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Seitdem die Medienlandschaft immer vielfältiger und differenzierter wird, steigt der Bedarf nach universell ausgebildeten Fachleuten. Insbesondere professionelle Musikjournalisten braucht das Land. Neben den normalen allgemeinen Journalisten-Studiengängen wie beispielsweise in Hamburg oder Hohenheim gibt es aber immer mehr Nischen, in denen ambitionierten Rundfunk-Leuten eine fundierte Ausbildung an die Hand gegeben wird, um sie auf ihren Beruf vorzubereiten. Eine solche kleine, aber feine Nische ist das LernRadio in Karlsruhe. Die nmz informierte sich vor Ort.
Schloß Gottesaue beherbergt die Musikhochschule Karlsruhe. Ein imposanter Bau, in dem die angehenden Musiker für ihre Meriten üben. Nicht weit davon entfernt liegt, barackenähnlich, ein kleiner langgestreckter Bau – hier gestalten die Mitarbeiter des Karlsruher LernRadios ihr Programm. Zugehörig zur Musikhochschule, aber doch eigenständig, wurde vor zweieinhalb Jahren in enger Kooperation mit dem SDR das nichtkommerzielle LernRadio aus der Taufe gehoben. Im Frühjahr 1995 ging man auf Sendung.
Die Konzeption ist einzigartig in Europa: In einem viersemestrigen Aufbaustudiengang werden hier angehende Musikjournalisten aller Sparten zum Diplom-Rundfunk-Musikjournalisten ausgebildet. Das angestrebte Niveau ist hoch. Ziel sei es, so Katja Schaefer, die das LernRadio mitaufgebaut hat, „daß es künftig qualifiziertere Rundfunkmusikjournalisten gibt, auch auf dem Feld der freien Mitarbeit". Man gibt sich hier keinesfalls der Illusion hin, daß alle Diplomierten sofort eine feste Anstellung finden. Vielmehr „sollten es fundierte Musikjournalisten sein, die dabei auch Technik beherrschen, kritisch und kompetent sind." Das angestrebte Motto heißt: „Learning by doing mit Schwerpunkt Technik und, wenn möglich, bezahlten Praktika". Das Konzept geht auf, denn trotz immensem Kulturabbau haben alle angehenden Musikjournalisten überraschenderweise eine Stelle (inklusive freier Mitarbeit) zumindest in Aussicht. Ein Beleg für die professionelle Ausbildung beim LernRadio!
Bedingung für die Teilnahme an dem Aufbaustudiengang ist ein abgeschlossenes Studium – vorzugsweise im musischen Bereich – oder etwa eine langjährige Berufserfahrung im Musik- oder Medienbereich. Etwa 14 Studenten werden pro Semester aufgenommen. 36 Studenten gibt es zur Zeit, damit ist fast schon ein Gleichgewicht zwischen Dozenten und Studenten erreicht. Doch das paßt in die Philosophie des LernRadios. Ein gewisser elitärer Anspruch ist schon gegeben. Wer eingeladen wird, muß allerdings noch durch die Aufnahmeprüfung („und die ist sehr hart"). Katja Schaefer: „Wir bilden nicht für die Arbeitslosigkeit aus. Unser Ziel ist es, daß alle das Diplom schaffen und auch eine Stelle bekommen". Dies führt dazu, daß die Zahl der ersten Anfragen noch etwa doppelt so hoch liegt wie die effektive Zahl derer, die dann zur Aufnahmeprüfung eingeladen werden. Da es sich bei dem Studiengang um ein Vollzeitstudium handelt, ist die Finanzierung manchmal ungewiß. Die Unterstützung mit Bafög ist gering, von daher müssen viele einfach aus finanziellen Erwägungen absagen. Wer diese Hürde schafft, dem stehen viele Türen offen.
In technischer Hinsicht haben die Studenten kaum einen Mangel zu leiden, denn direkt im Obergeschoß hat das Institut für Neue Musik seinen Sitz. Deren professionelles Equipment kann bei Bedarf – und der ist vorhanden – mitbenutzt werden. Freie radiophone Formen aller Art sind so ohne weiteres realisierbar. Massenbetrieb gibt es hier nicht, stattdessen herrscht eher ein familiäres Klima vor, man kennt sich. Prof. Dr. Troge ist Leiter des Instituts für Neue Musik, gleichzeitig aber auch noch als kommissarischer technischer Leiter des LernRadios tätig: „Die Arbeitsbelastung ist enorm und allein auf Dauer nicht zu schaffen. Wir haben eine Mehrfachbelastung zu tragen und ohne persönliche Initiative – auch in der Freizeit – läuft nichts". Allein das Gebäude, in dem sich LernRadio und Institut für Neue Musik befinden, wurde von Prof. Troge und seinen Studenten in der Freizeit bezugsfertig hergerichtet.
