt: Gut, wir gehören zu den Leuten, die eigentlich nicht ums tägliche Brot kämpfen müssen, weil wir in Ämtern sind, wo wir geregelte Einnahmen haben; jetzt gehen wir her und stellen uns auch für Gemeinschaftsaufgaben zur Verfügung – und das gehörte ja mit zum Aufbau der Bundesrepublik. Wenn das alles hätte bezahlt werden müssen, was da gemacht worden ist!
Geißler:
Ich meine, nun leben wir einerseits in einer satteren Gesellschaft, andererseits in einer, deren Werte mir ziemlich blank zu liegen scheinen, deren Werte mir doch deutlich reduziert scheinen im Verhältnis eben zu dieser Aufbruchssituation nach dem Krieg. Und das wird eben sicherlich auch das Verhältnis zwischen einem ehrenamtlichen Präsidenten und einem hauptberuflichen Geschäftsführer neu definieren müssen. Muss man nicht – ich habe jetzt sozusagen in einem Freudianischen Versprecher schon Geschäftsführer gesagt –, wird man nicht den Generalsekretär/die Generalsekretärin künftig mit ganz anderen Kompetenzen, eben wirklich mit Geschäftsführerkompetenzen ausstatten müssen, damit dort professionell agiert werden kann?
Bernbacher:
Vollkommen richtig, dass sehe ich genauso. Wenn man auf der einen Seite eine kulturpolitische Persönlichkeit hat, die uns in der Öffentlichkeit, zu den Parteien, Parlamenten und zu anderen kulturellen Institutionen einiges aufschließen soll, muss man auf der anderen Seite für den gesamten Komplex hauptamtliche Professionalität haben.
Ich habe die Hoffnung, dass die beiden eingesetzten Kommissionen für Reformen der Struktur, Verwaltung und Satzung etwas bringen werden.
Geißler:
Ein ganz anderes Thema, das aber natürlich sehr eng mit der Weiterarbeit des Musikrates zusammenhängt, ist es nicht unbedingt notwendig, dass dieser Rat von Bonn nach Berlin umzieht?
Bernbacher:
Ja, vollkommen. Ich gehörte zu denen, die damals Hauptantreiber waren, dass man von Hamburg nach Bonn ging. Das war schon eine sehr umschrittene Geschichte, denn der Stadtstaat Hamburg hatte sich sehr großzügig als Gastgeber für den Bundes-Musikrat erwiesen. Das waren alles Dinge, die wir Anfang der 70er-Jahre beschlossen hatten, und man darf nicht vergessen, dass in der Vorzeit der Begriff von Kultur, Politik und Musik ein Unding war. Ich habe beim Musikrat seit 1953/54, also fast seit 50 Jahren, in meinen unterschiedlichen Funktionen u.a. als Vorsitzender der „Jeunesses Musicales" alles miterlebt und kenne diese ganzen Entwicklungen. Wenn wir damals forderten, wir müssen näher zur Politik hin, wollte man davon nichts wissen. Aber mit der Beginn der sozial-liberalen Koalition 1969, wo es auch hieß, „mehr Demokratie wagen", da wurde das dann doch mehrheitsfähig. Und ich meine, dass man dahin gehen muss, wo die Musik spielt – und die spielt in Berlin, und das ist auch richtig so. Der Umzug kann auch in Abschnitten erfolgen. Wir haben ja schon jetzt ein Büro des Musikrates in Berlin. Aber es muss auch die Spitze nach Berlin, das ist ganz wichtig. Man kann das eine oder andere Projekt noch in Bonn lassen, aber der Generalsekretär und der Präsident müssen in Berlin sitzen.
Geißler:
Ich meine, es gibt ja ein gutes Beispiel: der Deutsche Kulturrat ist mit viel Verve und mit hohem Improvisationsvermögen nach Berlin gegangen. Einst war – sag ich mal ein wenig provozierend – der Deutsche Musikrat die stärkste Kulturlobby in der Bundesrepublik. Diese Rolle, diese Position scheint er zu verlieren.
Bernbacher:
Kein Widerspruch. Wir waren eigentlich dadurch, dass wir früh angefangen haben und eine gewissen Disziplinierung der Organisation der Mitglieder hatten, so eine Art Musterrat, der sich sehr frühzeitig um die Dinge gekümmert und in früheren Jahren auch eine andere Stärke in der Öffentlichkeit gehabt hat. Die ist uns abhanden gekommen, aus welchen Gründen auch immer. Das wäre noch ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt – und da wäre ich interessiert, deine Medienerfahrung zu hören: Ich denke, der Deutsche Musikrat verkauft sich einfach unter Wert.
Geißler:
Der verkauft sich im Grunde genommen überhaupt nicht, muss man sagen. Diese Bescheidenheit, die wird er wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch bitter bereuen... Vielleicht zum Schluss: dein Rat für das nächste Vierteljahr an den Rat, ein kleiner Strauß von Ideen, von Vorschlägen aus deinem erfahrenen Munde.
Bernbacher:
Naja, im Moment muss das Oberste sein, dass wir uns in dieser Krise ganz eindeutig klarmachen, dass wir die 50-jährige Tradition des Deutschen Musikrates weiterentwickeln wollen. Wir wollen reformieren, wir wollen ihn zu einem modernen Gebäude machen für das kommende Jahrhundert und auch für die jungen Menschen, die jetzt in diese Dinge hineinwachsen. Daher sind eben diese Personalien, über die wir ausführlich gesprochen haben – angefangen vom Generalsekretär, dem geschäftführenden Vorsitzenden, dem Präsidenten bis zum Präsidium des Deutschen Musikrates – so wichtig... Dass man mal den Mut hat, eine Persönlichkeit zu finden, die noch anders in die Gesellschaft hineinwirkt, als das bisher der Fall war. Wenn man die ganzen Projekte des Musikrates betrachtet, dann sieht man, dass wir eigentlich am Ball sind – nur das weiß keiner! Und das muss sich ändern. Da müssen vertrauensvolle Gespräche mit der Öffentlichkeit geführt werden und da müssen die Medien auch anders behandelt werden als bisher.
Geißler:
Tja, wir haben „laut nachgedacht". Ich bedanke mich ganz herzlich!