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Henk Heuvelmans, Generalsekretär der ISCM. Foto: ISCM
Henk Heuvelmans, Generalsekretär der ISCM. Foto: ISCM
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Lobby fürs Neue

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Henk Heuvelmans im nmz-Gespräch
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Die große Zeit der Rundfunkanstalten als Förderer der neuen Musik scheint vorbei. Wieder einmal wird deutlich: Zeitgenössische Musik braucht nicht nur kluge Köpfe und erfindungsreiche Komponisten, sondern auch eine wirksame Lobby. Seit 1922 nimmt die International Society for Contemporary Music (ISCM) diese Aufgabe war. Sie ist auch die Ausrichterin des World New Music Festivals in Stuttgart. Die neue musikzeitung wollte von Henk Heuvelmans, Generalsskretär der ISCM, mehr über die Geschichte und die Arbeit seiner Organisation wissen.

neue musikzeitung: Die International Society for Contemporary Music wurde 1922 in Salzburg gegründet. Von wem und mit welcher Idee?
Henk Heuvelmans: Am 11.August 1922 ist die Internationale Gesellschaft für Neue Musik im Café Bazar in Salzburg von Rudolf Réti und Egon Wellesz gegründet worden. Weitere Gründungsmitglieder waren Arthur Bliss, Willem Pijper, Francis Poulenc, Edward Dent (erster Vorsitzender), Edwin Evans, Jean Wiener, Werner Reinhart und César Saerchinger. Es waren noch weitere Leute, wie beispielsweise Hindemith und Webern beteiligt, aber dieser erste Vorstand formulierte die ersten Ziele und Leitgedanken der Gesellschaft: „Es wird eine Internationale Musikgesellschaft als Vereinigung von Komponisten, Interpreten und interessierten Musikfreunden gegründet zur Förderung zeitgenössischer Musik aller ästhetischer Richtungen und Tendenzen … In jedem Lande sollten sich Sektionen der Gesellschaft bilden, deren Aufgabe die Pflege zeitgenössischer Musik zu sein hat. Im Sinne der Gründung sollen diese verschiedenen Gruppen nichts anderes tun, als die lebendigen Kräfte der eigenen Nation fördern und durch Vorführung von ausgewählten Werken anderer Nationen neue Anregungen vermitteln.“

: Mitglieder der ISCM sind vorwiegend keine Einzelpersonen, sondern Verbände und Institutionen. Was kann man sich unter dem Netzwerk ISCM vorstellen?
: Am Anfang haben sich einzelne Personen geeinigt, eine Struktur mit Sektionen zu bilden, mit der sich das zeitgenössische Musikleben weiterentwickeln konnte. Selbstverständlich gab es Unterschiede in jedem Land. Erst gab es noch vorwiegend Komponistenvereine, aber später sollte eine Sektion eigentlich „eine unabhängige Organisation, die die Bestrebungen zur Förderung der Neuen Musik in einem Lande wirksam auf sich vereinigt“, sein. Und das wurde immer schwieriger, da das Musikleben sich weiterentwickelte und eine Zunahme an stilistisch unterschiedlichen Komponisten, Musikern, Akademikern, Festivals, Konzertveranstaltern, Musikinformationszentren und so weiter zu verzeichnen war.
Die musikalische Infrastruktur ist heute ganz anders als vor 80 Jahren. In einigen Ländern ist diese Infrastruktur so gewachsen, dass die ISCM-Sektion eine essenzielle Rolle spielt. Vereinzelt können Veranstalter Konzerte und Festivals organisieren und so ein ganzes Land repräsentieren, andere Sektionen aber vertreten „nur“ bestimmte Komponistengruppen und wieder andere sind fast überholt worden, durch wichtige Festivals und Veranstalter. Aus diesen Gründen ist es schwierig, sich als ISCM zu positionieren.
Die ISCM entwickelt sich weiter, weil sie nicht mehr, wie zur Gründung im Jahre 1922, die einzige Organisation ist. Trotzdem ist die ISCM weltweit doch ein riesiges Netzwerk von vielen in der Neuen Musik tätigen Personen, Organisationen, Verbänden und so weiter; eine Organisation, die an sich viel schaffen kann, aber auch Partner braucht, um ihre Ziele zu erreichen. Im vergangenen Jahr hat die ISCM ihre Mitgliedschaftsstruktur verändert, um jetzt auch kleineren Regionen und kleineren Organisationen die Beteiligung zu ermöglichen und eine höhere Repräsentativität in Ländern wie Russland, Amerika und Großbritannien anzustreben, ebenso in Ländern, in denen es noch keine Sektionen gibt. Das internationale Netzwerk weitet sich dementsprechend aus und verschafft der ISCM so eine wachsende Bedeutsamkeit.

