Es sollte ein Neuanfang werden. Lange bevor 2009 die Pensionierung von Andreas Eckhardt, seit 1998 Direktor des Beethoven-Hauses in Bonn, anstand, begann der elfköpfige Vorstand des Vereins, der die 1889 gegründete Einrichtung trägt, einen Nachfolger zu suchen. Ging es doch darum, eine Persönlichkeit zu finden, die das Institut reformieren und ins Jahr 2020, in dem der 250. Geburtstag des Komponisten gefeiert wird, führen sollte. Die Wahl fiel schließlich einstimmig auf einen Bewerber, der dem Anforderungsprofil entsprach und alle überzeugte: auf den Musikwissenschaftler und Juristen Philipp Adlung, Jahrgang 1966, der erst Anfang 2007 das Händel-Haus in Halle übernommen und erfolgreich modernisiert hatte. Am 1. Juli 2009 trat er in Bonn an.
Ein knappes Jahr später, am 11. Juni 2010, legt Adlung ein Papier vor, in dem er eine Bestandsaufnahme macht und den Entwicklungsplan „Beethoven 2020“ skizziert. Darin stellt er einen Bedeutungsverlust „in Gestalt von Besucherrückgängen und vor allem Spitzen-Beethovenforschung an anderen Orten“ fest: „Die Antwort auf diese bedenkliche Entwicklung liegt in einer umfassenden ‚Öffnung‘ des Hauses.“ Kritisch beurteilt er insbesondere den Zustand des Museums: „Die Ausstellung“ gleiche „eher einer Weihestätte mit kultischem Anstrich als einem besucher- und benutzerfreundlichen Haus mit einem echten Vermittlungsanliegen“.
Keinen Monat später, am 6. Juli 2010, findet eine außerordentliche Vorstandssitzung statt: „Einziger Tagesordnungspunkt: Diskussion und Beschlussfassung über die Entwicklung des Beethoven-Hauses in inhaltlicher wie struktureller Hinsicht.“ Anlass ist das Papier von Adlung, „konkret“, so das Protokoll, „ging es um die Kommunikation und die Frage der Kompetenzen“. Dazu hätten vier Vorstandsmitglieder mit Michael Ladenburger, dem Leiter des Museums und Kustos der Sammlung, Gespräche geführt: Der Musikwissenschaftler arbeitet seit 1984 am Beethoven-Haus und gilt als graue Eminenz, der erst Eckhardt, dann Adlung als Direktor vorgezogen wurde. Er hat die Ausstellung eingerichtet, die seit ihrer Eröffnung 1995 kaum verändert wurde und weniger eine vergangene Lebenswelt als eine inszenierte Aura zeigt.
Der „Beschluss“ stärkt Adlung den Rücken: Sein Konzept „wird ungeachtet einiger noch zu diskutierender Punkte in seinen Grundzügen vom Vorstand getragen; das gilt insbesondere auch für die Erneuerung der Dauerausstellung“. Der mit der Neubesetzung formulierte Auftrag gelte unverändert, „das uneingeschränkte Direktionsrecht liegt beim Direktor“. Dem Vorstand sei bewusst, dass die Beschlüsse „zu personellen Konsequenzen führen können, sofern diese Linie von leitenden Mitarbeitern nicht mitgetragen wird“. Damit scheint der Weg frei, auch die Ausstellung neu zu gestalten, auf dass sie heutigen Standards entspricht: einen thematischen Rundgang anzulegen, der eine Dramaturgie entwickelt, die Exponate zu kontextualisieren, Beleuchtung und Beschriftung auf den neuesten Stand zu bringen, die Musik mit Animationsfilmen und Einspielungen erlebbar zu machen und – endlich – auch die Rezeptionsgeschichte zu berücksichtigen. Ein halbes Jahr später, am 14. Dezember, erklären der Vorstand und Adlung in einer gemeinsamen Pressemitteilung, „dass sie über eine einvernehmliche Beendigung ihrer Zusammenarbeit sprechen“: „Sie ziehen damit die Konsequenz aus einer unterschiedlichen Bewertung der Situation des Hauses und der erforderlichen Maßnahmen, um dessen Abteilungen Museum, Archiv, Kammermusiksaal und Verlag sowie eine Wirtschaftstochter weiter zu entwickeln. Beide Parteien bedauern dies sehr.“ Klingt nach unüberbrückbaren Differenzen und arbeitsrechtlichen Querelen. Ausführlicher wird der Nachfolger vorgestellt: „Der Vorstand hat Manfred Harnischfeger gebeten, vorübergehend bis zum Arbeitsbeginn eines neuen Direktors die Leitung des Hauses wahrzunehmen.“ In einem Schreiben vom gleichen Tag werden die (mehr als tausend) Mitglieder des Vereins zu einem „Gespräch“ am 18. Januar eingeladen: „Der Vorstand hat in den vergangenen Monaten intensiv und mit allen gebotenen Mitteln versucht, Harmonie zwischen unserem Direktor Dr. Philipp Adlung und den leitenden Mitarbeitern herzustellen, nachdem es nur teilweise in der Sache, vornehmlich aber in Fragen der Führung und Struktur des Hauses zu Differenzen gekommen ist.“
Was war geschehen? Eine Erklärung dafür, dass er Adlung „ausdrücklich für seinen Einsatz, sein Engagement und seine strategischen Beiträge zur Konzeption eines Neuanfangs“ dankt, ihn diese aber nicht umsetzen lässt, gibt der Vorstand nicht. Dass Adlung nicht freiwillig aus dem Amt schied, ist unbestritten, und dass der Direktor nicht Mitglied des Vorstands war, wohl der Konstruktionsfehler einer Position, die gerade nicht „die volle Unterstützung des Vorstands“ hatte. Denn nicht der leitende Mitarbeiter, auf den sie gemünzt waren, bekommt die „personellen Konsequenzen“ zu spüren, sondern der Direktor wird fallen gelassen. An dem Gebot der Erneuerung wird gleichwohl festgehalten. Das Doppelspiel des Vorstands, dem der 83 Jahre alte Dirigent Kurt Masur vorsitzt, hat nicht nur unter den Mitgliedern des Vereins, sondern auch bei den Zuwendungsgebern Bund, Land Nordrhein-Westfalen, Stadt Bonn und Landschaftsverband Rheinland für Verstimmung gesorgt. Denn nicht nur Adlung, der einen Vertrag über fünf Jahre und so lange Anspruch auf sein Gehalt hat, auch die Position selbst ist beschädigt. Wer möchte sie sich antun? Entweder es ergeht ihm wie Adlung, oder er belässt, den Auftrag missachtend, alles beim Alten.
Aus dieser Zwickmühle dürfte das Beethoven-Haus nicht so schnell herauskommen. In sechs Monaten, wie er angekündigt hat, wird der Vorstand keinen neuen Direktor finden. Auch ist es gut möglich, dass beide Partner an dem Interim Gefallen haben. Denn für die Leitung bringt Harnischfeger, früher Leiter der Unternehmenskommunikation der Deutschen Post, keine fachliche Qualifikation mit. So ist er auf Ladenburger angewiesen.
Es sollte ein Neuanfang werden.