Erfolgsmodelle sind nicht immer übertragbar. Nicht unbedingt lässt sich wiederholen, was einmal geglückt ist. Im Fall des Deutsch-Polnischen Jugendwerks war das zum Glück anders.
Die Orientierung am Vorbild des Deutsch-Französischen Jugendwerks, das mittlerweile seit 45 Jahren Jugendliche der beiden Länder mit dem Nachbarland vertraut macht, ist hier gelungen. Dabei wurde bei Gründung und Gestaltung des DPJW den Besonderheiten der deutsch-polnischen Beziehungen, durchaus Rechnung getragen. Seit inzwischen 17 Jahren engagieren sich die circa 25 Mitarbeiter in den Büros in Warschau und Potsdam für Austausch und Verständigung zwischen jungen Menschen aus Polen und Deutschland.
Schon vor der eigentlichen „Wende“ wurden erste zarte Fühler ausgestreckt, die die Möglichkeiten eines deutsch-polnischen Jugendaustauschs ertasten sollten. Nach der Öffnung der Grenzen in Richtung Osten wurde die Idee eines deutsch-polnischen Jugendwerks schnell Realität. Der Grund, gerade die bilateralen Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern aufzubauen und zu vertiefen, lag angesichts der schwierigen gemeinsamen Geschichte auf der Hand. Sprachliche Barrieren machen die Annährung nicht gerade leichter. „Gibt es in Polen durchaus eine beachtliche Zahl von Menschen, die die Sprache des Nachbarlandes beherrschen, so ist diese in Deutschland noch relativ überschaubar“, so DPJW-Geschäftsführer Stephan Erb, der sich offenbar selber zu diesen zählt. In der Verbesserung des Spracherwerbs sieht das Jugendwerk daher auch eine Schwerpunktaufgabe, der es sich in den kommenden Jahren verstärkt annehmen will. Die beiden Büros funktionieren komplett zweisprachig und sind binational besetzt. Inhaltlich haben sie sich die Aufgaben geteilt. Während das Warschauer Büro für den Schulaustausch und den Sport verantwortlich zeichnet, kümmern sich die Kollegen in Potsdam um den außerschulischen Jugendaustausch. Damit sind sie auch für zahlreiche Musikprogramme zuständig, die in Deutschland und Polen entwickelt und dann – nach Antragstellung – vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk bezuschusst werden. Die Chance, für bilaterale Projekte Geld zu erhalten, ist dabei groß. In der Regel reicht es aus, wenn bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings gibt das Jugendwerk nie genug Geld für eine Komplettfinanzierung – die Veranstalter müssen weitere Quellen zur Ko-Finanzierung erschließen. Das Spektrum der Projekte ist groß. Drei Erfolgsmodelle mögen an dieser Stelle Lust auf eigene Ideen machen.
Die Musikschule Tettnang organisiert seit neun Jahren regelmäßig einen Austausch mit Schülern der Musikschule Tarnowitz in Oberschlesien. Jeweils 35 bis 40 Schüler besuchen im Wechsel das Nachbarland, musizieren gemeinsam, machen Ausflüge und lernen beim Leben in Gastfamilien Land und Leute kennen. Ebenfalls in Gastfamilien wohnen die Teilnehmer von „StringTime Nieder-rhein“, einem Musikprojekt, das bereits seit 14 Jahren zu Ostern in Goch stattfindet und neben polnischen und deutschen auch niederländische junge Streicher bis 15 Jahre zu einem Workshop für Streicher einlädt. Das Projekt „Europa Kinderland“ wiederum, initiiert von der Stiftung „Kinder brauchen Musik“, hat soeben ein neues Projekt lanciert: Deutsche und polnische Lehrer, vorwiegend aus dem Grenzbereich, wurden zu einem Workshop eingeladen, in dem sie Anregungen erhielten für eine Einbeziehung des Nachbarlandes in den Musik-Unterricht sowie für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Das gemeinsame Singen, so Projekt-Verantwortliche Hanna Papies soll dazu beitragen, sprachliche und andere Barrieren abzubauen.