Grundlegend für den Erfolg ist natürlich auch, daß das LernRadio wirklich auf Sendung geht: Auf der nicht-kommerziellen UKW-Frequenz von 104,8 (geteilt mit dem Querfunk, einem freien Radio in Karlsruhe, und der Journalistenschule in Bruchsal) werden von Montag bis Donnerstag täglich fünf Stunden unterschiedlichstes Musikprogramm für den Großraum Karlsruhe gesendet. Die Ausbildung erfolgt somit unter realistischen Bedingungen. „Cross-over" heißt das Zauberwort. Die Programmgestaltung ist nach allen Seiten hin offen und unterliegt, „Professionalität vorausgesetzt", keinen stilistischen, formalen oder inhaltlichen Beschränkungen. Gefragt sind vielmehr unkonventionelle und innovative Beiträge. Wie ein Blick in die Abschlußarbeiten und auch ins Programm beweist, nutzen die Studenten diese Chance. Von Jazz, Klassik bis Pop, Feature bis Hörspiel ist alles vertreten. Durch die weitgehende gestalterische Freiheit zeigen sich durchaus professionelle und kreative Ergebnisse, die Zeugnis ablegen von der Qualität und Vielfalt, die hier geboten und noch wichtiger, die hier möglich ist. Fensterprogramme, wie zum Beispiel „Radio Fridericiana" der Uni Karlsruhe, oder dem „Musengaul" des Badischen Staatstheaters ergänzen die eigenen Sendungen wie zum Beispiel Intermezzi (30minütige Zwischenspiele mit Wort- oder Musikbeiträgen), LernRadio spezial (monothematische Sendungen) oder LernRadio stellt vor (Präsentationen von Komponisten, Interpreten oder Werken).
Die personelle Lage ist allerdings problematisch. Aufgrund der angespannten finanziellen Situation mußte bisher vieles improvisiert werden. Jetzt stehen im Haushalt 500.000 Mark pro Jahr zur Verfügung. „Das hat unsere Rektorin für uns durchgeboxt. Ohne sie sähe es viel schlimmer aus. Es war ein langer, zäher Kampf und wir sind froh, daß wir diesen Betrag haben", meint Katja Schaefer. Das LernRadio besitzt eineinhalb Stellen: eine volle Sekretariatsstelle und eine halbe, zum Beispiel für einen Hiwi fürs Archivieren. „Doch mit diesem Betrag läßt sich schon einiges anfangen", meint Jürgen Christ, der von Katja Schaefer die Leitung übernommen hat und alle Hebel in Bewegung setzt, um den Bekanntheitsgrad des LernRadios weiter zu steigern. Die Anstrengung zeigt Früchte. Mediendozenten und Radioprofis aus ganz Deutschland reisen an und vermitteln neben allen journalistischen Darstellungsformen wie den unterschiedlichen Stilformen (Bericht, Kommentar, Reportage und so weiter) auch Sprechen und Moderieren. Technisches Know-How, wie zum Beispiel Studiotechnik (Digitalschnitt, Musikcomputer oder Sendetechnik), Programmgestaltung und Produktion gilt es ebenfalls zu beherrschen. Abgerundet wird das Angebot mit Musikgeschichte, Rechts- und Verwaltungsfragen sowie Allgemeinem wie Medienwissenschaft, Hörerforschung, Marketing und PR. Von der Programmplanung bis zur Präsentation sind die Studenten an allen radiospezifischen Arbeitsprozessen unmittelbar beteiligt. Für Recherche steht die Bibliothek der Musikhochschule zur Verfügung, die Praxis wird auch im eigenen Sendestudio geübt. Die Resonanz auf das Konzept ist so gut, daß vom „HR bis zum BR" Profis aus allen Anstalten sich hier ein Stelldichein geben. Eine Kooperation auf Gegenseitigkeit, denn die Journalisten, die hier ausgebildet werden, sind auch für die Sender in hohem Maße attraktiv (drei Diplomanten sind bereits vor ihrem Abschluß bei Sendern unter Vertrag). Die Chancen stehen gut, daß dieser Studiengang bald nicht mehr als Geheimtip gehandelt werden muß. Kontakte ins Ausland sind geknüpft, ein Austausch wird im März und April nächsten Jahres stattfinden. Ebenso besteht eine Verbindung zum Kulturmanagement-Studiengang nach Hamburg. Die Frage ist nicht, ob sich das tragfähige Konzept ausbauen läßt, sondern wann der Bekanntheitsgrad der gesetzten Qualität entspricht. Info: Tel. 0721/9663104. Internet: http://www.Karlsruhe.de//Kultur//Musikhochschule
Erik Buchheister