Wien - Der Liedermacher Wolf Biermann (83) hat das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz, in dem 1943 sein Vater ermordet wurde, nie besucht. «Nein, ich muss da nicht extra hinfahren. Ich bin schon mein Leben lang in Auschwitz, durch all unsere Familiengeschichten», sagte Biermann der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» (Mittwoch).
Biermanns jüdischer Vater Dagobert hatte als Werftarbeiter Sabotage betrieben und saß jahrelang in Gefangenschaft, ehe er in Auschwitz ermordet wurde. Biermann beschrieb ihn im Gespräch mit der Zeitung als «aufrechten Menschen, der acht Jahre Gefängnis standhaft überlebte und das war, was Heinrich Heine in seinem Gedicht Enfant perdu einen tapferen Soldaten nannte im ewigen Freiheitskriege der Menschheit.»
Zum Zustand der Demokratie äußerte sich Biermann sehr kritisch. «Die Demokratie ist eine gefährdete Gesellschaftsform», befand Biermann. «Die Menschen können zwar eine Diktatur nicht gut ertragen, noch schlechter erdulden sie aber die Freiheit. Ein Dilemma», erklärte er. «Demokratie macht Menschen gedankenfaul und seelenflach, sodass der humane Kern des Systems nicht mehr erkannt, geachtet und verteidigt wird. Und schließlich lassen sie sich in irgendeine neue Diktatur fallen. Entweder nach links oder nach rechts.»
Biermann, der im Hamburger Stadtteil Hammerbrook aufwuchs, siedelte im Jahr 1953 in die DDR über und veröffentlichte dort in den 60er Jahren erste Lieder und Gedichte. Wegen seines Engagements gegen das SED-Regime wurde ihm im Jahr 1976 nach einer Konzertreise in der Bundesrepublik die Wieder-Einreise in die DDR verweigert.