Sängerin Sarah Connor (38) wird mit ihrem neuen Lied „Vincent“ oft nur gekürzt im Radio gespielt. Grund ist die anzügliche erste Textzeile des Songs. So strahlt etwa der Radiosender Antenne Bayern „Vincent“ ohne den ersten Satz aus – unter anderem aus Gründen des Jugendschutzes. Manche verbannen den Song sogar aus dem Programm.
„Vincent“ handelt von Verwirrung und Schmerz in der Liebe – unter anderem bei einem Jungen, der erkennt, dass er schwul ist. Es geht konkret um den Satz „Vincent kriegt kein' hoch, wenn er an Mädchen denkt“. Diese Zeile werde wie auch eine Wiederholung später in dem Stück herausgeschnitten, sagte Antenne-Bayern-Programmdirektorin Ina Tenz der dpa. „Die erste Zeile gehört nicht on air bei Antenne Bayern.“ Über das Thema hatte zuerst die „Bild“ berichtet.
Der Berliner Familiensender „Radio Teddy“ spielt das Lied laut „Bild“ gar nicht. Hitradio Antenne 1 in Stuttgart sendet im Tagesprogramm eine entschärfte Version, wie Programmkoordinator Daniel Stupp der dpa sagte. Das Wort „hoch“ ist dort nicht zu hören, sondern mit einem Instrumental unterlegt. Es sei ein familienorientierter Sender, und so gerieten Eltern nicht unter Erklärungszwang. „Damit, gehen wir mal davon aus, kann eine Familie an einem normalen Werktag mit zwei kleinen Kindern entspannt frühstücken, ohne dass sie sich danach mit den Kindern noch mal 25 Minuten extra hinsetzen muss.“ Auf keinen Fall wolle der Sender aber auf den Song verzichten, so Stupp: „Grundsätzlich finden wir, dass das das richtige Lied an der richtigen Stelle ist. Auch mit dem richtigen Inhalt.“
Auch Tenz betonte: „Wir finden den Song ganz großartig und unterstützen auch das Thema Toleranz.“ Aber es müsse nicht sein, dass Kleinkinder das im Radio hören, sagte Tenz, die im Sender auch Jugendschutzbeauftragte ist. „Ich möchte Sarah Connor erleben, wie sie künftig ihrem kleinen Sohn erklärt, was damit gemeint ist.“
Antenne Bayern hat mit dem Connor-Management über die Kürzung gesprochen. Aus Sicht von Programmdirektorin Tenz steckt hinter dem Text und der Veröffentlichung auch eine Strategie, eine Debatte auszulösen: „Wenn der erste Song des neuen Albums ausgerechnet mit einem solchen Satz beginnt, dann ist da PR einkalkuliert.“ Insgesamt warb Tenz für einen sorgsameren Umgang mit Sprache im Radio.
Zustimmung für Connor kommt vom Bayerischen Rundfunk. „Wir finden den Song musikalisch toll und textlich sehr mutig, und deswegen läuft er regelmäßig in Bayern 3“, erklärte Bayern-3-Programmchef Thomas Linke-Weiser. „Wir haben bisher so gut wie keine Beschwerden unseres Publikums deswegen bekommen.“ Eher fänden es die Leute gut, dass sich eine Mainstream-Künstlerin wie Connor eines solchen Themas annehme.
Bei den RBB-Sendern Antenne Brandenburg und rbb 88.8 gibt es laut Musikchef Holger Lachmann keine Einschränkungen für den Connor-Song.
Es habe nur wenige Hörer-Einwände gegeben, die sich aber vor allem auf das Coming-Out des Protagonisten Vincent bezogen hätten. Lachmann findet den Song und das Thema „wahnsinnig wichtig“ – und musikalisch sei der Titel „ein Hammer“. Die WDR-Jugendwelle 1Live spielt den Song nicht. „Was allerdings daran liegt, dass Sarah Connor nicht in das 1Live-Musikprofil passt“, wie Sprecherin Svenja Siegert erläuterte.
Sarah Connors Management war auf dpa-Anfrage zunächst nicht erreichbar.
[update, 6.6.]
Von Falco bis Sarah Connor - Wenn Radios Lieder nicht spielen wollen
Hannah Wagner, dpa
«Vincent» ist bei weitem nicht der erste Song, der es in Deutschlands Radios schwer hat. Besonders für Skandale bekannt: Falco (1957-1998). Im Jahr 1985 besang er in «Jeanny» Entführung und Missbrauch einer Minderjährigen aus Tätersicht - so war zumindest die Interpretation vieler Hörer. Während der Tabubruch sich für die Plattenfirma ordentlich auszahlte, verzichteten viele Radiostationen auf den Song des Österreichers. Bereits Falcos Titel «Ganz Wien (...ist heut auf Heroin)» war mit einem Sendeverbot im österreichischen Radio belegt worden. Auch der Gute-Laune-Hit «Der Kommissar» stieß vielerorts auf große Skepsis.
Andere Lieder wurden schon vor einem möglichen Boykott von Behörden gestoppt. Vorübergehend Rekordhalter an Indizierungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften war die Berliner Punk-Band «Die Ärzte». So durfte der Titel «Geschwisterliebe» Jugendlichen unter 18 Jahren nicht zugänglich gemacht werden. In dem Lied von 1987 besang die Gruppe um Farin Urlaub Geschlechtsverkehr zwischen Bruder und Schwester.
Ebenfalls ein Dorn im Auge war Jugendschützern immer wieder die Band Rammstein. Das Album «Liebe ist für alle da» landete 2009 auf dem Index der Prüfstelle. Zur Begründung hieß es, einer der Songs würde Gewalt verherrlichen und zu ungeschütztem Sex animieren. Später hob ein Gericht die Entscheidung wieder auf.
Doch es muss nicht immer um Brutalität oder gezielte Provokationen gehen. Mancher hatte einfach Pech. Definitiv nichts zuschulden kommen lassen hatte sich die Pop-Gruppe Juli, als Radiosender in ganz Deutschland und Österreich 2004 ihr Lied «Die perfekte Welle» aus dem Programm nahmen. Hintergrund war eine verheerende Flutwelle mit Zehntausenden von Opfern in Asien. Die Senderverantwortlichen nannten Pietät und Anstand als Gründe für ihre Entscheidung.
Auch in der Gegenwart ist Sarah Connors «Vincent» nicht der einzige Titel, mit dem Rundfunksender sich schwer tun. Mit seinen teils obszönen Texten über Gewalt, Sex und Drogen provoziert etwa der Berliner Rapper Capital Bra so sehr, dass einige Wellen seine Musik grundsätzlich nicht spielen. «Die Musik ist zu extrem für unsere breite Hörerschaft», hat Antenne-Bayern-Programmdirektorin Ina Tenz der «Bild»-Zeitung im Februar gesagt. Ob und wie oft die Werke eines Künstlers im Radio gespielt werden, gibt allerdings nicht zwingenderweise Auskunft über seinen Erfolg: Capital Bra, der mit bürgerlichem Namen Vladislav Balovatsky heißt, war im Mai der am meisten gestreamte Musiker in Deutschland.