: Wie finanziert sich die ISCM?
: Alle Mitglieder zahlen einen Mitgliedschaftsbeitrag und einige spenden zusätzlich für den „Members Support Fund“, der es Komponisten und Musikern ermöglicht, an
IGNM-Aktivitäten teilzunehmen, so wie an den World Music Days. Der Vorstand war vor allem im letzten Jahrzehnt bemüht, die Mitglieder aktiv zur Zusammenarbeit zu motivieren und ISCM-Aktivitäten wie das „ISCM-VICC-Composer in Residency Program“, das „ISCM Ensemble“ und den „ISCM-CASH Young Composer Award“ bekannt zu machen. Die ISCM hat keine festen Mitarbeiter und ist somit fast völlig abhängig von ehrenamtlichen Mitarbeitern.

: Damals war Neue Musik europäische Musik. Heute gibt es 50 Mitgliedsländer: Europa ist nicht mehr der Mittelpunkt, ist nicht mehr die musikalische „Leitkultur“. Wie macht sich das für Ihre Arbeit bemerkbar?
: Wir sind sehr froh, dass die ISCM jetzt auch Mitglieder in außereuropäischen Länder hat: Etwa ein Drittel der Mitglieder sind nicht-europäisch. Das eröffnet wirklich gute Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der Musik, neue Arten von Zusammenarbeit und Gedankenaustausch, neue Horizonte und so weiter. Das Image der ISCM in dieser Hinsicht zu ändern, erweist sich jedoch als schwierig. Die Programme der WMD-Festivals werden diesbezüglich immer vielfältiger, die Europa-Asien-Linie wird stärker hervorgehoben, Afrika und arabische Länder werden zurzeit noch etwas vernachlässigt.
Die klassische Musikkultur in vielen nicht-europäischen Ländern ist stark nach Europa als Leitkultur ausgerichtet, viele Komponisten haben in Europa studiert; so sagt Jo Kondo beispielsweise, dass er sich deswegen selbst nicht als japanischen Komponisten sieht. Oft werden die ISCM-Sektionen von europäisch orientierten Musikern oder Komponisten organisiert. Aber die ISCM veranstaltet bei- spielsweise während den WMD Podiumsdiskussionen, bei denen sich Vertreter verschiedener Kulturen treffen und über ihren kulturellen Hintergrund, die heutige Musik, über Chancen, Probleme und Herausforderungen austauschen können.

: Im Oktober 2005 beschloss die Generalversammlung der UNESCO die Konvention zur kulturellen Vielfalt (Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions). Ist das ein Thema für die ISCM?
: Das ist ja ein sehr wichtiger Punkt: Neue und traditionelle Musik sowie die Eigenheiten der verschiedenen Länder und Regionen sind zunehmend gefährdet von kommerzieller Musik und Marktwirtschaftsdenken. Wir versuchen auch in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Musiknetzwerken wie IAMIC, IMC oder ECPNM, die Politiker von dieser Gefahr zu überzeugen.

: Die größte Außenwirkung erreicht die ISCM mit dem World New Music Festival, das dieses Jahr in Stuttgart stattfindet. Was ist das Besondere am Stuttgarter Konzept?
: Das WMD-Festival ist ein großes und aufwändiges Event, das jedes Jahr neue Formen annimmt, weil die Veranstalter in ihrer Umgebung agieren und das Festival so einrichten, dass es nicht nur für ISCM, sondern auch für diese Umgebung Sinn hat. Deswegen wird das Festival in Deutschland ganz anders sein als im Jahr 2007 in Hongkong. Die Veranstalter in Stuttgart bringen die Welt zusammen, die 50 ISCM-Mitgliedsländer, aber auch noch viele andere. Sie informieren durch eine Menge von Konzerten, aber sie bringen sich auch mit sehr wichtigen Beiträgen in das Treffen der verschiedenen Kulturen ein, beispielsweise durch Projekte wie „Global Interplay“ und eine Reihe von Symposien.
Im Jahr 2007 wird das Festival im Rahmen des Asian Composers League Festival organisiert, mit dem Thema „Musik, die kommuniziert“; das könnte in diesem Teil der Welt doch etwas ganz anderes bedeuten als in Deutschland.

: Welche World Music Festivals waren für Sie von Konzept und Wirkung in der Vergangenheit besonders richtungsweisend?
: Im Jahr 2004 fand das Festival in zehn Städten der Schweiz statt und wurde vom ganzen schweizerischen Musikleben getragen, mit all seinen Ensembles und Orchestern und natürlich dem Publikum. 2001 fand das ganze Festival in Yokohama in einem Konzertgebäude statt, aber noch nie sind so viele Komponisten eines Gastlandes mit so unterschiedlichen Stilen und Instrumentierungen präsentiert worden. Es sind zwei sehr unterschiedliche Konzepte, beide sind sehr wirksam.

: Welche Wettbewerbe veranstaltet die ISCM, welche Preise vergibt sie?
: Für jedes World Music Festival können Sektionen und Privatkomponisten Werke einreichen, aber es können nicht alle Werke prämiert werden. Gelöst wird dieses Problem durch eine Art Wettbewerb. Seit 2002 gibt es den „ISCM-CASH Young Composer Award“: Alle jungen Komponisten, die im Programm eines WMD-Festivals vertreten sind, sind Kandidaten für diesen Preis; der Gewinner bekommt ein Preisgeld und einen Auftrag für eine neue Komposition, die während der Internationalen Gaudeamus Musikwoche in Amsterdam uraufgeführt wird.

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