Sprachliche Barrieren gibt es natürlich immer in solchen Projekten. Teilweise werden Dolmetscher gestellt, die bis in die „Kaffeepausen“ für die Kommunikation zur Verfügung stehen. Teilweise gibt es zweisprachige Projektleiter; oft wird inzwischen auch einfach englisch gesprochen. Dass zu Beginn einer solchen Begegnung oft eine gewisse Scheu zu beobachten ist, bestätigt Wolfram Lutz, der Tettnanger Musikschulleiter, der begeistert hinter seinem Austauschprojekt steht. Eigentlich werde diese Scheu erst nach dem gemeinsamen Konzert so richtig überwunden: Beweis für die viel beschworene Behauptung, dass die „internationale Sprache“ der Musik tatsächlich die Verständigung zwischen Völkern befördert. Noch deutlicher wird dies vielleicht beim Pädagogen-Workshop der Stiftung „Kinder brauchen Musik“, wo Kinderlieder erarbeitet werden, zu denen es deutsche und polnische Texte gibt, oder Texte in die Nachbarsprache umgedichtet werden. Initiator der Stiftung ist übrigens Rolf Zuckowski, der sich für die Annäherung deutscher und polnischer Kinder erheblich engagiert und den Workshop – teils als Berater, teils als „stiller Teilnehmer“ – begleitete.
Wie beginnen solche Projekte, was ist das gemeinsame Erfolgskonzept solch unterschiedlicher Modelle? „Im Grunde funktioniert der Austausch durch das Engagement von Einzelpersonen“, sagt Stephan Erb. Die Verantwortlichen der Projekte sehen es ähnlich. In Tettnang war es ein Trompetenlehrer, der den zunächst vagen Wunsch nach einer internationalen Partnerschaft in den Kontakt zu einer ihm bekannten Musikschule in Oberschlesien lotste. Auch in Goch war es der persönliche Kontakt des bis heute aktiven musikalischen Projektleiters Georg Michel nach Polen, der den Ausschlag für den Start gab. Solche Einzelpersonen zu unterstützen und ihre Zahl zu erweitern, sieht Erb als Aufgabe seiner Institution. Unterstützt wird das Werk bei der Verwaltung des musikalischen Austauschs durch drei Zentralstellen, die Anträge bearbeiten und Gelder bewilligen: Den Verband deutscher Musikschulen, die Bläserjugend und das Goethe-Institut.
Man wird regelrecht infiziert von der deutsch-polnischen Austauscharbeit, wenn man einmal damit angefangen hat, sagen die Mitarbeiter des Potsdamer Büros. Die Begeisterung für die Sache ist im Gespräch mit ihnen regelrecht greifbar. Und wo liegen die Unterschiede zwischen den Ländern? Wo gibt es Probleme augrund der jeweils anderen Mentalität? „Ich bin da immer ein bisschen vorsichtig“, sagt Stephan Erb. „Selbst, wenn man solche Dinge spürt: In dem Moment, in dem man sie ausspricht, manifestiert man sie derart, dass sie schon wieder nicht mehr stimmen.“ Und Anna Sierawska, zurzeit Praktikantin in Potsdam, meint: „Ich weiß nicht, warum wir nach diesen Unterschieden suchen: Wollen wir sie vermeiden oder bestärken? Es gibt sie sicher, aber …“ Immerhin ein struktureller Unterschied wird deutlich: In Polen kann jeder junge Mensch, der eine Aufnahmeprüfung absolviert hat, Instrumentalunterricht an einer Musikschule erhalten – ohne dafür zu bezahlen.
Für die jährliche Begegnung zwischen Tettnang und Tarnowitz ist das nebensächlich. Die Partner haben schon vor einigen Jahren ihren Gastgebern als Gastgeschenk je einen Baum mitgebracht. So steht nun vor der baden-württembergischen Musikschule eine polnische Linde, in Oberschlesien wächst eine deutsche Eiche – als Zeichen der wachsenden Freundschaft zwischen den Ländern – und den Menschen.